Der Sound kommt ins Museum

Von Christine Kewitz · 19.10.2013
Nicht nur in Bildern, auch in Geräuschen spiegelt sich die Zeit. Heute lassen sich Klänge, die vom Aussterben bedroht sind – etwa ein altes Telefonklingeln oder das Klacken eines VW-Käfer-Blinkers – dank der Digitalisierung künstlich am Leben erhalten.
"Als die ersten Smartphones auf den Markt kamen, da war so der zündende Gedanke, dass mir da aufgefallen ist, allein diese kleinen Miniaturtöne beim Tasten drücken, die gibt’s ja auch bald nicht mehr, weil dann alle völlig lautlos auf ihren Smartphones unterwegs sind und nur noch lautlos durch die Gegend wischen. Da hatte ich zum ersten Mal die Idee, dass es doch ganz lustig und auch schön wäre, Geräusche generell zu sammeln, die es bald nicht mehr geben wird."

Beim Sammeln der Klänge entdeckten die Hobbyforscher nicht nur jede Menge alte, fast vergessene Geräusche und Geräte, sondern auch unendlich viele Geschichten. Denn jeder hat seine eigenen Erinnerungen und persönlichen Erlebnisse, die er mit den Geräuschen verbindet.

"Also es gibt eigentlich so zwei Schienen. Einmal gibt’s diese Mitte 20- bis 40-Jährigen, die das eher so unter dem Retrospaßgedanken sehen und dann die Leute so ab Mitte 40 bis von mir aus sogar 90, die das wirklich als so eine Art Bereicherung empfinden, dass sie da wirklich alte Geräusche hören, die sie vielleicht wirklich vor 30 Jahren das letzte Mal gehört haben. Ich glaube, trauern den alten Geräuschen aus so ein bisschen nach."

Jan Derksen und seine Kollegen von conservethesound arbeiten auch daran, wie man das Klangarchiv in die Behandlung von Demenzkranken einbinden könnte. Bei Demenzpatienten geht es um die Reaktivierung sämtlicher Sinneskanäle. Der Auditive wurde dabei bis jetzt vernachlässigt.

Durch die technischen Möglichkeiten und unterschiedlichsten Aufnahmefunktionen ist Klang heute nicht mehr flüchtig und kann originalgetreu konserviert und wiedergegeben werden. Wir können also ein vollständiges akustisches Gedächtnis erstellen, wie es mit Gemälden und anderen historischen Artefakten schon lange vorgenommen wird. Doch so nahe liegend die Idee eines Geräuschemuseums ist - so exotisch klingt sie auch. Ein Beweis dafür, wie wenig Wert dem Hörsinn eigentlich beigemessen wird.

Es gibt so viele Lautsprecher und Mikrofone wie nie zuvor
Professor Holger Schulze vom Sound Studies Lab an der HU Berlin: "Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der wir erst beginnen so eine Art Klanggedächtnis jenseits unseres Gedächtnisses aufzubauen. Das beginnt jetzt erst, weil jetzt erst die Datenbanken, die Datenraten, schlicht, die Geräte einfach erst da sind. Ich glaube wirklich, dass wir in einer Zeit leben, wo es so viele Lautsprecher und Mikrofone gibt wie nie jemals zuvor. Definitiv sind wir in einer Epoche, in der das zum ersten Mal so möglich ist."

Doch gefährdete Geräusche sind nicht nur interessant für ein umfassendes, historisches Archiv. Sie werden auch für Marketing- und Verkaufszwecke von Produkten eingesetzt und dafür künstlich am Leben gehalten.

Anna Symanczyk von der Universität Hamburg erforscht die Emotionalisierung von Dingen über Klang:

"Ich bin nämlich der Meinung, dass Klänge die sich historisch schon einmal für das Produkt bewährt haben, dass die, wenn die auf aktuellen Produkten zu hören sind, das Produkt sehr viel besser verkaufen."

Oft handelt es sich dabei um Geräusche, die früher eher zufällig durch die Beschaffenheit des Gerätes und des Materials entstanden. Authentische Geräusche, die mechanisch bedingt waren. Heute dienen diese Klänge oft nur zur Befriedigung der Gewohnheit oder schlichtem Nostalgieempfinden. Sie entstehen nicht mehr authentisch, sondern sind elektroakustisch nachempfunden. So versprechen allein ein Klacken oder Knacken durch die hervorgerufene Erinnerung Wertigkeit und Qualität ohne im eigentlichen Sinne noch benötigt zu werden.

"Das Auslösen einer Kamera, sagen wir mal die Leica aus den 30er-, 40er-Jahren, die dann auf die modernen Smartphone-Kameras aufgespielt wird, so dass wir einfach wissen: Aha, ich habe jetzt gerade ein Foto gemacht und habe dieses Auslösegeräusch gehört. Da könnte man auch ein ganz beliebiges Geräusch verwenden, wie jetzt meinetwegen ein Vogelzwitschern, aber dennoch ist dieses Auslösergeräusch das am meisten gewählte und das was man am meisten hört, wenn Leute Fotografien mit ihren Handys machen."

