Der Spartakusaufstand: Ein deutsches Drama

Von Winfried Sträter · 06.01.2010
Der sogenannte Spartakusaufstand am 5. und 6. Januar 1919 ist bis heute ein schillerndes und historisch umkämpftes Datum: Von den Linken wird der Aufstand mythisch verklärt, von Sozialdemokraten die Notwehr gegen eine drohende bolschewistische Machtübernahme hervorgehoben. Tatsache ist, dass die friedlich verlaufene Revolution des November 1918, der Zusammenbruch des Kaiserreichs, plötzlich in Gewalt umschlug, mit weitreichenden Folgen für die Weimarer Republik.
Sonntag, 5. Januar 1919. Über 200.000 Menschen versammelten sich im Zentrum der deutschen Hauptstadt. Gereizt, aber weitgehend friedlich. Unfrieden stifteten einige radikale Gruppen am Rande, die Pressehäuser besetzten. Darunter, wie sich später herausstellte, Agents provocateurs. Ein paar Reden wurden gehalten, wütende Rufe waren zu hören. Im Grunde aber warteten die Menschen darauf, dass etwas geschah.

Fast genau zwei Monate zuvor waren ebenfalls Massen von Menschen ins Zentrum Berlins geströmt und hatten die Welt verändert:

""Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt."

Philipp Scheidemann in einem Fenster des Reichstags am 9. November 1918. Die Demonstranten hatten nach diesem Tag einen grundlegenden Wandel der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse erwartet. Im Augenblick der bitteren Niederlage nach vier Jahren blutigem Weltkrieg schien in Erfüllung zu gehen, was die Propheten der Arbeiterbewegung geweissagt hatten: das Ende der Klassenherrschaft, Sozialismus.

Scheidemann: "Alles für das Volk! Alles durch das Volk!"

Die Arbeiterparteien, SPD und USPD -

Unabhängige Sozialdemokratische Partei, eine linke Abspaltung der SPD -

sie hatten sich verbündet und bildeten die Revolutionsregierung. Und nun, zwei Monate später, wuchs die Erbitterung darüber, dass die Bewegung ins Stocken geraten und die Regierung wieder auseinandergeflogen war. Deshalb versammelten sich wieder Hunderttausende im Zentrum Berlins und demonstrierten ihren Unwillen. Sie kamen am 5. Januar und warteten, bis es dunkel wurde, und es geschah nichts. Dann gingen sie nach Hause. Am nächsten Morgen kamen sie wieder und warteten, bis es dunkel wurde, und es geschah wieder nichts. Dann gingen sie nach Hause und kamen nicht wieder.

Gefahr vorüber: der Rat der Volksbeauftragten, die noch amtierende Revolutionsregierung, hätte aufatmen können. Stattdessen folgte ein so massiver Gegenschlag, ein Blutbad, dass nicht nur die Revolution am Ende war. Auch die Chance für einen friedlichen Aufbruch in ein demokratisches Zeitalter wurde im Januar 1919 zunichtegemacht. Nach dem lautlosen Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs und der friedlichen Novemberrevolution 1918 war die Eskalation der Gewalt Anfang 1919 eines der großen Dramen der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine besondere Rolle in diesem Drama spielten:

- der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, Chef der Revolutionsregierung,
- Wilhelm Groener, Chef der Obersten Heeresleitung der kaiserlichen Reichswehr
- und, nach neueren Forschungen besonders wirkungsvoll im Hintergrund, der Generalstabsoffizier Waldemar Pabst, strategischer Kopf des kaiserlichen Militärs.

"Hier General Groener! Der Feldmarschall und ich erkennen Ihre Regierung an."

Mit diesem berühmt gewordenen Telefonat fing es an.

Am späten Abend des 10. November 1918 meldete sich General Groener, seit wenigen Tagen neben Feldmarschall Hindenburg Chef der Obersten Heeresleitung, aus dem Hauptquartier im belgischen Spa über eine geheime Telefonleitung in der Reichskanzlei bei Friedrich Ebert.

