Der Ruf nach finanzieller Hilfe

Von Axel Flemming, Jens Falkowski und Blanka Weber · 07.06.2013
Das Thema dieser Woche, das Hochwasser. Immer wieder ging es dabei auch um das Geld. Um Hilfen auf der einen Seite, die Bund und Länder schnell versprachen und auf der anderen Seite: um Geld für den Hochwasserschutz. Hilfe, finanzielle Hilfe, für die Menschen vor Ort ist wichtig. Aber wie kann wirksamer Hochwasserschutz aussehen?
Nun hat das Hochwasser auch Brandenburg erreicht. Wie gut ist das Land darauf vorbereitet? Was wurde wie seit 2002 getan? Das sind nur einige Fragen, die zu beantworten sind. Andere, die sich in den Vordergrund schieben, betreffen zum Beispiel den Streit: Sollen die Deiche immer höher gebaut oder soll mehr für Rückhaltebecken getan werden?

Das Thema dieser Woche, das Hochwasser. Immer wieder ging es dabei auch: ums Geld. Um Hilfen auf der einen Seite, die Bund und Länder schnell versprachen und auf der anderen Seite: um Geld für den Hochwasserschutz. Hilfe, finanzielle Hilfe, für die Menschen vor Ort ist wichtig - allerdings: Milliardenschwere Fonds für den Hochwasserschutz gab es bereits nach der großen Flut von 2002 - Geld übrigens das noch nicht überall komplett verbaut wurde und ja offenbar nur bedingt geholfen hat. Und das uns zu der zentralen Frage bringt: Wie sieht den wirksamer Hochwasserschutz aus?

Brandenburg und der Hochwasserschutz - genug getan?
Wir blicken zuerst nach Brandenburg. Wie sieht es dort mit den Lehren aus der Vergangenheit aus? Hat man in Brandenburg aus den vergangenen Hochwassersituationen die richtigen Schlüsse gezogen und ist nun vorbereitet? Ja und nein - berichtet Axel Flemming.

Das Wasser der Spree rauscht durch die Talsperre Spremberg; über 100 Kubikmeter pro Sekunde; das Dreifache dessen, was sonst hier durchgeleitet wird. Umweltministerin Anita Tack:

"Also wir haben da eine sehr komplizierte Situation, das heißt für Cottbus und den Spreewald reichlich Wasser."

Und das noch belastet mit dem Eisenschlamm aus den alten Braunkohletagebauen.
Die Talsperre ist eine der technischen Maßnahmen, mit denen Brandenburg Schäden durch Überschwemmungen abwenden will. Außerdem sollen Deiche, Rückhaltebecken und andere Schutzanlagen in den potenziell gefährdeten Gebieten - und das sind viele in Brandenburg - für Sicherheit sorgen. Von den 1.320 Kilometern Deichen und Dämmen sind die meisten modernisiert.
Ministerpräsident Matthias Platzeck:

"Wir haben seit den Hochwasserereignissen von 97 und 2002 ein riesiges Deichbauprogramm im Lande umgesetzt für 400 Millionen Euro roundabout, wir haben fast den gesamten Lauf der Oder neu eingedeicht, wir haben große Teile unserer Elbläufe neu eingedeicht, wir haben noch außer der Baustelle in Mühlberg auch noch eine bei Below in der Prignitz, und wir werden uns demnächst dann auch mit ähnlicher Hingabe dem Thema Schwarze Elster widmen müssen."

Die ist dabei, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren über die Ufer zu treten, weil sie seit Jahrzehnten fast kein natürliches Flussbett mehr hat. Denn es ist sehr schwer, der immer wieder zitierten Devise "Gebt den Flüssen mehr Raum" zu folgen.

Zwar schreibt das Umweltministerium auf seiner Internetseite: 'Neben den technischen Hochwasserschutzmaßnahmen gewinnt die Erhaltung und Wiedergewinnung von Überschwemmungsgebieten sowie eine angepasste Flächennutzung in überschwemmungsgefährdeten Gebieten an Bedeutung.'
Die Umsetzung ist aber das Problem, das muss auch Platzeck einräumen:

"Wir leben in einer - letztlich im Weltmaßstab gesehen - dicht besiedelten Kulturlandschaft. Mit vielen Mitsprache- und Einspruchsrechten, wie man bei jedem Planfeststellungsverfahren und bei anderen Dingen mitkriegt. Wir haben immerhin Europas größte Rückverlegung in Brandenburg realisiert."

