Der Mann zum Ausheulen

Von Michael Hollenbach · 25.08.2012
Niederlagen wegzustecken ist für Sportler wichtig, um sich auf den nächsten Wettkampf konzentrieren zu können. Bei den Paralympics sind daher neben Psychologen auch kirchliche Seelsorger dabei. Das deutsche Team wird vom evangelischen Pastor Christian Bode begleitet.
Stephanie Grebe trainiert wenige Tage vor den Paralympics noch einmal intensiv Schmetterbälle. Die 24-Jährige kam ohne Hände und ohne rechten Unterschenkel zur Welt. Eine Kunststoffhand ist direkt mit dem Tennisschläger verbunden. Diese ungewöhnliche Konstruktion befestigt sie geschickt mit einem Klettverschluss an ihrem rechten Arm. Trotz ihres Handicaps kann sie den Bällen einen enormen Drall geben oder sie mit viel Slice als Stoppball spielen.

"Ich merke den Ball immer, wenn er auf dem Schläger aufkommt, die ganzen Vibrationen, und habe damit doch ein gutes Ballgefühl."

Stephanie Grebe hat den Sprung nach London geschafft. Viele ihrer Mitstreiter, die von den Paralympics geträumt haben, müssen zu Hause bleiben. Fuhren zu den Olympischen Spielen mehr als 400 deutsche Sportlerinnen und Sportler, so sind es bei den Paralympics nur 150.

Die Hamburger Studentin der Sozialökonomie ist vor einigen Jahren von Christian Bode entdeckt worden, als der noch Trainer im Behindertensport war. Heute ist er evangelischer Gemeindepfarrer im niedersächsischen Holzminden und als Seelsorger in London dabei. Bode kritisiert, dass in den Behindertensport wesentlich weniger Mittel fließen als in das Olympiateam. So haben zum Beispiel die deutschen Olympiasieger von der Sporthilfe 15.000 Euro für eine Goldmedaille bekommen; die Sieger bei den Paralympics erhalten dagegen nur 4500 Euro.

Dabei sein ist alles - das gilt längst nicht mehr. Früher fuhren die Sportler in den aussortierten Trainingsanzügen der Fußballnationalmannschaft zu den Paralympics; heute wird auch der Behindertensport immer mehr zum Beruf, sagt der Sportpfarrer:

"Es ist zu erkennen, dass es deutlich mehr Profisportler gibt. Menschen, auch mit Behinderungen, die sich über Sponsoren und Wettkämpfe finanzieren."

Am deutlichsten wird dies bei Oskar Pistorius, dem südafrikanischen 400-Meter-Läufer, der trotz Beinprothese bei den Olympischen Spielen angetreten ist. Ein Beispiel für gelebte Inklusion, freut sich der Pfarrer:

"Ich würde mir persönlich sehr wünschen, dass es die Wettbewerbe tatsächlich gemeinsam gäbe, auch wenn das den Rahmen sprengen würde. Das wäre eine Vision und ein Traum, dass wir da nicht mehr differenzieren."

In Peking war Christian Bode noch im Trainingsanzug des deutschen Tischtennisteams unterwegs; in London trägt er auf seinem schwarzen Jackett ein Ansteckkreuz und einen weißen Stehkragen, einen Kollar, um als Pfarrer sofort erkennbar zu sein.

"Man muss erst mal sich selber verstehen als Exot in einem System, das auf Leistung, das auf Medaillen ausgerichtet ist. So will ich vielleicht Kraftquelle und Tankstelle für die Seele sein. Einen anderen Raum bieten - wo sich alles auf Leistung und Wettkampf orientiert, dann eher ein ruhender Pol zu sein, der mit einem offenen Ohr kommt."

Um die richtigen Worte ringend spürt man, dass der ehemalige Trainer seine neue Rolle im Paralympic-Team noch sucht. Denn er weiß, dass die Sportler vom Physiotherapeuten bis zum Psychologen für jedes Problem ihren Experten vor Ort haben. Braucht man da noch einen Seelsorger?

"Die Fachexperten des Sport bis hin zu den Therapeuten, die sind wichtig und richtig. Und gleichzeitig bringen wir als Pastoren eine Dimension mit und einen Raum, der so nicht bietbar ist, nämlich eben das offene Ohr, das nicht nur therapiert auf Leistung, sondern eben Kraft gibt auf ganz anderer Ebene. Oder einfach auch mal ankommen lässt - bei Sieg oder Niederlage."

Christian Bode wird mit seinem katholischen Kollegen Gottesdienste und Andachten im olympischen Dorf anbieten - wohl wissend, dass der Zulauf überschaubar sein wird. Zumal er in der Kirche nicht für den Sieg seiner Schützlinge beten wird:

"Wir beten für gute Leistungen und Fair Play; ob es einen Gott des Sieges gibt, das möchte ich bezweifeln."

Noch immer werden die Paralympics als die Olympischen Spiele für Behinderte bezeichnet. Dabei ist der Begriff "Behinderte" doch sehr fragwürdig, meint der evangelische Pfarrer:

"Eine einheitliche Definition, die ist noch nicht gefunden. Ich würde mir wünschen, wir würden von Menschen mit Grenzen sprechen und Möglichkeiten. Jedem sind Gaben gegeben und jedem sind Grenzen gesetzt."

Die Grenzen, die Stephanie Grebe ohne Hände und rechten Unterschenkel hat, sind offensichtlich. Aber ihr Talent als außergewöhnliche Tischtennisspielerin auch.

"Ich mache das jetzt zwölf Jahre und nach zwölf Jahren zum ersten Mal zu Olympia zu fahren, die Leistung zu erbringen, das ist schon was, aber da steckt auch viel harte Arbeit hinter. Es ist schon ein Lebenstraum."

Die Hamburgerin hofft natürlich auf eine Medaille. Wenn es nicht klappt, dann wäre sie schon sehr enttäuscht. Aber dann gibt es ja noch den Seelsorger Christian Bode:

"Dann hat man zumindest mal jemanden, bei dem man sich ein bisschen ausheulen kann. (lacht)"


Mehr zum Thema:

Rückkehr mit Rekorden
In London werden die Paralympics organisiert (DLF)

Blindlings vom Schuhmacher zum Olympiasieger
Laufwunder aus Kenia startet durch bei Paralympics (DLF)

Sprint auf Rädern
Marc Schuh - vom Benjamin zum Medaillenkandidaten im Paralympics-Team (DLF)
Mehr zum Thema