"Der Realität in den Gemeinden stellen"

Jürgen Weber im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 23.06.2012
Nach einer Priesterinitiative will die katholische Kirche in der Diözese Freiburg über mehr Rechte für geschieden Wiederverheiratete sprechen. Das sei ein gutes Zeichen, sagt Pfarrer Jürgen Weber. Die Unterzeichner hätten "ein Stück das Tempo erhöht in Bezug auf eine Regelung dieser Angelegenheit".
Anne Françoise Weber: In der katholischen Kirche rumort es, und ein Thema kommt dabei immer stärker an die Oberfläche: die Frage des Umgangs mit den geschieden Wiederverheirateten, den Menschen also, die nach katholischer Lehre in Sünde leben, weil ihre erste, kirchlich geschlossene Ehe ja als unauflöslich gilt und daher keine andere Beziehung folgen kann. Diese Menschen dürfen demnach keine Sakramente, also auch keine Kommunion empfangen und leiden oft sehr darunter.

Erzbischof Zollitsch hatte als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz im Vorfeld des Papstbesuchs Hoffnungen geweckt, als er davon sprach, dass hier ein barmherziger Umgang gefunden werden müsse. Nun haben sich einige Priester und Diakone aus der Diözese eben von Erzbischof Zollitsch zusammengetan und eine Erklärung formuliert, die mittlerweile von rund 200 ihrer Kollegen unterzeichnet wurde, das ist immerhin rund ein Sechstel der Priester und Diakone im Bistum.

Unter anderem heißt es da: "In unseren Gemeinden gehen wiederverheiratet Geschiedene mit unserem Einverständnis zur Kommunion und empfangen das Bußsakrament und die Krankensalbung." Damit geben die Priester zu, dass sie gegen das Kirchenrecht handeln, und sie wollen, so schreiben sie, diesen Spagat nicht länger aushalten.

Zollitschs Generalvikar Fridolin Keck forderte die aufbegehrenden Priester auf, die Unterschrift zurückzuziehen. Das taten aber nur zwei. Am Donnerstag nun kam es zum Gespräch zwischen den Initiatoren und Erzbischof Zollitsch.

Danach sagte dieser, man sei sich im Ziel einig: Ein neuer Umgang mit den geschieden Wiederverheirateten sei nötig. Eine Debatte soll folgen mit einem weiteren Treffen im Herbst und einer Diskussion der Umsetzung bei der Diözesanversammlung im kommenden Frühjahr.

Ich habe vor der Sendung mit Jürgen Weber gesprochen, er ist Hochschulpfarrer in Mannheim und gehört zu den Unterzeichnern der Erklärung. Zunächst habe ich ihn gefragt, ob er denn mit dieser Ansage von Erzbischof Zollitsch zufrieden ist?

Jürgen Weber: Ich denke schon, dass es ein gutes Zeichen ist vom Erzbischof, zu sagen: Wir gehen hier Hand in Hand und versuchen, ein dringendes pastorales Problem zu klären, und sei es aus der Perspektive einer pastoralen Barmherzigkeit.

Also von dorther besteht zwischen den Initiatoren und dem Erzbischof kein Dissens. Es handelt sich auch von den Seiten der Initiatoren nicht um Revolution oder Aufstand, wie es teilweise in den Medien formuliert worden ist, sondern wir haben letztendlich mit unserer Unterschrift ein Stück das Tempo erhöht in Bezug auf eine Regelung dieser Angelegenheit.

F. Weber: In der Erklärung heißt es oder in dem Vorwort dazu, es handele sich um eines von vielen drängenden Themen. Warum dann trotzdem die Beschränkung auf dieses eine Problem und nicht, wie jetzt zum Beispiel bei der österreichischen Pfarrerinitiative, auch noch die Frage der Kommunion für konfessionsverbindende Ehen und so weiter?

J. Weber: Ich denke mir, dass wir im Gegensatz zur Pfarrerinitiative in Österreich zuerst einmal Stück für Stück die Wege gehen müssen und nicht alles in einen Topf werfen können, weil die Fragen auch sehr unterschiedlich sind in ihrer theologischen Gewichtung und Bewertung. Das Problem der sakramental gescheiterten Ehen und der Menschen, die trotzdem den Glauben an die Liebe nicht verloren haben und wieder geheiratet haben, ist seit 40 Jahren auf der Agenda der katholischen Kirche in Deutschland, dazu auch die Erklärung der Würzburger Synode, und das ist etwas, was im pastoralen Alltag für meine Mitbrüder schlicht und einfach alltägliche Realität ist. Sie müssen sich verhalten zu Menschen, die in dieser Situation sind.

