Der Rebell als Antiheld

Von Andi Hörmann · 26.06.2012
In ihren Arbeiten verbindet Anna McCarthy Installation, Performance, Videofilm, Zeichnung, Malerei und Musik. Die in England geborene und in Deutschland lebende Künstlerin hat eine Mission: Mit der Frage "How To Start A Revolution" versucht sie seit Jahren, die Figur des Rebellen zu entzaubern - und ihr ein zeitgemäßes Update zu verpassen.
"Diese klassischen Punker: Immer diese Iros, die Stiefel und ähhh... Das kann ja eigentlich nicht so weitergehen, wenn man gegen seine Eltern rebellieren will, dass man genau die selbe Form sucht, wie die Eltern das gemacht haben."

Punker, Mod, Rockabilly - die 1981 geborene Anna McCarthy hat in ihrer Jugend verschiedenste Subkultur-Szenen hinter sich gebracht. Heute beschäftigt sie sich mit dem Thema Rebellion in ihrer Kunst: Film und Fotographie, Malerei und Musik.

Eine schäbig-schöne Altbauwohnung im Münchner Westend - ohne Heizung, nur mit Holzofen in der Küche. Gelbe Farbe blättert von den Wänden, Dielenbretter knacksen und knirschen mit jedem Schritt. Rot-weiß kariert: Das geknöpfte Oberhemd von Anna McCarthy. Schwarz-weiß gemustert: Ihre enge Stoffhose.

"Also, was ich ganz viel habe, ist Zeug!"

In der Küchen-Abstellkammer stapeln sich Tonträger, Fotomaterial und Flohmarkt-Ramsch. Eine vergilbte Diskokugel, verschnörkelte Bilderrahmen aus Holz: Gegenstände - zwischen Kunst und Krempel.

"Wenn andere Leute drauf schauen, dann sehen sie eigentlich nur Müll. Das passiert mir auch immer wieder, dass alles weggeworfen wird. Aber wenn ich es dann doch umsetze, funktioniert es doch immer. (lacht)"

Die Eltern von Anna McCarthy ziehen mit ihren drei Kindern 1980 vom britischen Blackpool in den bayerischen Landkreis Rosenheim. Ihr Vater arbeitet als Flugzeugingenieur bei der Deutschen Aerospace. Ihre Mutter unterrichtet Deutsch und Englisch. Der älteste Bruder von Anna McCarthy hat sie schon von frühester Kindheit an für Kunst und Musik begeistert. Heute ist er in Rosenheim Landschaftsgärtner. Ihr acht Jahre älterer Bruder Nick McCarthy ist ein international erfolgreicher Musiker - als Gitarrist von Franz Ferdinand:

Von 2002 bis 2009 studiert Anna McCarthy Bildhauerei an der Kunstakademie in München und probiert sich aus - in Video, Installation, Malerei, Musik. 2005 geht sie für zwei Jahre an die Art School nach Glasgow.

An ihrem Schreibtisch blättert Anna McCarthy in ihrem 2011 erschienen Buch "Revolution & Its Muses". In aufwendiger Risograph-Technik - einer Art Siebdruckverfahren - illustrierte Bild- und Text-Collagen.

"Das mag ich gerne, das ist sehr kurz: When you are down, ugly on the ground, I`ll come around for you."

"Das war eigentlich eine ganz schöne Form für mich, Musik und Bilder und Text zu vermischen. Daraus lese ich bei diesen performativen Lesungen, könnte man sagen: Eine Diashow mit den Bildern aus dem Buch und dazu spielt dann auch jemand Musik. Bei den Texten, die auch teilweise vertont wurden mit der Damenkapelle."

Die "Damenkapelle (aus München)" ist seit 2007 das Musikprojekt von Anna McCarthy und ihren Freundinnen - zwischen Kunstperformance und Pop-Show. Anfang 2012 haben sie ihr Debütalbum veröffentlicht. Acht Musikerinnen, die bis auf Schlagzeugerin und Keyboarderin alle ihr Instrument erst in der Band gelernt haben. Anna McCarthy steht am Bass und singt Texte, die manchmal auch in ihrer bildenden Kunst auftauchen.

"I wanna be bored all the time, I wanna be one of a kind. I am bored, bored, bored out of my mind an that's why I'll be bored all the time. I don't wanna work..."

"Es gibt so eine Legende in meiner Familie über meinen Urgroßvater, der angeblich Doppelagent war. Für die Engländer und für die Iren. Das war zur Zeit von Michael Collins, also die Anfänge von der IRA. Und er war Chef der Polizei in Cork, also in Südirland. Und er war immer so im Zwiespalt, ob er zu den Engländern hält oder ob er zu den Iren hält, die in seinem direkten Umfeld sind. Irgendwann hat er dann wirklich eine Drohung bekommen, wo irgendwelche IRA-Männer zu dem Kind von ihm gingen, zu meinem Großvater am Spielplatz und haben ihm gesagt: Wenn ihr nicht abhaut, innerhalb von einer Woche, dann stirbt die ganze Familie. Also, so dramatisch wird es natürlich in meiner Familie erzählt."

Doppelgänger, Doppelagenten, Doppeldeutigkeiten. Das Spiel mit Identitäten spiegelt sich auch in der Kunst von Anna McCarthy. Enge Freunde und Familienmitglieder sind die Helden in ihren Arbeiten: Als Protagonisten in den Filmen, als Motive der Bilder, als Inspiration für Texte. Sie greift dabei immer wieder eine Figur auf: den Rebell als Antihelden - passiv, überfordert von Ideologien und Zeitgeist, zum Scheitern verurteilt:

"Dieser Moment, dass man in so einem Limbo-Zustand ist und wartet darauf, dass irgendwas passieren muss. Man würde gerne irgendwie aktiv werden, aber man weiß überhaupt nicht mehr, wo man ansetzen soll."

Die Figur des "bored rebel" - des gelangweilten Rebellen - stattet sie mit Rock'n'Roll-Klischees aus: Bierflasche, Stiefel, zerzauste Haare. Die Arme in blutigen Verband gehüllt. Der Blick auf den Boden gerichtet. Anna McCarthy wehrt sich mit ihrer Kunst gegen die Romantisierung des Rebellen und nimmt sich selbst dabei nicht aus. Zentrales Motiv: die schwarze Lederjacke.

"Leder ist ein ewiges Thema. (lacht) Aber es kommt von diesem... Weil es einfache ein ganz klassisches Rebellen-Ding ist. Also vor allem aus den 50er- und 60er-Jahren. So eine Lederjacke, die kann man anziehen, und dann ist man eine coole Sau."

Ihre Mitmuskerinnen von der Damenkapelle haben Anna McCarthy einen Künstlernamen verpasst: Spandex - eine gummiähnliche Kunstfaser in Leder-Optik. Weil sie auf der Bühne gerne Catsuit trägt. Oder eben ihre schwarze Lederjacke.

"Die hängt da, irgendwo. Da, da ist sie!"
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