Der Mann mit den Hyänenaugen

Von Bernd Ulrich · 24.04.2012
Der vor 175 Jahren geborene Diplomat Friedrich von Holstein sollte zum Inbegriff einer Grauen Eminenz werden, einem Politiker, der aus der zweiten Reihe die Fäden zieht. Bis zu seinem Tod im Jahre 1909 prägte von Holstein die Außenpolitik des Deutschen Kaiserreichs.
Wortmächtig formulierte der Schriftsteller und Publizist Maximilian Harden im Juni 1906:

"Berlin, Großbeerenstraße 40, dicht am Kreuzberg. Hier ist`s still. Kein Bierpalazzo, kein Prunkladen. Doch just hier war der Puls deutscher Politik hörbarer als sonst irgendwo. In diese Parterrewohnung liefert das Postamt gewiss die interessantesten Briefe. Adressiert an: ´Seine Exzellenz dem Herrn Wirklichen Geheimen Rat Baron Fritz von Holstein`."

Tatsächlich, hier, in der Nähe des Berliner Kreuzbergs, lebte in seinen letzten Lebensjahren Friedrich August Karl Ferdinand Julius, genannt Fritz von Holstein. Geboren am 24. April 1837 in Schwedt, war er nach einem Jurastudium 1860 in den diplomatischen Dienst des Königreichs Preußen eingetreten, von Anfang an gefördert und geprägt durch Otto von Bismarck. Der nannte ihn einmal "den Mann mit den Hyänenaugen", was wohl heißen sollte, dass Holstein von kühl-beherrschtem Wesen war, lauernd und auf seine Chance wartend im Geduldsspiel der Diplomatie. All dies zeichnete ihn aus, auch als er nach Bismarcks Abschied im Jahre 1890 - immer aus der zweiten Reihe heraus - unter drei weiteren Reichskanzlern die deutsche Außenpolitik entscheidend mit bestimmte.

In die Berliner Großbeerenstraße zog von Holstein, kurz nachdem er seinen Rücktritt eingereicht hatte. Der war am 16. April 1906 - zu seiner maßlosen Überraschung - auch angenommen worden. Hatte es zuvor nicht immer wieder gut funktioniert? Den Rücktritt anzubieten, um den eigenen Zielen Durchsetzungskraft zu verleihen? Oder auch, um die eingefädelten Intrigen zu verschleiern? Darin aber hatte es Holstein zur wahren Meisterschaft gebracht, so sehr, dass der Begriff der "Grauen Eminenz", den Maximilian Harden für ihn fand, seit seinen Tagen sprichwörtlich geworden ist.

Holstein scheiterte am Ende an der ersten Marokkokrise von 1905/1906, einer Krise, die nicht zuletzt er um den Preis der erwünschten Schwächung Frankreichs angeheizt hatte.

Der Historiker Gerd Fesser bemerkt, dass er gemeinsam mit Reichskanzler Bülow:

"die französische Expansion in Marokko stoppen, zugleich Frankreich demütigen und damit die neue englisch-französische Entente nachhaltig schwächen wollte."

Die Rechnung ging zunächst auch auf. Doch, so Fesser weiter,

"die internationale Konferenz, die von Januar bis April 1906 in der spanischen Stadt Algeciras tagte, endete mit einer schweren Niederlage für Deutschland: Die Konferenzmehrheit übertrug allein Frankreich die Kontrolle über die Polizei sowie das Finanz- und Zollwesen Marokkos."

Der Schlag gegen Frankreich also misslang. Und auch die Annäherung zwischen Frankreich und England konnte nicht verhindert werden. So musste Holstein zurücktreten, jener Mann, der nicht müde wurde, das Credo seiner außenpolitischen Vorstellungen zu wiederholen, ein Credo, das sich vor allem gegen eine Vorherrschaft des mit Russland verbündeten Frankreich richtete:

"Unsere Stellung in der europäischen Politik ist eine einfache und klare: Solange Frankreich und Russland eine Gruppe bilden, haben wir in verstärktem Maße die Aufgabe, das europäische Gleichgewicht dadurch zu wahren, dass wir dafür eintreten, dass durch jene Gruppe nicht schwächere Gruppen oder einzelne Mächte erdrückt werden."

Das klang nach Bismarck. Aber es klang nur so. Denn in der veränderten Welt des frühen 20. Jahrhunderts wurde durch das Unvermögen Holsteins und anderer eben das Wirklichkeit, was Bismarck um jeden Preis verhindern wollte: der Albtraum der gegen Deutschland gerichteten Koalitionen. Sie nahmen nun vor allem in der Entente Cordiale zwischen Frankreich und England Gestalt an - ein Bündnis, das Holstein eigentlich für völlig unmöglich gehalten hatte. Maximilian Harden:

"War dieses Leben glücklich zu preisen? Herr von Holstein ist ans Ziel seines Wunsches gelangt: Er hat geherrscht, in seinem Winkel alle Wonnen der Macht ausgeschlürft. Wenn er heute aber zurückschaut: Wo liegen seine Reiche? Als Bismarck ging, war Frankreich, als Holstein ging, war Deutschland vereinsamt."

Beziehungsweise außenpolitisch isoliert. Und sah sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs - wie es der Kaiser in naivem Stolz verkündete - einer "Welt von Feinden" gegenüber. Dafür trug - neben anderen - auch Holstein die Verantwortung.