F. Weber: Bei Ihnen ist das mit dem pastoralen Alltag so ein bisschen anders, denn Sie sind Hochschulpfarrer und Studierende sind meistens noch nicht geschieden und wiederverheiratet. Wie ist das denn: Dieses Thema - spielt das für die jungen Leute eine Rolle?

J. Weber: Es spielt peripher eine Rolle. Es ist natürlich ihrer Lebenswirklichkeit nicht direkt entsprechend, aber sie fragen sich natürlich: Wie schaut es aus in der Kirche mit dem Thema Barmherzigkeit? Wie geht sie um mit Menschen, die einen Bruch in ihrer Biografie haben? Ist dort wirklich keine Versöhnung mehr möglich oder kann die Kirche hier auch Versöhnung geben? Vielleicht ein Beispiel: Johannes Paul II. hat sich versöhnt mit dem Attentäter, der ihn im Jahre, wenn ich mich recht entsinne, 81 angeschossen hatte, hat ihn besucht im Gefängnis und hat Vergebung gespendet.

Wie schaut es aber aus mit Menschen, die einen wenn auch anders gelagerten Bruch in ihrer Biografie haben? Kann dort Kirche wirklich auf Dauer unversöhnlich sich verhalten?

F. Weber: Sie haben schon die Würzburger Synode angesprochen, die war eben in den 70er-Jahren. Und wenn man so ein bisschen guckt, die Initiatoren dieser Erklärung haben schon ein gewisses Alter erreicht, ähnlich wie die Theologieprofessoren, die letztes Jahr ein Memorandum formuliert haben. Ist diese Aufbruchsstimmung im Grunde eine Sache einer älteren Generation, und ist der Nachwuchs da konservativer?

J. Weber: Also zum einen haben natürlich die älteren Mitbrüder das Zweite Vatikanische Konzil erlebt, das ja der erste große Aufbruch war, um die Kirche zu vergegenwärtigen, und sie haben die Diskussion um die Würzburger Synode aktuell erlebt, und sie haben es vor allen Dingen auch mitgetragen. Also von dorther ist das Interesse gerade der älteren Mitbrüder nachvollziehbar.

Im Hinblick auf die jüngere Generation stellt sich natürlich schon die Frage: Werden sie konservativer oder nicht? Ich glaube, eher ein Punkt ist, dass sie nicht mehr so politisch sind wie die ältere Generation, sondern dass innerhalb der jüngeren Generation eine gewisse Entpolitisierung stattgefunden hat, die wir ja nicht nur in der Kirche feststellen, sondern auch im Zugang zu Parteien oder ähnlichen Organisationen.

F. Weber: Und dann kein Interesse an Kirchenpolitik und kein Interesse daran, dass da wirklich auf hoher Ebene was geändert wird, sondern eher so ein Arrangement, damit ... dass die Praxis vielleicht auch anders ist als das, was das Kirchenrecht vorschreibt?

J. Weber: Ich würde es so formulieren, ja.

F. Weber: Es gibt ja aber doch auch eine deutliche konservative Gegenbewegung, das Netzwerk Katholischer Priester wirft den Initiatoren der Erklärung vor, Verwirrung und Spaltung in die Pfarreien zu tragen, und es habe die Stunde eines Schismas geschlagen, lässt sich da im Internet nachlesen.

Weist Zollitsch jetzt mit seiner Erklärung, mit seinem Gespräch mit den Initiatoren solche Stimmen ganz klar zurück und stellt sich auf die Seite der Reformer?

J. Weber: Also zum ersten Mal: Die Reformer wollen kein Schisma, sie wollen keinen Aufstand wagen, sie wollen keine Spaltung innerhalb der Gemeinden durchführen, sondern wir als Unterzeichner wollen uns einfach der Realität in den Gemeinden stellen, wie sie ist. Das am Donnerstag durchgeführte Gespräch zwischen Erzbischof Zollitsch und den Initiatoren dieses Memorandums zeigt ja, dass wir in der Sache ganz nah beieinander sind. Der Weg ist natürlich ein unterschiedlicher.

