Der norwegische Sänger Sivert Høyem

Düstere Melancholie eines Nachtmenschen

Nordlicht im norwegischen Kattfjordeidet.
Sivert Høyem erzählt in seinen Songs von Ausflügen in dunkle Gefilde und somnambulen Traumlandschaften. © picture alliance / Hinrich Bäsemann
Von Carsten Beyer · 01.02.2016
Die norwegische Rockband Madrugada hat noch immer viele Fans, auch wenn es sie seit fast zehn Jahren nicht mehr gibt. Sänger Sivert Hoyem macht seitdem unter eigenem Namen weiter: Nicht mehr so hart, nicht mehr so rockig, aber immer noch dunkel-traurig.
"Manchmal würde ich mir wünschen, ich käme einfach aus dem Nirgendwo – mit einem tollen Album – und niemand hätte meinen Namen schon mal gehört. Dann würden mich die Leute wahrscheinlich viel unbefangener hören. Aber wenn Du älter wirst, dann ist das so, dann hast Du einfach eine Geschichte."
So traurig, so nachdenklich, wie er in seinen Songs manchmal klingt, ist Sivert Høyem eigentlich gar nicht. Im Gegenteil: In diesen Tagen ist der 39-Jährige gut gelaunt wie schon lange nicht mehr. Der schmächtige Mann mit dem markanten Kahlkopf ist vor einiger Zeit Vater geworden – und er hat auch beruflich einen guten Lauf. Høyem hat es endlich geschafft, sich als Songwriter aus dem langen Schatten seiner Madrugada-Vergangenheit zu lösen. Er hat eine gute neue Backing-Band gefunden, und bei den Aufnahmen zu seinem neuen Album lief endlich mal alles nach Plan.
"Diesmal hatte ich ganz genaue Vorstellung davon, was ich im Studio machen wollte. Ich hatte die Songs im Kopf schon fertig. So ein bisschen nach Pop der 60er-Jahre sollten sie klingen, mit einem üppigen Sound, mit Streichern und so: Gleichzeitig wollte ich aber auch, dass die 80er eine Rolle spielen, die fetten Drums und die metallischen Percussion-Sounds aus dieser Zeit. Es ist das erste Mal, dass ich ein Album aufgenommen habe, das wirklich genauso klingt, wie ich es mir vorgestellt habe. Das ist schon ein gutes Gefühl!"
Sivert Høyem lehnt sich an 80er an
"Lioness" ist tatsächlich Sivert Høyems bislang bestes Album. Mal episch, mal verhalten, aber immer voller Dynamik ist die Musik. Mit seinem mächtigen Bariton platziert sich der Norweger zwischen Folkballade, Kammerpop und breitwandigen Rock – Nummern, vorzugsweise in Moll. Die frühen Solo-Alben von Nick Cave haben hier Pate gestanden, Springsteen in seiner "Born in The USA"-Phase und überhaupt die Pop-Musik der Achtziger Jahre. Musik aus einer Zeit, als das Genre noch nicht von synthetischen Beats und einförmigen Produktionsstandards dominiert wurde. Heute, sagt Sivert Hoyem, sei "Pop-Musik" fast schon ein Schimpfwort. Da lehnt er sich doch lieber an die Vergangenheit an.
"Ich finde es faszinierend, welche Freiheiten die Popmusik in den 80er-Jahren noch hatte. Damals sind viele Dinge regelrecht durch die Decke gegangen: Der Sound, die Emotionen, die Produktion mancher Songs. All das macht mir heute noch Spaß - dass es eine Zeit gab, in der so was möglich war. Also, da schaue ich gerne zurück, weil es einfach so viel gute Musik gibt aus diesem Jahrzehnt."
In seinen Texten erzählt Sivert Høyem gerne von Ausflügen in dunkle Gefilde und somnambule Traumlandschaften. Høyem ist ein Nachtmensch, auch wenn er seinen Rhythmus in letzter Zeit umstellen musste – mit Rücksicht auf seinen kleinen Sohn und seine stillende Frau. "Lioness" ist aber noch komplett in den Nachtstunden entstanden – und das hört man dem Album auch an.
"Sleepwalking Man" - ein sehr persönlicher Song
"Nachts kann ich am Besten arbeiten, wenn ich alleine bin und mich niemand stören kann. Ich habe die Einsamkeit schon immer gemocht und diese ganz spezielle Stimmung, die nachts in einem Studio herrscht. Auch die Songs haben alle etwas mit der Nacht zu tun. Es geht zum Beispiel um das Schlafwandeln – und um den Schlaf als Idealzustand des Menschen. Es wird viel geträumt und geschlafen und so weiter."
"Sleepwalking Man" – so heißt die erste Single aus dem neuen Album. Es ist das persönlichste der insgesamt zehn neuen Songs auf "Lioness" und nicht zuletzt deshalb ist Sivert Høyem auch besonders stolz darauf. Er wollte seiner Frau und seinem kleinen Sohn erklären, wer er eigentlich sei – und habe die Entsprechung schließlich im Bild des Schlafwandlers gefunden.
"In Oslo, wo ich lebe, wird viel geredet. Ständig haben die Leute irgendwas zu diskutieren. Mich interessiert das gar nicht. Ich muss nicht die ganze Zeit reden. Darum geht’s in diesem Lied. Ich muss gestehen, als es fertig war, da war ich selbst ein bisschen überrascht, denn ich hätte nicht gedacht, dass mir das mal gelingen würde: ein Stück zu schreiben, in dem so viel von mir selbst drinsteckt."
Mehr zum Thema