Der Krieg war verloren. Groeners Vorgänger, General Ludendorff, hatte Ende September unerwartet die Reißleine gezogen und die Kriegsgegner zu einem Abbruch der Kämpfe und einem Friedensschluss aufgefordert. Alle waren überrascht, denn eine kriegsentscheidende Schlacht hatte noch nicht stattgefunden. Aber Ludendorff hatte anderes im Sinn: Der Krieg war nicht mehr zu gewinnen. Bevor er militärisch endgültig verloren war, sollten seine innenpolitischen Gegner, die demokratischen Parteien, Regierungsverantwortung und damit Verantwortung für den verlorenen Krieg übernehmen.

Die OHL, die Oberste Heeresleitung, konzentrierte sich nun darauf, die Reichswehr zu erhalten und Macht und Einfluss im Nachkriegsdeutschland zu sichern. Diese Aufgabe übernahm General Groener, als er Ende Oktober sein Amt antrat. Das war der Hintergrund des geheimen Telefonats, das er am 10. November 1918 mit Friedrich Ebert führte. Ebert wollte wissen, was denn die OHL von ihm und seiner Regierung erwarte.

"Das Offizierskorps erwartet, dass die Reichsregierung den Bolschewismus bekämpfen wird und stellt sich der Regierung dafür zur Verfügung."

Ebert machte eine Pause und bat dann, dem Feldmarschall den Dank seiner Regierung zu übermitteln.

Von nun an waren die beiden miteinander verbündet. Ebert war seit einem Tag Chef der Revolutionsregierung, die die beiden Arbeiterparteien bildeten, SPD und USPD.

Für die Truppen an der Westfront begann der deprimierende Marsch zurück in die Heimat.

Einer, der sich um die Zukunft der Reichswehr Sorgen machte, war der Generalstabsoffizier Waldemar Pabst.

"Je näher wir der Heimat kamen, zeichnete sich uns die Größe unseres Zusammenbruches immer klarer ab. Für uns Führer war es jetzt aber … eine Hauptsorge, den alten guten Geist innerhalb der Division aufrechtzuerhalten. Wenn wir uns auch klar waren, dass in vieler Hinsicht eine neue Zeit angebrochen war, so blieb es doch für uns deutsche Offiziere eine Selbstverständlichkeit, die guten, alten, soldatischen Eigenschaften zu retten und mit zu übernehmen in diese neue Zeit."


Das schrieb Pabst später, im Rückblick. In den letzten Kriegsjahren hatte er im Generalstab gearbeitet.

Jetzt war er der Mann, der am besten wusste, was zu tun war, um den Fall der Militärs ins Bodenlose zu verhindern. Welche Macht hatte die Heeresleitung noch? Der Kaiser hatte sich schmählich aus dem Staube gemacht, in den Truppen lösten Soldatenräte die alte militärische Ordnung auf. In dieser Situation sammelte Hauptmann Pabst Getreue seines Eliteregiments, der Garde-Kavallerie-Schützendivision, und marschierte mit der kampfbereiten Truppe hinter dem Divisionsstab in die Heimat. Am 7. Dezember traf seine Truppe mit dem Zug am Rande Berlins ein.

Scheidemann 9.11.1918: "Das Alte und Morsche ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik!"

Berlin ist seit dem 9. November die Hauptstadt der Revolution. Der Rat der Volksbeauftragten regiert. Und in wenigen Tagen soll der Reichsrätekongress die Weichen für die Zukunft stellen. Deutschland auf dem Weg zur Räterepublik: So scheint es. Hauptmann Pabst lässt sich nicht beeindrucken. Die neuen Machthaber erkennt er nicht an.

Als er mit seiner Truppe auf einem Bahnhof nahe Berlin ankommt, spielt sich auf dem Bahnsteig eine bezeichnende Szene ab. Pabst und seine Mannen werden von einem Mitglied der neuen Regierung in Empfang genommen, dem Volksbeauftragten Emil Barth von der USPD.

"He, Sie, kommen Sie mal her", ruft der Volksbeauftragte Barth.
"Sie, kommen Sie mal her", ruft Pabst zurück.
"Ich bin Ihr Vorgesetzter. Ich bin der Volksbeauftragte Barth!"
"Sind Sie verrückt geworden? Volksbeauftragter – Wer hat Sie denn beauftragt? Sind Sie vom Volk gewählt worden? Wo waren Sie denn im Krieg, Herr Barth?"
"In den Munitionsfabriken in Spandau."

