Der Schriftsteller und der Schlagzeuger

Von Hartmut Tegeler · 15.08.2008
Der Schriftsteller Rafik Schami wurde in Damaskus geboren und lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Günter "Baby" Sommer kommt aus Dresden und ist Free-Jazz-Schlagzeuger. In ihrem gemeinsamen Projekt "Abbara" treten beide in einen Dialog ein, der nun als Hörbuch vorliegt.
Also das einfachste und das wahrscheinlich gleichzeitig komplizierteste: eine Begegnung zwischen Kulturen und Künsten.
"Damaskus ..."

Es geht – unter anderem - um Damaskus.

"Damaskus ist keine Stadt. Kein Fleck auf einem Atlas, sondern ein Märchen, das sich in Häuser und Gassen, Geschichten, Gerüchte und Gerüche kleidet ..."

Rafik Schami beginnt. Und dann Günter "Baby" Sommer.

"Die Altstadt ist in ihrer 8000-jährigen Geschichte unendliche Male Seuchen, Kriegen und Feuern zum Opfer gefallen. Und wurde in Ermangelung eines besseren Platzes immer wieder am selben Ort aufgebaut."

Mal beginnt auch der zweite, und der erste setzt sich dazu.
"Abbara" ist arabisch. Bedeutet Durchgang, Passage, auch Fähre. In der Gasse Abbara in Damaskus ist Rafik Schami aufgewachsen.

Neu ist sie nicht, die Begegnung und die gesuchte (!) Nähe von Literatur und Musik. Nicht wenige Schriftsteller fühlten sich geschmeichelt, wenn ihnen in ihrem Medium – der Sprache – ein rhythmischer Fluss wie im Jazz bescheinigt wurde. Jack Kerouac wollte gar als "Jazzdichter betrachtet" werden. Das Sprecher-Urgestein Gerd Westphal las Heinrich Heine zu Jazzklängen, und der Lyriker Peter Rühmkorf begab sich live mit dem Jazzpianisten Michael Naura und dem Vibrafonisten Wolfgang Schlüter auf die Bühne. Eine Begegnung, die nicht auf die Live-Performance oder auf den Jazz beschränkt blieb. Bei den "Rilke-Projekten" – Jahre nach Rühmkorf - erklang auf CDs moderne Pop-Musik zu Rilke-Gedichten, gesprochen von mehr oder weniger gut vortragenden, aber immer bekannten Schauspielern. Und schließlich: Die Musiker der Konzeptgruppe LEBENdigital kombinierten ihre grooves mit Originallesungen des Dichters Jörg Fauser.

Neu ist es also nicht, was der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami und der Jazz-Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer auf dem Hörbuch "Abbara" – aufgenommen in einem Studio - präsentieren. Aber was heißt schon neu. Viel interessanter ist, dass das "Abbara"-Projekt, das bei Erfolg – wie der Verlag andeutet – eine Reihe von Hörbüchern mit solchen Begegnungen einleiten könnte, dass dieses Hörbuch eine – ursprünglich radiophone - Hörkunst belebt. Und da der Hörbuchmarkt inzwischen in Mainstream eines Wustes von Lesungen, Lesungen, und noch mal Lesungen verödet, kann man bei solch einem Projekt wie "Abbara" gleich im Vorwege mal Beifall klatschen.

Jazzorientiertes Schlagzeug trifft auf orientalisch geprägte Erzähltradition. In Rafik Schamis Literatur und seinem Vortrag lebt die orale Tradition des arabischen Geschichtenerzählens fort. Rafik Schami erzählt, "Wie das Echo auf die Erde kam". Solch ein Echo?

"In früheren Zeiten, noch lange ehe der Mensch die Erde betrat, lebte ein Dämon, der mit seiner Frau in den tiefen Höhlen und Schluchten umherzog. Dieser Dämon war unter seinesgleichen dafür berühmt, dass er nicht zuhören konnte. Am Schlimmsten aber litt seine Frau darunter. Denn er hatte die Gewohnheit, nicht nur auf sie nicht zu hören, sondern alles, was sie erzählte, für dumm zu erklären. In allem widersprach er und nichts, was sie ihm aus ihrem Herzen erzählte, hörte er."

East meets west; Orient Okzident. Schami Sommer. Der Free Jazzer spielte schon zu DDR-Zeiten – geboren ist Günter "Baby" Sommer in Dresden – mit Christa Wolf und Christoph Hein zusammen. Er gestaltete, begleitete, unterlegte oder gab mit seinem Rhythmus des Schlagzeugs dem des Textes einen zusätzlichen, fremden oder vertrauten Klang – wie jetzt den Erzählungen von Rafik Schami.

"Seitdem wiederholt Echo, so hieß der Dämon, jeden Ruf und jeden Satz der Menschen, Dämonen oder Tiere in den Schluchten, Höhlen und Abgründen. Er überhört nicht einmal das Geräusch eines rollenden Kieselsteins."

Solch eines Kieselsteins?!

Zwei Künste treffen aufeinander in "Abbara"; es begegnen sich zwei Erzähler.

Zwei subjektive Rhythmen, die sich angleichen, in diesem Hörbuch einander suchen, um weg zu gehen und wieder zu kommen. Wohl wissen beide – der Schriftsteller wie der Schlagzeuger -, dass sie gut ohne einander existieren würden. Aber sind das nicht die besten Begegnungen in Beziehungen, wo eben jeder auch ohne den anderen gut könnte und das Gemeinsame eben genau für diesen Moment des Dialogs zur Bereicherung wird?

Als vor vielen Jahren die Altvorderen dieser Synthese, Michael Naura, Wolfgang Schlüter und der Lyriker Peter Rühmkorf, gemeinsam loslegten mit Jazz & Lyrik, kommentierte dies eine Zeitung mit der Schlagzeile: "Musik stört Dichterlösung". Rafik Schami und Günter "Baby" Sommer kann man bei "Abbara" nur kritikerarrogant bescheinigen: "Musik befördert Dichterlesung" oder das Ganze umdrehen und sagen: "Dichterlesung befördert Musik". Immerhin geht es um einen gelungenen (!) Dialog.

Rafik Schami/Günter Baby Sommer: "Abbara – Von Damaskus nach Dresden"
Hörbuch
steinbach sprechende bücher
17,99 Euro