Der Mystiker Rumi

"Wo die Liebe ist, gibt es kein Ich"

Die Entstehung des Mevlevi-Derwisch-Orden geht auf Dschalaluddin Rumi zurück. Hier eine Illustration mit tanzenden Derwischen aus dem 17. Jahrhundert.
Die Entstehung des Mevlevi-Derwisch-Orden geht auf Dschalaluddin Rumi zurück. Hier eine Illustration mit tanzenden Derwischen aus dem 17. Jahrhundert. © Imago/United Archives International
Von Joachim Hildebrandt · 01.11.2015
Er ist einer der berühmtesten Mystiker des Islam, einer der bedeutendsten Dichter des Persischen und Gründer des Ordens der tanzenden Derwische: Dschalaluddin Rumi. Seine Verse wurden jetzt neu ins Deutsche übersetzt.
Dschalaluddin Rumi, der in der Zeit von 1207 bis 1273 gelebt hat, war nicht nur Verfasser von Versen, sondern auch ein Mystiker. Er suchte Gott auf ekstatische Weise, durch rhythmisches Tanzen und Singen in der Sufi-Tradition. Seine eingängigen Verse sprechen heute viele an, die nach einem Sinn im Leben suchen. In Amerika gehören Rumis Gedichte zu den Bestsellern. Die Gedichte in dem kürzlich im Verlag Manesse erschienenen Band "Traumbild des Herzens" sind von dem Orientalisten Johann Christoph Bürgel ins Deutsche übertragen worden.
"Heut ist Reigen, Tanz ist, Tanz ist, Tanz!
Licht ist heut und Glanz ist, Glanz!
Abschied von Verstand ist, vom Verstand,
Weil die Liebe ganz ist, ganz ist, ganz."
(Gedicht Nr. 18 in "Traumbild des Herzens")
Die Wortwiederholung ist wie die Drehbewegung der tanzenden Derwische zu verstehen, sie erzeugt eine besondere Stimmung. Auffällt die Vieldeutigkeit seiner Liebeslyrik, die vor allem über die Vereinigung mit dem geliebten Menschen, mit dem Wanderderwisch Schams-i Tabrisi, spricht. Rumi war ein 37-jähriger ausgebildeter Rechtsgelehrter, als der 25 Jahre ältere Schams in sein Leben trat. Das Verhältnis der beiden Freunde sorgte für Gerede in der türkischen Stadt Konya, wo sie lebten. Farifteh Tavakoli ist Lektorin für besondere Aufgaben am Institut für Iranistik in Berlin. Sie hat sich eingehend mit Rumis Dichtung und Biographie beschäftigt.
"Rumi trug ihm seine Liebe als irdisches Vorbild der Vollkommenheit Gottes an. Somit hat er gewissermaßen eine mystische Erfüllung der Gottesliebe auf irdenem Boden erfahren."
Die sinnlich-erotische Dichtung war neu
Die intime Beziehung zwischen Rumi und Derwisch Schams-i Tabrisi war manchen ihrer Zeitgenossen ein Dorn im Auge. Denn hier ging es nicht um Aberglauben und Dogmatismus, sondern um eine spirituelle Ausprägung des Islams, den Sufismus. Die sinnlich-erotische Dichtung war etwas Neues in der damaligen Sufi-Literatur. Durch den Freund entdeckt Rumi seine höchste Sehnsucht, die unmittelbare Begegnung mit Gott.
"Bald schnalz ich mit den Fingern, weil ich Ihn seh,
Bald beiß ich mir in den Finger vor Liebesweh.
Ich greife, den Mond zu erhaschen, in einen See.
Da ruft von oben der Mond mir: Am Himmel ich steh."
(Gedicht Nr. 44 in "Traumbild des Herzens")
Der Geliebte ist nicht erreichbar und das Spiegelbild Gottes in seiner Schöpfung, der geliebte Mensch, ist nicht fassbar. Die Beziehung zu Schams-i Tabrisi dauerte gerade mal drei Jahre. Plötzlich verschwand er und man munkelte, er sei aus Neid auf die Freundschaft ermordet worden. Doch Rumi erkannte, dass er durch die innige Verbindung mit Schams eins geworden war. Im Schmerz der Trennung erlebte er ungeahnte schöpferische Kräfte, mit denen er seinen Freund in überschwänglichen Versen in Erinnerung rief.
"Wo die Liebe ist, gibt es kein Ich"
Mit einem geliebten Menschen ganz vereint zu sein, versteht Rumi als Symbol für die Verbindung mit Gott. "Wo die Liebe ist, gibt es kein Ich", heißt es bei Rumi. Warum sprechen diese Verse der islamischen Dichtung heutige Menschen so direkt an?
"Weil er das Elementare des Menschlichen anspricht, die Suche nach dem Sinn des Daseins. Mit seinen Gedichten entsteht immer eine Art Tor zu etwas, das vielleicht nicht definierbar ist. In der mystischen Erfahrung sind alle Menschen gleich. Und alle Menschen gehören zu einer "Meerseele", in der sie sich dann in der Liebe vereinen. Daher kennt man gar keine Schranken, was verschiedene Konfessionen anbelangt."
Dem Übersetzer Johann Christoph Bürgel gelingt es außerordentlich gut, uns den spirituellen Rumi nahe zu bringen. Durch das Bemühen, eine für uns heute sprachlich ansprechende Form zu finden, erschließt sich der klare Sinn der Gedanken von Rumi mitunter nicht so schnell. Deshalb hat der Übersetzer zu seinen Übertragungen aus dem Persischen noch eine wörtliche Übersetzung der Originaltexte mitgeliefert.
Rumi kann man verstehen als Brückenbauer zwischen den Religionen, der Gemeinsamkeiten zwischen Christen, Juden und Muslimen findet. Er stärkt das Gottvertrauen in uns, indem er uns ermutigt, den Menschen als Spiegelbild Gottes zu betrachten, egal welcher Religion er angehört.

Dschalaluddin Rumi: Traumbild des Herzens - Hundert Lebensweisheiten islamischer Mystik
Aus dem Persischen von Johann Christoph Bürgel
Verlag Manesse 2015,
139 Seiten, 19,95 Euro