Der Hauptmann weigert sich, die neue Autorität anzuerkennen und schafft es mühelos, den Spieß umzudrehen. Plötzlich ist der Volksbeauftragte der Befragte, der sich rechtfertigen muss. In der unmittelbaren Konfrontation mit selbstbewussten Vertretern der alten Macht zeigen sich die Schwierigkeiten der Revolutionsregierung, sich durchzusetzen. Und es zeigt sich, wie gefährlich es ist, Truppen der Reichswehr in Berlin einmarschieren zu lassen. Genau das soll Anfang Dezember 1918 geschehen.

Wilhelm Groener, der Chef der Obersten Heeresleitung, verfolgt den Plan, dass mit einem Einmarsch von Fronttruppen in Berlin das Militär die Macht übernimmt.

"Dieses Programm war durchaus im Einvernehmen und im Einverständnis mit Herrn Ebert abgeschlossen", erklärt Groener später. Denn er weiht Ebert am 18. November in seinen Plan ein. Er warnt den Chef der Revolutionsregierung vor dem Chaos und stellt seine Truppen als einzig funktionierende Ordnungsmacht dar. Das überzeugt Ebert, der als Funktionär in der SPD aufgestiegen ist, im Krieg den Burgfrieden mit Kaiser und Reich geschlossen hat und der ein tiefes Misstrauen gegen die spontane und schwer kontrollierbare Revolutionsbewegung hat. Die Lage ist auch objektiv unsicher. Niemand weiß, wie stark die radikale Linke mit ihren populären Führern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ist. Russland und Lenin 1917 sind ein warnendes Beispiel, was passieren kann.

"Die ganze Macht den Arbeiter- und Soldatenräten! Beseitigung des Ebertschen Rats der Volksbeauftragten!"

... fordert die Rote Fahne, die Zeitung des Spartakusbundes. Revolutionen sind unberechenbar.

"SPARTAKUS - Spartakus - Spartakus!"

Ebert hat – wie andere führende Sozialdemokraten – Angst vor einem Chaos und einem Putsch der Spartakisten.

Am 10. Dezember 1918 sollen schwer bewaffnete Verbände der Fronttruppen in Berlin einmarschieren und die Verbände, die sich der Revolution angeschlossen haben, entwaffnen. Friedrich Ebert soll als Reichspräsident eingesetzt werden, gestützt auf die Macht des Militärs. Doch das Unternehmen muss abgeblasen werden, weil es bereits am 6. Dezember einen Putschversuch gegen die Revolutionsregierung gibt und dieser scheitert.

Trotzdem marschieren die Fronttruppen am 10. Dezember – an der Spitze Hauptmann Pabst mit seinem Eliteregiment – symbolträchtig durch das Brandenburger Tor in Berlin ein.

Damit entsteht eine brisante Situation: In Berlin halten sich nun bewaffnete revolutionstreue Truppen, an der Spitze die Volksmarinedivision, und bewaffnete gegenrevolutionäre Truppen auf.

Friedrich Ebert begrüßt die einmarschierenden Soldaten mit einer merkwürdigen Rede: Statt sie auf die neue Aufgabe einzuschwören, Frieden und Demokratie zu dienen, redet er wie ein Reichswehrgeneral und attestiert ihnen, im Felde unbesiegt zu sein:

"Eure Opfer und Taten sind ohne Beispiel. Kein Feind hat Euch überwunden. Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben."

Die Rede macht deutlich, wie wenig Gespür Ebert für die Dramatik der Situation hat. Der Einmarsch der Truppen mit schwarz-weiß-roten Fahnen quer durch Berlin ist als Machtdemonstration inszeniert worden, mit dem Höhepunkt am Brandenburger Tor. In dieser Situation hätte ein umsichtiger Politiker die Aufgabe der Friedenssicherung zum Leitmotiv seiner Rede gemacht und den notwendigen Aufbruch in eine neue Zeit beschworen. Stattdessen huldigt Ebert den Kriegseinsatz und übernimmt ohne jede Distanz die Sicht der Militärführung. Von dieser Rede zur Dolchstoßlegende, die sich gegen ihn und seine Genossen richten wird, ist es nur ein kleiner Schritt.