Nämlich an der Elbe bei Lenzen, wo der Deich um 1,3 Kilometer ins Hinterland verlegt wurde. Die Spree weist mit dem Spreewald ein natürliches Überschwemmungsgebiet von fast 17.600 Hektar auf. An der Oder drohte der Fluss 1997 das tiefer liegende Oderbruch zu überschwemmen; Gefahr für 20.000 Menschen. Dort gibt es inzwischen immerhin Polder von gut 11.000 Hektar Fläche, die im Fall der Fälle geflutet werden könnten. An der Lausitzer Neiße gibt es zwar Retentionsflächen von knapp 600 Hektar, der seit Jahren zur Diskussion stehende Polder in der Neuzeller Niederung ist aber noch immer nicht gebaut.

Axel Vogel, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag, meint zwar, dass in Brandenburg im Vergleich zu anderen Bundesländern noch am meisten passiert sei, kritisiert aber:

"Wir haben aber auch Deichrückverlegungen, die nie stattgefunden haben. Es gab eine große Initiative für eine Deichrückverlegung bei Rühstädt, da waren wir schon im Planfeststellungsverfahren, im Auslegungsverfahren, das wurde dann auf Intervention des Ministers nach Protesten aus der Region gestoppt, das heißt, dort wurde auf der alten Trasse saniert. Das heißt, die Bilanz für Brandenburg ist durchwachsen."

Hochwasserschutz ist eine Generationenaufgabe, darin sind sich alle Politiker einig; die Bereitschaft zu konkreten Maßnahmen sinkt allerdings mit den Pegeln der Flüsse.

Sachsen und der politische Pegelstand - eine Vermessung

Zwei Wege dem Hochwasser zu begegnen tauchten hier am Beispiel Brandenburgs auf: der technische Weg auf der Seite, also: moderne Deiche, Dämme, Sperren und auf der anderen Seite der Ruf nach Raum für Flüsse und nach natürlichen Überschwemmungsgebieten.

Diese beiden Wege sind auch die, zwischen denen in Sachsen die Diskussion verläuft. Auch hier wollte man nach der Flut 2002 vieles besser machen - aber auch hier liefen nun wieder die Städte voll.

Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD), informiert sich über das Oderhochwasser.
Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD), informiert sich über das Oderhochwasser (2010).© AP
Pegelstand der Elbe bei Magdeburg steigt weiter
Pegelstand der Elbe bei Magdeburg steigt weiter© picture alliance / dpa / Jens Wolf
Was hat man also nicht richtig gemacht?
Das Hochwasser hat sich aus der Grimma zurückgezogen. Doch die überflutete Innenstadt hätte vermieden werden können. Das musste Bürgermeister Matthias Berger feststellen:

"Ich denke, das ist dem Letzten bewusst geworden, wie wichtig das ist. Ein Hochwasser, wie wir jetzt hatten, genau diese Größenordnung, vielleicht sogar ein bisschen mehr, wäre bei Vorhandensein der Hochwasserschutzanlage nicht nach Grimma reingelaufen."

Von der Hochwassermauer stehen aber nur die Fundamente und ein kleiner Abschnitt. Erst 2017 soll die schützende Mauer fertig sein. Etwa 40 Kilometer flussaufwärts an der Mulde das gleiche Bild. Auch Döbeln wurde überflutet und auch hier steht nur ein kleiner Teil der schützenden Mauer. Eigentlich sollte nach der Flut im Jahr 2002 der Hochwasserschutz auf den neuesten Stand gebracht werden. Städte wie Grimma und Döbeln sollten geschützt sein. Doch nur die Städte Eilenburg und Aue haben bisher eine ausreichende Hochwasserabwehr und blieben diesmal trocken. Umweltminister Frank Kupfer versucht, es mit einem Beispiel zu erklären:

"Ich habe es eindrucksvoll für mich gesehen in Wilkau-Haßlau. Ich stand dort auf der Brücke. Da war auf der einen Seite der Brücke der Hochwasserschutz fertig. Da stand die Mauer und die Mulde ist draußen geblieben. Auf der anderen Seite der Brücke war eben durch Bürgerproteste, durch Klagen bis in die zweite Instanz und durch zwei Enteignungsverfahren, die erst hatten durchgeführt werden müssen, der Hochwasserschutz nicht gegeben und die Stadt wurde überflutet."

