Der sich selbst komponierte

Von Holger Noltze · 09.04.2010
Zum 200. Geburtstag Robert Schumanns hat der Musikwissenschaftler Martin Geck eine neue Biografie über das romantische Genie geschrieben. Sie zeigt die komplexe Verwobenheit von Leben und Werk, das Nebeneinander des Populären der "Träumerei" und den Abgründen, an deren Rändern dieser Komponist, Poet und Journalist seine Kunst schuf.
Er ist einer der ersten Komponisten, von denen wir eine Fotografie haben. Sie zeigt Robert Schumann in melancholischer Pose, den Kopf auf die Hand gestützt. Genau so stellt man sich den Schöpfer der "Träumerei" vor. Doch je näher man dem romantischen Genie Robert Schumann kommt, desto verwirrender gerät das Bild. Ein Musiker, Poet und Journalist, für den Leben und Werk ineinanderflossen: Er komponierte sich selbst. Und doch war sein Leben kein Traum. Neben Schaffensräuschen, in denen er in kürzester Zeit vollkommene Kunstwerke hinwarf, kannte Schumann die Abgründe der Depression.

"Es afficirt mich Alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur, Menschen",

… schreibt er im April 1838 an seine damalige Braut Clara:

" – über Alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will."

Am Ende fand er in der Kunst keinen Ausweg mehr und sprang in den Rhein. Wir kennen die Geschichte. Kennen wir sie? - Über das letzte Kapitel hat Martin Geck ein erstaunliches Motto gesetzt. Er zitiert aus Philip Roths "Exit Ghost":

"Sobald man sich auf die ideologischen Vereinfachungen und den biografischen Reduktionismus des Kulturjournalismus einlässt, ist das Wesen des Kunstwerks verloren."

Das ist, am Ende einer Robert-Schumann-Biografie, zumal einer, die punktgenau zum 200. Geburtstag erscheint, ein mutiger Satz. Das Schöne ist: Geck kann ihn sich leisten. Keiner schreibt hierzulande so über die "große" Musik und ihre Helden, über Bach und Wagner, Mozart und zuletzt Mendelssohn: nämlich auf dem stabilen Fundament musikwissenschaftlicher Kompetenz, aber zugleich mit freiem Kopf für das, was musikalische Kunstwerke ausmacht.

Geck schreibt nicht für die Fachkollegen, sondern für Leser und Hörer, und dennoch ist das Ergebnis kein fixer Biografie-Journalismus, der das Leben der teuren Toten zum gossip der Nachwelt macht. Geradezu allergisch reagiert er auf sensationslüsterne Versuche, etwa die viel beschriebene Ehe von Robert und Clara zu skandalisieren: Nein, es war wohl keine Spätfolge der Syphilis, die ihn am Rosenmontag 1854 in den Wahn trieb und in den eiskalten Rhein springen ließ; nein, sie hat ihn in der Heilanstalt in Endenich nicht vergessen, um eine heiße Affäre mit Johannes Brahms auszuleben, und nein, dieser ist auch nicht der wahre Vater des unglücklichen kleinen Felix.

Über das multiple Genie Robert Schumann zu schreiben ist schwer, denn je näher man ihm kommt, desto verwirrender das Bild. Gecks kluges Schumann-Buch entgeht den erheblichen Gefahren des biografischen Reduktionismus, weil er keine fertige Geschichte vom romantischen Genie erzählt, sondern in behutsamer Annäherung den Sinn für das komplexe Ineinander von "Leben" und "Werk" schärft, das genau dieses Leben und Werk prägt.

Das hat Folgen: Sie führen zu der Frage, inwieweit der Komponist Schumann in dem in gespenstischer Geschwindigkeit hingeworfenen Zyklus "Dichterliebe" nicht nur den Ironiker Heine vertont, sondern selbst Ironiker ist. Vielleicht nicht, meint Geck, aber der Musiker schafft eine Doppelbödigkeit eigener Art, die man hören kann, wenn man dem Klavier-Epilog des Ganzen nachspürt:

"Nachdem 'die alten bösen Lieder' und mit ihnen auch 'Liebe' und 'Schmerz' im Meer versenkt worden sind, versenkt sich Schumann seinerseits ins Klavierspiel, um über der genuin eigenen Kunst all die Wirrnisse zu vergessen, in die ihn der Dichter gestürzt hat."

Und doch ist das kein banal-romantisches Weltfluchtprogramm. Kein Wunder, dass Geck gleich mehrmals aus Schumanns frühem Brief an Clara zitiert, in dem er ihr schreibt, wie ihn schier

"alles Merkwürdige der Zeit ergreift."

Wer so spricht, der träumt sich nicht aus der Welt davon, sondern eher in sie hinein. Insofern ist dann die "Träumerei"-Geste vom Foto Teil eines großen und ernsten Spiels, Leben und Kunst sehr konsequent aufeinander zu beziehen.

Das ist die Geschichte, und Geck erzählt sie souverän fokussierend und mit erhellenden Werkbetrachtungen. Es stehen auch ein paar Notenbeispiele im Buch, aber die Analyse ist nur ein Mittel, das Außerordentliche zu begreifen. Ein anderes die Einordnung von Schumanns Genie in den Kontext von Musik und Gesellschaft und ein weiteres und nicht zuletzt: Sympathie. Man spürt sie, exemplarisch, wenn Geck sich über die "Rheinische Symphonie" freut:

"Schumann bekennt sich zur 'großen Sinfonie', kommt jedoch ohne pathetische Gesten und heikle Glücksversprechen aus. Und das ist zumindest in deutscher Tradition etwas fast Einmaliges."

Besprochen von Holger Noltze

Martin Geck: Robert Schumann. Mensch und Musiker der Romantik.
Siedler Verlag. München 2010. 320 Seiten, 22,95 Euro