Ebert ebnet den argumentativen Weg, weil er in diesem symbolträchtigen Augenblick keinen Raum schafft für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg. Die aber wird nötig sein, um das Kaiserreich zu überwinden und eine Demokratie aufzubauen. Einen Monat zuvor hat Scheidemann erkennen lassen, dass eine Abrechnung mit den Verantwortlichen für den Krieg durchaus möglich ist:

Scheidemann 9.11.1919:
"Arbeiter und Soldaten! Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der unglückselige Krieg ist zu Ende. Das Morden ist vorbei. Die Folgen des Krieges, Not und Elend, werden noch viele Jahre auf uns lasten. Die Niederlage, die wir unter allen Umständen verhüten wollten, ist uns nicht erspart geblieben. Unsere Verständigungsvorschläge wurden sabotiert, wir selbst wurden verhöhnt und verleumdet. Die Feinde des werktätigen Volkes, die wirklichen inneren Feinde, die Deutschlands Zusammenbruch verschuldet haben, sind still und unsichtbar geworden. Diese Volksfeinde sind hoffentlich für immer erledigt."

Verglichen mit dieser Rede Scheidemanns am 9. November am Reichstag klingt Eberts Rede am 10. Dezember vor dem Brandenburger Tor wie eine Ergebenheitsadresse an die alten Militärs.

"Aus dem Zusammenbruch wollen wir ein neues Deutschland zimmern, mit der rüstigen Kraft und dem unerschütterlichen Mut, den Ihr tausendfach bewährt habt. Schulter an Schulter habt Ihr gemeinsam gerungen, geopfert, geblutet, Not und Tod ins Auge geschaut. Nun liegt Deutschlands Einheit in Eurer Hand."

Friedrich Ebert steht im Dezember 1918 zwischen denen, die mehr Revolution wollen und denen, die die wilhelminische Ordnung mittels einer Militärdiktatur wiederherstellen wollen. Das ist die denkbar schwierigste Position in diesem Winter, und Ebert ist der Herausforderung nicht gewachsen. Weder ideell noch machtpolitisch hat Ebert die Zeichen der Zeit erkannt.

Die Oberste Heeresleistung will den Demokraten die Schuld am verlorenen Krieg in die Schuhe schieben - die Demokraten müssten im Gegenzug das Kaiserreich für das Unglück des Krieges verantwortlich machen. In diesem sich anbahnenden Kampf um die Meinungshoheit sind die führenden Politiker der Novemberrevolution den führenden Köpfen des Militärs unterlegen.

Und im unmittelbaren Machtkampf in den Revolutionswochen durchschauen Ebert und seine Genossen nicht die Strategie der Militärs, die sie als temporäre Verbündete sehen, um das politische Roll back vorzubereiten. Die Militärs brauchen eine Eskalation der Gewalt, um eingreifen zu können – mehr noch: um von den führenden Sozialdemokraten zum Einsatz gerufen zu werden. Deshalb tickt nach dem 10. Dezember 1918 die Uhr.

Niemand hat das klarer vor Augen als Waldemar Pabst. Als das Gros der Frontsoldaten nach dem 10. Dezember 1918 nach Hause geht, baut er mit seiner Garde-Kavallerie-Schützen-Division gezielt eine kampfkräftige Freiwilligentruppe auf. Worum es geht, bekennt OHL-Chef Groener später:

"So blieb nur die Aufstellung der Freiwilligenarmee, die allein den Kampf gegen die städtischen Arbeitermassen aufnehmen konnte."

Pabst lässt seine Soldaten den Straßenkampf üben, das Durchsuchen von Häusern und Wohnungen. Es sind Vorbereitungen für den Bürgerkrieg.

Der Spartakusbund ist klein, hat aber mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Führungspersönlichkeiten, die große Ausstrahlung auf die Arbeiter haben. Davor haben die Sozialdemokraten Angst. Diese Angst nutzen Pabst und die Reichswehrführung, um Ebert und seine Genossen auf ihre Seite zu ziehen. Ziel ist der militärische Kampf.