Erzbischof Zollitsch steht natürlich in ganz anderem Kontext noch mal als wir Priester und Diakone. Er muss schauen, wie er auch eine Stimmung innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz ermöglicht, die diesem Anliegen aufgeschlossen ist, und er steht natürlich viel mehr noch unter dem Druck: Wie schafft er es, die Einheit mit Rom in diesem Kontext auch zu wahren? Aber das Gespräch hat deutlich gemacht: Wir sind zusammen, und die Rede von Schisma oder Ähnlichem ist absolut obsolet.

F. Weber: Die Einheit mit Rom, das heißt die Einheit mit Papst Benedikt - das Interessante ist ja, dass er 1972, als er noch Theologieprofessor Ratzinger war, schon einen Text geschrieben hat, in dem er durchaus dafür plädiert, bei diesen geschieden Wiederverheirateten doch irgendwie sich offen zu zeigen.

Er schreibt, wo eine zweite Ehe sich als sittliche Realität bewährt habe, da könne doch auf das Zeugnis des Pfarrers und von Gemeindemitgliedern hin die Zulassung dieser Menschen zur Kommunion gewährt werden. Könnte er sich jetzt als Papst einfach daran zurückerinnern und sagen, ja, wir lassen hier Barmherzigkeit walten, oder könnte er sogar so weit gehen, das Kirchenrecht zu ändern?

J. Weber: Also er könnte sich als Papst natürlich zurückerinnern an das, was er 1972 geschrieben hat. Ich denke, dass eine Änderung des Kirchenrechtes nicht erfolgen wird in diesem Kontext. Es dreht sich uns als Initiatoren ja auch darum, dass wir die Barmherzigkeit walten lassen.

Das, was Professor Ratzinger 1972 geschrieben hat, ist genau dieser Ansatzpunkt, vor Ort zu entscheiden, wie gehen wir mit dieser Frage um, wie gehen wir vor allen Dingen mit den Menschen um, die davon betroffen sind? Und ich denke mir, dass auch Papst Benedikt XVI. diese Pastoral durchaus ermöglichen kann.

F. Weber: In den orthodoxen Kirchen, denen sich ja auch Papst Benedikt XVI. durchaus nahe fühlt, ist eine zweite Ehe nach Scheidung wirklich auch kirchenrechtlich möglich. Ist so was wirklich völlig undenkbar für die Römisch-Katholischen?

J. Weber: Zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich absolut undenkbar, weil wir das Sakramentenverständnis sehr strikt auch definiert haben, das durch die einmal geschlossene sakramentale Ehe durch den Vollzug dieser Ehe einfach nicht aufhebbar ist. Aber das kann uns nicht daran hindern, Wege der Barmherzigkeit zu finden, die die Realität der Menschen annimmt und akzeptiert und ihnen auch einen gleichberechtigten Platz am Tisch des Herrn ermöglicht.

F. Weber: In Ihrer Stadt, in Mannheim fand ja vor wenigen Wochen der Katholikentag statt, der unter dem Motto stand "Einen neuen Aufbruch wagen". Dort vor Ort war erst mal so der Eindruck, wo passiert jetzt hier eigentlich der Aufbruch, aber ist jetzt vielleicht diese Erklärung einfach ein Aufbruch?

J. Weber: Also auf dem Katholikentag oder im Zusammenhang mit dem Katholikentag wurden viele Erwartungen formuliert, dass dort Papiere verabschiedet werden, die eindeutig den Aufbruch signalisieren.

Den Katholikentag habe ich eher erlebt als eine Atmosphäre, in der Menschen aufgebrochen sind, und als deren Resultat sicherlich auch die Initiative von uns Priestern und Diakonen in der Erzdiözese Freiburg zu verstehen ist.

Diese Erklärung ist ja nicht nur in der Erzdiözese Freiburg geschehen, sondern auch in anderen Bistümern haben sich Mitbrüder von mir ähnlich geäußert und auch zusammengeschlossen, um dieses Anliegen zu transportieren.

F. Weber: Herzlichen Dank, Jürgen Weber, Hochschulpfarrer in Mannheim und Unterzeichner der Erklärung für geschieden Wiederverheiratete.

Deren Wortlaut findet sich im Internet und den etwas komplizierten Link wiederum finden Sie auf unserer Homepage www.dradio.de.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Zur Erklärung für geschieden Wiederverheiratete:
Freiburger Erklärung
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