Der Preis der Vollkasko-Gesellschaft

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur · 19.04.2010
Stellen wir uns für einen Moment Folgendes vor: Der Vulkan spuckt Asche, aber Island ist weit. Der Luftverkehr in Europa funktioniert unbeeindruckt, bis eine oder mehrere Maschinen in Schwierigkeiten geraten und mit Müh' und Not heil zur Erde zurückkehren.
Was wäre das für eine Geschichte: Skandal; der Kopf des Verkehrsministers würde gefordert, auf die unfähige EU geschimpft. Warum gibt es kein Frühwarnsystem? – Und ja - Asche auf unser Haupt - höchstwahrscheinlich hätten auch wir mitgeschimpft.

Aber es gibt ein Frühwarnsystem, es gibt europaweit einheitliche Standards und Verfahren, die seit vergangener Woche greifen. Und nun haben wir die gegenteilige Debatte: Alles übertrieben, keine reale Gefahr, europäische Bürokraten gefährden unsere tüchtige Wirtschaft. Eigentlich hätte man eine Wette darauf abschließen können, dass diese Diskussion ausbricht, wenn der Ausnahmezustand länger als zwei Tage dauern würde.

Dabei gehört es zum Charakter jedes Frühwarnsystems, dass es präventiv agiert. Nicht auf jede Tsunami-Warnung folgt ein Tsunami. Und die Aschewolke könnte Flugzeugen gefährlich werden. Man tut wohl besser daran, es nicht auszuprobieren.

Davon einmal abgesehen verhalten sich Staat und Behörden angesichts der kaum wahrnehmbaren Gefahr durch die isländische Asche nicht anders als bei vergleichbaren Gefährdungen. Die Politiker können auch gar nicht anders angesichts der in Europa und speziell in Deutschland verwurzelten Vollkasko-Mentalität der Gesellschaften. Wir wollen zwar spekulieren, aber vor Verlusten geschützt werden. Wir sind auch nicht bereit, irgendein Risiko bei der Schweinegrippe hinzunehmen, die uns ja allen Frühwarnsystemen zufolge zu Tausenden hingerafft hätte. Wir nehmen extrem übel, wenn die Lebensmittelkontrolle irgendwelche Sauereien mit Fleisch nicht mitkriegt, obwohl schon am Preis ersichtlich wäre, dass das das Gegenteil von Qualität ist.

Nur: Vollkasko kostet! Die finanziellen Kosten dafür trägt meistens die Allgemeinheit: indem sie den nicht benötigten Impfstoff bezahlt, oder über eine größere Kontrollbürokratie, oder über Rettungsaktionen für notleidende Banken.

Pech nur, dass die isländische Asche erst einmal zulasten einer Branche geht. Aber Gemach: Der fürsorgliche Staat, das heißt der Steuerzahler, wird auch die Fluggesellschaften nicht im Ascheregen stehen lassen. In einer hypermobilen Gesellschaft sind ja auch die systemrelevant.
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