"Während dieser so dringend notwendigen Schulungszeit für den Bürgerkrieg verfolgten wir voll Spannung, wie die Zügel der provisorischen Regierung immer mehr am Boden schleiften", schreibt Waldemar Pabst lakonisch in seinen Memoiren. Heiligabend 1918 scheint es so weit zu sein. Truppen der alten Reichswehr greifen die Volksmarinedivision, eine Schutztruppe der Revolution, an. Ebert hatte sie bei einem Streit um die Entlöhnung gerufen, nachdem OHL-Chef Groener ihn zuvor in einem Telefonat dazu aufgefordert hatte:

"Herr Ebert! Wir haben ein Bündnis geschlossen miteinander. Das Bündnis beruht darauf, dass wir von der geringen Macht, die wir haben, auch wirklich Gebrauch machen."

Die Reichswehrtruppen müssen die Schießerei abbrechen, weil sich die Bevölkerung buchstäblich in den Weg stellt.

Aber die politischen Folgen sind fatal. Nach diesem ersten Angriff auf die Revolutionstruppen bricht die Koalition aus SPD und USPD auseinander: Die Mitglieder der linken USPD treten zurück. Und am 31. Dezember spaltet sich der Spartakusbund von der USPD ab und gründet die KPD, die Kommunistische Partei. Damit beginnt die politische Fragmentierung der Bewegung, und die SPD-Vertreter können allein regieren. Genau darauf hatte die Reichswehrführung gewartet.

"Das war der Wendepunkt, den ich so heiß herbeigesehnt hatte", schreibt Pabst in seinen Memoiren. Sein Kalkül geht auf, und die Ereignisse der kommenden Tage sind nur zu erklären, wenn man bedenkt, wie zielbewusst die hohen Militärs der alten Reichswehr auf eine Bürgerkriegssituation hingearbeitet haben.

Im Rat der Volksbeauftragten werden die USPD-Mitglieder durch Ebert-treue SPD-Mitglieder ersetzt. Sicherheitschef wird Gustav Noske, ein Hardliner im Kampf um Ruhe und Ordnung. Zur gleichen Zeit verstärken die Spartakisten ihren Propagandakrieg, da sie nach dem weihnachtlichen Aufmarsch der Konterrevolution Ebert und seine Genossen als Verräter entlarvt sehen. Die politische Atmosphäre ist aufgeheizt. Anfang Januar verfügt Gustav Noske die Entlassung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn. Eichhorn gilt als schwacher Polizeipräsident, aber als USPD-Mitglied hat er das Vertrauen der Linken.

Da die USPD keinen Sand mehr in ihr Getriebe werfen kann, sehen Ebert und Noske die Zeit gekommen durchzugreifen. Was sie nicht kalkulieren, ist der Vertrauensverlust in ihrer eigenen Anhängerschaft, wenn konterrevolutionäre Truppen gegen die Arbeiterschaft vorgehen. Welchen Wert haben die SPD-Führer noch für die Reichswehrführung, wenn sich ihre Anhänger von ihnen abwenden? In sein politisches Kalkül bezieht Ebert nicht den Gedanken ein, dass die Militärs politisch etwas ganz anderes wollen als er und die SPD-Führung. Er lebt noch in der Welt des Burgfriedens, den die SPD 1914 mit dem Kaiser und seinen Militärs geschlossen hatte – in der Erwartung, dass die Partei nach dem Krieg den Ritterschlag der Regierungsfähigkeit erhalten würde.

Am 4. Januar 1919 fordern die USPD, die KPD und die Revolutionären Obleute der Berliner Großbetriebe die Arbeiter auf, am nächsten Tag gegen die Entlassung Eichhorns zu demonstrieren. Auf Flugblättern warnt die KPD jedoch vor einem Umsturz, weil sie darauf noch nicht vorbereitet wäre. Die Resonanz auf den Demonstrationsaufruf überwältigt alle.

