Der Moment der Konfrontation

Von Daniel Stender · 13.11.2012
Über zehn Jahre hat Julian Röder für seine Serie "The summits" globalisierungskritische Demonstrationen fotografiert. Manche dieser Fotos erinnern an Ölgemälde von historischen Schlachten. Der Moment der Konfrontation zwischen Polizisten und Demonstranten steht dabei im Fokus.
"89 war ich acht oder neun. Und da habe ich mit meiner Mutter im Prenzlauer Berg gewohnt. Und wir haben Aktuelle Kamera, also DDR-Nachrichten geschaut."

" Im Zusammenspiel mit westlichen Medien rotteten sie sich am Alexanderplatz zusammen und riefen republikfeindliche Parolen."

"Und da wurde angesagt, im Moment zieht gerade der aufrührerische Chaoten-Mob die Greifswalder Straße in Richtung Dimitroffstraße blablabla."

"…dass beabsichtigte Provokationen nicht zur Entfaltung kamen, die Rädelsführer wurden festgenommen."

"Und genau in dem Moment, hatte man draußen schon die Stimmen gehört von den Leuten, die riefen, 'Kommt heraus, macht den Fernseher aus.' Wir sind dann runter und sind mitgelaufen, dann fuhren Panzer auf und meine Mutter hat entschieden, dass wir besser nach Hause gehen."

Gut 23 Jahre später ist Julian Röder 31 Jahre alt. Er wohnt mit Sohn und Frau in Berlin-Kreuzberg und erzählt von der ersten Demonstration seines Lebens.

"Damals kannte niemand Demonstrationen, und dass die so etwas auslösen können, und dass ein System, von dem man denkt, dass es bestehen bleibt, sich doch recht schnell ändern kann, das war später etwas, was mich immer da hingezogen hat."

Demonstrationen sind ein Leitmotiv im Leben Julian Röders – und in seinen Fotografien.

Leise Stimme, zurückhaltende Art – mit seiner runden Brille wirkt Julian Röder intellektuell. Kaum zu glauben, dass er für seine Serie "The summits" über zehn
Jahre globalisierungskritische Demonstrationen fotografiert hat. Und zwar genau dort, wo Demonstranten und Polizei aufeinandertreffen.

"Ich war gegen Ende der 90er so angenervt davon, dass meine Generation immer nur so kommerzielles Love-Parade Gedance cool fand und habe darauf gewartet, ob es nicht mal eine breite Jugendbewegung gibt, die das System so generell infrage stellt. Dieses System, was nur Wachstum zwanghaft braucht, um bestehen zu können. Damals bin ich mit Freunden nach Genua gefahren und es war Zufall, dass ich die Kamera mithatte. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass ich das auch dokumentieren wollte und dann bin (ich)zum Fotografieren hingefahren."

Angefangen hat Röder seine Fotoserie bei der G8 Tagung in Genua 2001, bei der ein Demonstrant von der Polizei erschossen wurde. Die Medien – hier der Fernsehsender RTL – sprachen von chaotischen Zuständen.

"Demonstranten und Polizei lieferten sich rund um die abgeriegelte Zone regelrechte Straßenschlachten. Müllcontainer und Autos gingen gleich reihenweise in Flammen auf. ".

"Das ist Tränengas. Man sieht hier oben links eine Tränengasgranate, die in der Luft gerade fliegt."

Fliegende Tränengasgranaten, vermummte Demonstranten mit Pflastersteinen, gepanzerte Polizisten, die Schlagstöcke schwingen:

"Das (ist) so eine Massenpanik, die ausgelöst wurde, weil die Polizei recht schnell vorgestürmt ist und ich bin mit dem Teil, der diese kleine Treppe hochgegangen ist, und habe von dieser Treppe runter das Bild gemacht."

Röders Bilder wurden mit den Schlachtengemälden vergangener Jahrhunderte verglichen. Die auf den Fotos gezeigte Gewalt wirkt abstrahiert und gleichzeitig konkret - vielleicht weil Julian Röder mittendrin war.

"Jenseits von politischen Beweggründen, (habe) ich da ganz simpel eine Faszination, von so archaischen Auseinandersetzungen – eben nicht mit so Distanzwaffen wie im Krieg, sondern wo Mensch gegen Mensch kämpft, also: der besser ausgerüstete Mensch gegen den weniger gut ausgerüsteten Menschen."

Mittlerweile haben Röders Arbeiten andere Motive: Für die Agentur Ostkreuz macht er journalistische Reportagen. Ein Job, der es ihm ermöglicht, seine eigenen Bilder umzusetzen – für die er sich Zeit nimmt, deren Hintergründe er sorgfältig recherchiert.

"Es sollen keine Bilder sein, die 'aufrütteln' oder so. Eigentlich geht es bei fast allen Sachen, die ich mache darum, für mich selbst etwas über die Welt herauszufinden."

Für die Reihe "World of Warfare" reiste er auf eine Waffenmesse in Abu Dhabi – und fand dort eine groteske Szene vor: Autokraten und westliche Politiker, die wie in überzeichneten Comics vor Panzern und vergoldeten Patronen posieren.
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Julian Röders Bilder werden in Magazinen gedruckt und in Museen ausgestellt – und manchmal klebt er selbst sie auch für eine Open-Air-Ausstellung mit Pinsel und Leim auf einen Bauzaun.

"Dass ist hier so ein Durchgang, wo ganz viele Leute, die zur S-Bahn hasten, vor Arbeit und nach Arbeit vorbeikommen."

Das Bild auf dem Zaun zeigt Polizisten und Demonstranten im Moment vor der Konfrontation. Für Röder ist der Bauzaun am S-Bahnhof Ostkreuz ein geeigneter Ausstellungsort. Ein Schlachtengemälde zwischen Wurstbude und Bahnsteig.

"Die Idee ist, dass sich die Leute auch hier dran beteiligen können und eigene Bilder und Kommentare am Bauzaun hinterlassen. Oder sie abreißen, wenn es ihnen nicht gefällt. Weil ich es auch gut finde, wenn die Bilder nicht nur so im Galeriekontext hängen und dass es auch Leute sehen, die nicht nur mit Kunst zu tun haben."

Weitere Informationen:

Julian Röder in der Gruppenausstellung "Über Grenzen" (9.11.2012 bis 30.12.2012) im Haus der Kulturen der Welt in Berlin
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