Historisch nachempfundene Geräusche dieser Art finden sich, wenn man mal genau hinhört, zu Hauf. Carl-Frank Westermann, Experte für akustische Kommunikation:

"Volkswagen, der Käfer und läuft und läuft und läuft, hatte noch als Winker-Geräusch ein Relais als Ursache und machte klack klack klack. Das ist ein typisches Merkmal für dieses Fahrzeug gewesen. Heute sind die Blinkergeräusche nicht mehr relaisgesteuert und nicht mehr mechanisch, sondern sie werden designed und deswegen klingen sie alle verschieden. Aber sie werden designed und sollen uns natürlich die Sicherheit geben, mein Blinker geht jetzt an und er funktioniert auch. Also insofern hat sich die Welt schon sehr geändert in den letzten 30, 40 Jahren."

Wer sich auf eine Zeitreise mit den Ohren begeben will ohne sich dabei durch Generationen von technischen Produkten durchzuhören, kann das auch ganz einfach mit Musik. Die hat nicht nur stilistisch viele Trends durchlebt. Jede Zeit hat, bedingt durch die gerade moderne Abspielmöglichkeit, auch ihren eigenen Wiedergabeklang.

Westermann: "Wenn Sie noch das Grammofon nehmen, wenn Sie dann den Plattenspieler nehmen, wenn Sie die Röhrenverstärker nehmen, wenn Sie ... - ich will jetzt nicht alles herstellen, aber wenn man jetzt das MP3 nimmt. Dann sind das ja, wenn Sie die CD dazwischen nehmen, das Vinyl wurde abgelöst, wenn Sie das alles nehmen und sich mal von der Klangwahrnehmung hintereinander sich anhören würden, dann würden Sie auch die Zeit an sich vorbeirauschen hören."

Dass Musik von Schallplatte besser klingt als ein schlecht komprimierter MP3-Sound, werden die meisten heutzutage bestätigen. Doch wie werden wir das in 30 Jahren wahrnehmen?

Klange der Mühseligkeit – Einwahl ins Internet mit dem Modem
Hat ein mit nur 64 kBit pro Sekunde komprimierter Song in ferner Zukunft vielleicht einen Nostalgieeffekt und löst einen wohligen Schauer aus? Wenn Gefühl und Geräusch neu besetzt werden, bekommen auch die unangenehmsten Klänge eine neue Zuordnung. Wie zum Beispiel der Internetzugang mittels Modem.

Holger Schulze: "Ich kann mich erinnern, dass das damals ein ziemlich nerviger Klang war, weil er einfach für die Langsamkeit des Zugangs stand. Ja, hat’s jetzt die Verbindung? Ist die jetzt bestätigt? Bin ich jetzt endlich in diesem Internet? Ah, immer noch nicht, ok noch ein Versuch. Das ist ein Klang der Mühseligkeit. Und von daher würde ich schon sagen, Klänge werden mit dem Abstand schöner, eben weil sie einen nicht mehr so direkt belasten müssen und man sich nicht wirklich mit ihnen rumschlagen muss. Sondern, und das ist wahrscheinlich der entscheidende Punkt, man kann sie ästhetisch betrachten."

Der Wechsel von Geräuschen steht dafür, dass etwas passiert, sich etwas entwickelt. Für eine Gesellschaft, die im Wandel ist und sich verändert.
Meint Soundexperte - Auditive Markenführung - Carl-Frank Westermann:

"Je mehr es sich verändert, wird es anders. Auch im Klang, erst mal anders. Es könnte dadurch auch lauter werden. Es könnte auch sein, dass etwas verloren geht – leider. Und etwas nicht so Gutes dazu kommt oder der Verlust von etwas Gutem dann zu beklagen ist."

Jede Gesellschaft hat einen eigenen Grundton, ein eigenartiges Rauschen, das viel darüber aussagt, in welchem Stadium sie sich gerade befindet. Früher waren die lautesten Geräusche Naturklänge insbesondere die von Katastrophen. Doch Lawinen, Blitzeinschläge oder Erdbeben hörte man nicht jeden Tag. Auch Pferdefuhrwerke ratterten nicht minütlich über Kopfsteinpflaster. Lautstärke war also eher die Ausnahme.

Heute hat sich das umgekehrt. Die Lautstärke der westlichen Großstädte hat sich in den letzten 40 Jahren immens vervielfacht. Es sind also nicht nur Geräusche die verschwinden, sondern vor allem auch Nicht-Geräusche wie Stille, weil sie vom Krach der Zivilisation übertönt werden. Auch wenn es manchmal oberflächlich ziemlich ruhig zu sein scheint, um uns herum flirrt, sirrt und brummt es die ganze Zeit.

Westermann: "Weniger klingt mehr. Also das Größte ist, Sound nur dann zur Entfaltung kommen zu lassen, wenn er Bedeutung hat. Dann würde diese Welt etwas ruhiger klingen. Diese Handyklingeltöne sind nicht unbedingt das, was ich liebe. Oder noch ein Jingle mehr – Nervfaktor eins. Ich glaube, dass Sound noch so ein Feld ist, wo wir sehr viel bewusster mit umgehen könnten."

Dass wir heute die Möglichkeit haben, Sounds einzufangen und uns aktiv damit zu beschäftigen, ist ein wichtiger Schritt zu einem akustischen Bewusstsein. Vielleicht bewegt sich das Ohr damit langsam aus seinem Schattendasein heraus und wird irgendwann einmal genau so ernst genommen wie sein Kollege das Auge.