"Vor dem Polizeipräsidium, auf dem Alexanderplatz, in den Straßen bis zur Siegesallee standen die Massen bis in die Abendstunden und warteten der Dinge, die nun kommen sollten; warteten auf Weisungen ihrer Führer, wussten nicht, was sie anfangen sollten, und gingen schließlich bis auf einen Bruchteil wieder nach Hause."

Das berichtet der Augenzeuge Richard Müller. KPD-, USPD-Vertreter und Revolutionäre Obleute beraten, was zu tun ist. Unter dem Eindruck des Massenandrangs beschließen sie, die Berliner Arbeiterschaft zum Generalstreik aufzurufen und die Ebert-Regierung zu stürzen. Ein 53-köpfiger provisorischer Revolutionsausschuss wird eingesetzt. Der Revolutionsausschuss erklärt die Ebert-Regierung für gestürzt. Einen Tag lang steht die Entwicklung auf der Kippe.

"Wenn die Scharen entschlossene zielklare Führer gehabt hätten, an Stelle von Schwadroneuren, hätten sie am Mittag dieses Tages Berlin in der Hand gehabt."

Schreibt Gustav Noske später. Und Richard Müller, der das Geschehen im Revolutionsausschuss miterlebt, berichtet:

"Hätte der Revolutionsausschuss die Schwächen der Regierung erkannt und ihren Sturz herbeiführen wollen, das wäre am 6. Januar ohne große Mühe möglich gewesen. Doch er hatte mit seinen eigenen Schwächen genug zu tun. Er tagte und beriet. Beriet und beriet. Die Massen standen in der Siegesallee und warteten. Warteten, wie sie tags zuvor gewartet hatten. Gingen heute wie gestern enttäuscht nach Hause."

Reinhard Rürup: "Man muss vielleicht deutlich sagen, dass der Januaraufstand kein Spartakusaufstand war. Weil das ein verbreitetes Missverständnis noch heute ist, die meisten Leute sprechen vom Spartakusaufstand, es war eine spontane Massenbewegung, die weitgehend führerlos war."

Urteilt der Berliner Historiker Reinhard Rürup. Je länger der Revolutionsausschuss berät, desto besser wird die anfangs prekäre Situation der Ebert-Regierung. Am Abend des 6. Januar beschließt der Revolutionsausschuss, mit der Regierung zu verhandeln. Richard Müller mokiert sich:

"Warum und worum verhandelt werden sollte, das legte der Revolutionsausschuss nicht fest. Offenbar darüber, ob sich die Regierung stürzen lassen wolle."

Noch dauern die Zeitungsbesetzungen an, aber deren Ende zeichnet sich ab. Die Luft ist raus. Die Ebert-Regierung erkennt schnell, dass der Revolutionsausschuss ein Papiertiger ist. Als in der Nacht vom 6. auf den 7. Januar die Verhandlungen in der Reichskanzlei aufgenommen werden, ist schnell klar, dass die Regierung kein Interesse mehr daran hat. In knapp zwei Wochen sind die Wahlen zur Nationalversammlung angesetzt – Ebert ist nahe an seinem zentralen politischen Ziel. Eigentlich müsste seine Regierung jetzt alles daran setzen, dass wieder Ruhe einkehrt, um die Wahlen sicher über die Bühne zu bringen. Doch Eberts Regierung verfolgt eine andere Strategie.

"Mitbürger! Spartakus kämpft jetzt um die ganze Macht. Die Regierung, die binnen zehn Tagen die freie Entscheidung des Volkes über sein eigenes Schicksal herbeiführen will, soll mit Gewalt gestürzt werden. Gewalt kann nur mit Gewalt bekämpft werden. Die Stunde der Abrechnung naht. Die Reichsregierung: Ebert, Scheidemann, Landsberg, Noske, Wissel."

Flugblätter mit diesem Text werden am Mittwoch, den 8. Januar in Umlauf gebracht. Gustav Noske hat darauf gedrängt. Damit bahnt sich die Eskalation an, auf die die Reichswehrführung und Hauptmann Pabst mit seiner Garde-Kavallerie-Schützendivision hingearbeitet haben. Pabst hat sein Hauptquartier in Dahlem bezogen. Gustav Noske schreibt:

"Vom frühen Morgen des Dienstag (7. Januar) an glich das Haus einem Ameisenhaufen. Ein Bureau nach dem andern wurde eingerichtet. Scharen von Freiwilligen kamen, um sich Truppenteilen zuweisen zu lassen ... Nach drei Tagen glich die Gegend einem Kriegslager. Es wurde mit fabelhaftem Eifer und großer Schnelligkeit gearbeitet. Einer der rührigsten Offiziere war der Hauptmann Pabst, Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützendivision."

