Der schwäbische Orgelprinz

Von Gerhard Richter · 25.04.2011
Michael Falkenstein saß lange in der Band von James Brown an der Orgel. Doch seit dem Tod des Soul-Stars meidet er große Bühnen. Der 40-Jährige lebt in einem kleinen Ort bei Ulm vom Verkauf und der Restauration der berühmten Hammond-Orgeln.
Michael Falkenstein: "Ich könnte nicht Musiker werden, weil ich müsste dann Freitagabend 20 Uhr spielen. Ich weiß ja gar nicht, ob ich Freitagabend 20 Uhr Lust habe zu spielen. Ich spiel' manchmal wochenlang gar nicht. Aber wenn ich spiele, wenn ich dann wirklich Lust habe, dann spiel ich, und dann ist es Musik."

Musik ist für Michael Falkenstein vieles: Meditation, Glücks-Droge, eine Gabe Gottes, eine universelle Sprache, Abenteuer. Aber nie war Musik für ihn Broterwerb und Hauptberuf.

Michael Falkenstein: "Ich sag' manchmal aus Provokation, wenn ich wo spiele und alles ist wirklich gut gelungen, und alle sind total glücklich, dann sag ich am Schluss immer den Satz: 'Ich bin Kaufmann'."

In Setzingen, einem kleinen Ort bei Ulm führt Michael Falkenstein ein Orgelgeschäft. Entstanden aus der Werkstatt seines Vaters, der elektronische Orgeln repariert. Zum Erzählen setzt sich Michael Falkenstein mit gekreuzten Beinen auf eine Orgelbank. Er trägt stilvolle schwarze Schuhe und eine eng anliegende Strickjacke. Yogi und Dandy gleichzeitig. Er ist schlank, beweglich, aufmerksam. Um ihn herum - im Verkaufsraum - stehen perfekt restaurierte Sammlerstücke: Flügel, alte Lesley-Lautsprecher und Hammond-Orgeln in Walnussholz. Seine frühe Leidenschaft.

Michael Falkenstein: "Draußen war das schönste Wetter, die anderen sind Fußballspielen gegangen, ich bin aber lieber an die Orgel. Ich hatte bis zu meinem 21 Lebensjahr kaum etwas anders gemacht, außer Orgel und Klavier zu spielen."

Er bringt sich das meiste selbst bei. Mit einem Diktiergerät, das ihm die Eltern zum Vokabellernen schenken, nimmt er heimlich die Musiker auf, die ihre Orgeln nach Setzingen zur Reparatur bringen. Keyboarder von lokalen Bands, Orgelikonen wie Klaus Wunderlich oder Weltstars wie Wild Bill Davis, der Pianist von Duke Ellington und Count Basie.

Michael Falkenstein: "Das war wirklich unfassbar, das freute mich immer sehr. Weil, das waren die Idole der Schallplatten meiner Kindheit, die 30 Jahre vor meiner Geburt aufgenommen wurden. Und die kommen hierher und zeigen mir mit über 70 oder 80 Jahren ihre Akkorde. Das ist ja eine Offenbarung ihrer Geheimnisse. Mir, diesem kleinen Jungen auf dem Land mitten im Schwäbischen."

Der kleine Junge saugt alles auf, spielt alles nach. Klavierbaumeister will er werden oder in die damals noch sehr junge Solarbranche gehen.

Michael Falkenstein: "Ich wollte etwas machen, was für den Planet sinnvoll wäre."

Stattdessen tritt der 21-jährige langhaarige Weltverbesserer in die Dienste des Orgelherstellers Hammond. Als jüngster Prokurist übernimmt er den deutschsprachigen Raum, spielt weltweit auf Musikmessen und genießt ein festes Einkommen. Nebenher studiert er Volks- und Betriebswirtschaft.

Michael Falkenstein: "Das war ´ne harte Zeit, das waren viereinhalb Jahre, wo ich nie ohne Leitzordner - egal wo ich war – immer mit Leitzordner war."

Für seine Geschäftsreisen kauft er einen amerikanischen Straßenkreuzer, und legt sich ein Keyboard aufs Armaturenbrett.

Michael Falkenstein: "Und immer wenn ich Radio gehört habe, habe ich sofort mit einer Hand die Harmonien, die Akkorde versucht mitzuspielen. Erstmal welche Tonart ist es, welche Akkorde spielen die und dann konnte ich während der Fahrt, schon an der Ampel das Stück üben."

1000 Stücke lernt Falkenstein auswendig, aber noch lieber lernt er Leute aus der Musikbranche kennen. Bei einem Konzert in der Schweiz trifft er sein Idol James Brown. Der Godfather of Soul und der 25-jährige Prokurist von Hammond fachsimpeln an der Orgel.

Michael Falkenstein: "Das war interessant, dann hab' ich so zehn Minuten gespielt, mit ihm auf der gleichen Orgelbank, das war also der schönste Moment meines Lebens bis dahin."

James Brown holt Falkenstein spontan in die Band. Zehn Jahre lang orgelt der schwäbische Volks- und Betriebswirt für den exzentrischen Soulmusiker bei dessen Europa-Tourneen. Nebenberuflich.

Bis zum Tod James Browns 2006. Seitdem macht Falkenstein weniger Musik. Begleitet gern mal eine Jazzsängerin, meidet ansonsten Bühnen.

Michael Falkenstein: "Und ich will fast möglichst keine Konzerte machen, denn dann bin ich der Lektor und die anderen sind die Hörer. Das ist nicht gut. Viel besser ist die Interkommunikation. Das finde ich viel spannender."

Seminare über Orgelsounds und deren Geschichte, beispielsweise. Manchmal leistet sich Falkenstein kleine Abenteuer: Lädt spontan Musiker ein und nimmt eine CD auf. Diesen Titel hat er für James Brown geschrieben.

Zwei musikalische Projekte will er noch verwirklichen: Eine Gospel-CD mit den Backgroundsängerinnen von James Brown. Und eine CD nur mit Aufnahmen der Musik, die er spielt, wenn er Lust hat.
Michael Falkenstein: ""Hmmm, das kann sein. Da spiel ich von Franz Liszt irgendeine Rhapsodie. Und dann spiel ich sie, so wie ich glaube dass sie geht und improvisiere dann weiter. Und dann wird das vielleicht sehr impulsiv und nach drei Minuten ist es sehr, sehr zurückhaltend und dann wird’s meditativ und dann endet´s vielleicht im Nichts."