Der Triggerknüppel

Literatur gefährdet eventuell Ihre Gesundheit!

Die Frau stapelt Bücher in zwei Fenstern; ihr Kopf ist durch ein letztes verbliebenes Loch zwischen den Büchern zu sehen.
"Achtung, Bücher können Alpträume verursachen" - Werden bald entsprechende Warnhinweise auf Buchdeckel gedruckt? © dpa / Arne Dedert
Von Kerstin Hensel · 05.12.2016
An die Schreckensbilder auf Zigarettenpackungen, die vor den Folgen des Rauchens warnen, haben wir uns gewöhnt. In den USA wird nun auch der Tatsache Rechnung getragen, dass Literatur und Kunst seelische Erschütterung hervorrufen kann. Warnungen davor scheinen unausweichlich.
In Amerika, wo ich kürzlich an Universitäten im mittleren Westen Literatur unterrichtet habe, wurde mir von Studentinnen vorgehalten: Ich würde sie mit Unzumutbarem konfrontieren: mit depressiven Inhalten, mit Weltübeln, frauenverachtenden Texten - ja, ich würde mit kruden Fantasien die Seelen der braven, wohlstandsgedüngten Twens zerstören. Es handelte sich dabei nicht etwa um die eselhaft herausgewieherten Wahlparolen von Donald Trump, sondern um meine poetischen Texte sowie um original deutsches Märchengut, rucke-di-guck, Blut ist im Schuck.

Märchen nur als Walt-Disney-Verfilmung

Zwar hat man mir, dem Gast, nicht die Augen ausgehackt wie es am Ende von Aschenputtel die Tauben mit den betrügerischen Schwestern taten, aber in den Augen der Beschwerdeführerinnen funkelten bereits strafende Blitze.
Eine Studentin meinte, Märchen seien nur in der Verfilmung von Walt Disney akzeptabel; eine andere riet mir ernsthaft, nur noch das Gute, Schöne und Lustige zu schreiben. Dann würden Böses, Hässliches, Trauriges bald nicht mehr existieren. Und sie müsse keine mehr Alpträume erleiden, wie nach der Lektüre meiner Geschichten.

Alles Gefährliche soll etikettiert werden

Professoren haben mich aufgeklärt: Ich hätte, bevor ich meine Bücher vorstelle, eine Trigger-Warnung geben müssen. Trigger, was so viel wie Schlüsselreiz bedeutet, ist der Psychologie entlehnt. Die Lehrenden sollen die Lernenden warnen. Vor im Kunstwerk immanenter Erotik, Sex, Gewalt, Krieg, vor schrägen Ansichten, politisch, moralisch, ethnisch, religiös oder gendermäßig "Unkorrektem". Im Fall des Vorhandenseins solcher Szenen, Bilder oder Gedanken dürfen die Lernenden den Unterricht verlassen, um, wie es im Gesetz heißt, "ihre Gefühle zu schützen".
Auf der schwarzen Liste steht, wie gesagt, nicht der sich zum Präsidenten hochgeschwindelte, imbezile Goldesel Trump, sondern die halbe Weltliteratur. Von Kants "Kritik der reinen Vernunft", über Ovids Metamorphosen, Shakespeares Dramen, Kleists Erzählungen, Grimms Märchen bis hin zur Gegenwartsliteratur. All dem wird traumatisierender Inhalt vorgeworfen. Trauma statt Traum, das geht natürlich gar nicht im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten.

Einarmige könnten diskriminiert werden

Der Triggerknüppel ist aus dem Sack und tanzt munter durch amerikanische Unis, begleitet von Studentenprotesten, die inzwischen jedes Maß verloren haben. Kritik daran ist tabu. Professorenpranger sind aufgestellt. Disziplinarverfahren laufen gegen die, die sich der Warnmaßnahme verweigern, weil sie die harte Auseinandersetzung mit Problemen als eine Aufgabe von Kunst sehen, die man nicht verbieten kann.
Es geht nicht nur um Kunst. Eine Professorin wird angezählt, weil sie das "Flirten zwischen Studierenden auf dem Campus" nicht "Sexualdelikt" nennt, sondern "normales jugendliches Verhalten". Ein Professor kommt vor Gericht, weil er ein Studentenreferat mit einer schlechten Note bewertet. Wird in einer von "Weißen" geführten Mensa Sushi angeboten, gilt das als "Vereinnahmung der asiatischen Kultur". Händeklatschen ist verpönt, damit der Einarmige nicht diskriminiert wird. Die Forderung: Wir schnipsen alle mit den Fingern! Das alles ist Futter für Goldesel Trump, und der schreit, schlägt aus, und kein Zauberwort gibt es, das den Spuk beenden kann.
Das ist Amerika? Das ist nicht nur Amerika. Ein Freund von mir, Grundschullehrer in einer sächsischen Kleinstadt, ist kürzlich vors Schulamt geladen worden: Eltern hatten sich beschwert, dass ihre Kinder im Leseunterricht mit Unzumutbarem konfrontiert werden, mit Gotteslästerlichem, Rassistischem, Frauenverachtendem und kruder, die Seelen der Zweitklässler zerstörender Fantasie. Es handelte sich um Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker "Die kleine Hexe".

Kerstin Hensel: Jahrgang 1961, geboren in Karl-Marx-Stadt, Autorin von Romanen, Gedichten, Theaterstücken, Essays. Sie arbeitet als Poetik-Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin. Mehr Infos unter: www.kerstin-hensel.de

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