Mit anderen Worten die Bürger sind selbst schuld wenn ihre Wand nicht fertig wird. Für Joachim Schruth vom Naturschutzbund Sachsen ist eine solche Schuldzuweisung keine Lösung:

"Schade ist natürlich, dass sich niemand den Hut aufsetzt und alle an einen Tisch ruft und sagt, wie können wir jetzt an einer Lösung arbeiten. Und da denke ich würden wir in vielen Fällen eine Lösung finden."

Neben dem Schutz durch Mauern sollten die Flüsse auch wieder genügend Freiraum, sogenannte Retentionsflächen, bekommen, in denen sich das Wasser ungehindert ausbreiten kann. Erreicht werden sollte es durch Deichrückverlegungen. Geplant waren 49 solche Vorhaben. Doch bisher sind gerade einmal zwei davon umgesetzt. Joachim Schruth ist enttäuscht:

"Als die Hochwasserschutzkonzepte auf dem Tisch lagen gab es trotz differenzierter Auffassungen einen Konsens, dass es Misch ist zwischen technischem Hochwasserschutz und natürlichen, also Schaffung von Retentionsräumen."

Widerstand kam auch hier von Landwirten und Grundstückseigentümern - die ihr Land nicht verkaufen wollten. Hochwasserschutz durch Retentionsräume oder Mauern? Zahlen dazu hatte Gisela Kallenbach beim Umweltministerium angefordert. Sie sitzt für Grünen im Landtag:

"Ich denke, man setzt zu viel auf Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes. Der ist sehr teuer, der braucht sehr lange um realisiert zu werden und er ist sehr unflexibel, weil es durchaus sehr verschiedene Situationen geben kann, wo man unterschiedliche Maßnahmen braucht, um den Fluten zu begegnen. Er ist auf lange Sicht auch teuer, weil er immer wieder unterhalten werden muss."

Chancen für einen besseren Hochwasserschutz sieht Umweltminister Kupfer im neuen Wassergesetz. Es soll noch vor der Sommerpause im Landtag beschlossen werden:

"Hochwasserschutz heiß in erster Linie Eigenvorsorge in den Häusern. Dazu zählt für mich auch, dass man im Überschwemmungsgebiet keine Wohnung im Keller hat, zum Beispiel. Dass man sich grundsätzlich überlegt, ob man im Überschwemmungsgebiet neu bauen sollte."

Grünenabgeordnete Kallenbach hingegen findet den neuen Gesetzentwurf schlechter als die bisherigen Regeln:

"Das ist zum Beispiel wiederum festgenagelt, dass das Vorkaufsrecht für Kommunen, für den Freistaat auch zum Beispiel zur Gewinnung von Retentionsflächen abgeschafft wird, weil es angeblich zu viel Bürokratie verursacht hätte. Man hat sich wiederum nicht entschlossen ein striktes Bebauungsverbot in Flussauen durchzusetzen."

Für sie gleicht der neue Gesetzentwurf eher einer Empfehlung als einer klaren Regelung. So bleibt der Hochwasserschutz in Sachsen erst einmal auf Konfrontationskurs, der oft über Zwangsenteignungen umgesetzt werden muss und damit teuer und langwierig bleibt.

Thüringen und die Schäden - die finanziellen Folgen
Unser Blick geht zuletzt noch nach Thüringen, nach Greiz. Auch dort hat man viele Erfahrungen mit vergangenen Hochwassern gesammelt. Aber auch dort stand nun wieder vieles unter Wasser. Gerade teuer Saniertes und wieder Aufgebautes ist nun erneut geflutet. Auch in Greiz fragen die Menschen sich: Wie schützen wir die Stadt?

Eine Antwort: mit einer besseren Information in Krisensituationen, mit mehr Zusammenarbeit der betroffenen Länder - nur: Daran hat es diesmal gefehlt.

Schon weit vor den Toren der Stadt Greiz schlängelt sich normalerweise der kleine Fluss namens "Weiße Elster" gemächlich durch eine Auenlandschaft. Ihr Wasser, sonst wenige Meter breit, bildet derzeit noch immer eine kleine Seenlandschaft, an Teilen ist sie mehr als hundert Meter breit, so weit das Auge reicht. Hin und wieder schaut ein Baumwipfel aus dem Wasser. So `was, erinnert sich Wolfgang Scheffel, der seit über 60 Jahren an diesem Ort lebt, hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben:

"Ja, also, letzte in dieser Größenordnung, das war 1954. Da war das auch so."