In der Nacht vom 10. auf den 11. Januar wird das noch besetzte Verlagshaus des sozialdemokratischen "Vorwärts" gestürmt. Ein Augenzeugenbericht:

"Zwei Schuss genügten, um die Verteidiger hinwegzufegen. Das Bellen der Maschinengewehre war verstummt. Man hörte laute Hilferufe und Schreie. Vier Minenwerfer eröffneten ein verheerendes Feuer gegen die belagerte Druckerfestung. Auf dem Hof lagen zahlreiche Tote und Verwundete. Die ersten Verteidiger kamen den Truppen bereits mit hocherhobenen Händen entgegen. (Manche waren) derart erschüttert, dass sie schluchzend die Soldaten um Gnade anflehten."

Den Truppen, die nun zum Einsatz kommen, geht es nicht darum, eine Besetzung zu beenden. Ihnen geht es um eine Abrechnung mit der Revolution und ihren Anhängern. Mit unvorstellbarer Brutalität kämmen sie in den nächsten Wochen die Berliner Arbeiterviertel durch und töten Massen von Menschen. Am 15. Januar 1919 auch die beiden Ikonen der radikalen Linken, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Persönlich verantwortlich dafür ist - Hauptmann Pabst. Ihm werden die beiden zugeführt, bevor sie umgebracht werden.

In diesen Wochen gewinnt das Militär den Machtkampf mit den Novemberrevolutionären, den die Oberste Heeresleitung am 10. November 1918 begonnen hat. Politisch wäre die Eskalation, die das Militär gewollt hat, vermeidbar gewesen.

"Selbst wenn man annimmt, dass die Regierung Ebert-Noske die militärische Macht der 'Spartakisten' tausendfach überschätzt hatte, am 13. Januar wusste jedes Kind in Berlin, dass der Aufstand niedergeschlagen worden war."

Doch Gustav Noske lässt den Militärs freie Hand für rücksichtslose Säuberungen in den Berliner Arbeitervierteln, indem er eine Gewaltorgie der Revolutionäre an die Wand malt, die beim Januaraufstand so gar nicht stattgefunden hat.

"Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich ausgerast haben wie Amokläufer. Ich freue mich feststellen zu können, dass Lichtenberg gestern kampflos von den Truppen besetzt worden ist. Dazu hat beträchtlich ein Erlass beigetragen, den ich schweren Herzens am 9. abends unterzeichnet habe. Er lautet: Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen ... Wenn in den Straßen Berlins Tausende Menschen die Waffen gegen die Regierung führen, Mörder und Plünderer Orgien feiern, besteht ein Zustand außerhalb jedes Rechts. Die Staatsnotwendigkeit gebot, so zu handeln, dass so rasch wie möglich wieder Ordnung und Sicherheit hergestellt wurde."

Erst die militärischen Säuberungen in den Berliner Arbeitervierteln schaffen das Gewaltklima, mit dem Noske das Standrecht begründet. So wird die Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 vom Terror der Freikorps überschattet. Bürgerkriegsähnliche Zustände zwingen die Parlamentarier, in das streng bewachte Weimar auszuweichen, um über die Verfassung zu beraten.

Bald tauchen Hakenkreuze an Freikorpshelmen auf - sichtbare Zeichen, wohin die Entwicklung führen wird. Friedrich Ebert wird zwar Reichspräsident, ein überzeugter Hüter der demokratischen Verfassung, aber er wird 1925 Opfer einer rechten Hetzkampagne: Um seine Ehre kämpfend ignoriert er eine Erkrankung, an deren Folgen er stirbt.

Das politische Versagen in den entscheidenden Monaten nach dem 9. November 1918 hat für Ebert und sein Land die bekannten furchtbaren Folgen.
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