Seine Frau zeigt auf den Bach hinter dem Haus:

"Wir sind nicht von der Elster her abgesoffen, Sie können ja mal mit hinter gehen, vom Bach her, der kann nicht unten ablaufen."

Hubschrauber waren tagelang im Einsatz, auch um notfalls Menschen zu evakuieren. Wolfgang Scheffel und seine Frau sind froh, dass fürs Erste das Wasser aus dem Keller ist.

"Die Feuerwehrleute haben gesagt, das kam aus den Steckdosen raus, das Wasser."

In der Innenstadt von Greiz war es nicht besser. Ganze Straßenzüge mit kleinen Läden standen unter Wasser. Tage später hieß es aufräumen und die Schäden in den Container packen. Ein Mann in Gummistiefeln versucht, seinen kleinen Fleischerladen zu säubern und den Schaden zu beziffern:

"Schätzungsweise ist Heizung und Kühltechnik defekt."

Extra versichert ist er nicht. An Summen mag er jetzt auch nicht denken, nur nach vorne schauen, den Laden wieder öffnen und weitermachen. So, wie der Apotheker gegenüber, der am Dienstag Angela Merkel seine kaputten Räume gezeigt hatte:

"Ja, er hat sie gebeten um schnelle und unkomplizierte Hilfe, was ihm auch zugesichert wurde, werden wir sehen, was an dem Versprochenen dran ist."

Auch das Land hat Hilfe zugesichert. 20 Millionen Euro für Betroffene. Doch ob all' das reicht? Allein in Greiz werden auf kommunaler Ebene die Schäden in Stadt und Landkreis auf 20 Millionen geschätzt. Noch weiß man nicht, wie Brückenpfeiler nach dem Hochwasser aussehen und was die Statiker sagen. Vor allem aber gibt es die Frage: Was muss geschehen, um eine Stadt wie Greiz noch besser zu schützen, sagt der Bürgermeister Gerd Grüner. Denn der jetzige Hochwasserschutz stammt aus den 60er-Jahren, als Antwort auf die große Hochwasserkatastrophe von 1954.

"Da sind Böschungen aufgeschüttet worden, die teilweise jetzt verschwunden sind. Das sagt uns, dass wir in Zukunft feste Verbauten machen müssen. Das sind natürlich Millionenbeträge, die alleine hier in der Stadt auf uns alle zukommen werden. Und man muss eins sagen: Die Stadt Greiz können wir nicht verschieben. Die Stadt Greiz ist in einem sehr engen Talkessel."

Genau deshalb ist man darauf angewiesen, bei Katastrophen genau zu wissen, wie sich Pegelstände der Umgebung verändern. Das hat diesmal nicht geklappt. Denn das zuständige Landesamt- mit Sitz in Jena - stand selbst unter Wasser und konnte anderen auch nicht mehr helfen.

Gerd Grüner schüttelt den Kopf. Das müsse sich ändern, am besten länderübergreifend. Denn was nütze der beste Schutz, wenn Länder nicht vernetzt seien und Bürgermeister, wie er, in der Not in Eigenregie handeln müssten? Der Thüringer Umweltminister Jürgen Reinholz sieht in einer ersten Bilanz auch Nachholbedarf, vor allem an Investitionen:

"Es gibt nichts, was man nicht besser machen kann. Wir haben in jedem Jahr ca. 13 Millionen Euro im Hochwasserschutz verbaut. Wir werden mal versuchen mit dem Finanzminister noch mal zu verhandeln, dass wir zusätzlich noch mal zehn Millionen pro Jahr bekommen."

Unterdessen fordert der Thüringer Justizminister Holger Poppenhäger eine Versicherungspflicht für Elementarschäden einzuführen, damit Betroffene nicht jedes Mal auf den finanziellen Folgen solcher Katastrophen sitzen bleiben würden.

Und damit sind wir dann doch wieder beim Ausgangspunkt angelangt: dem Ruf nach finanzieller Hilfe - weil der Hochwasserschutz leider nicht wirksam war.
Überflutung im Dresdner Stadtteil Gohlis
Überflutung im Dresdner Stadtteil Gohlis© Deutschlandradio / Thomas Otto
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