Der Magnetsinn weist den Weg

Franz Bairlein im Gespräch mit Katrin Heise · 09.05.2011
Erst seit 1822 in Mecklenburg ein Storch mit einem reich verzierten afrikanischen Pfeil im Hals gefunden wurde, weiß man, dass Vögel im Winter bis nach Afrika fliegen - und wieder zurück. Sie orientieren sich an den Gestirnen und am Erdmagnetfeld, für das sie offenbar einen eigenen Sinn haben.
Katrin Heise: Professor Franz Bairlein beschäftigt sich als Direktor des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven mit der Zugvogelforschung, außerdem lehrt er an der Uni Oldenburg und ist Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft, schönen guten Tag, Herr Bairlein!

Franz Bairlein: Tag, Frau Heise!

Heise: Wie wichtig ist dieses Magnetfeld der Erde für die Orientierung der Vögel?

Bairlein: Es ist mit das wichtigste Orientierungsmittel für Vögel, die bei Nacht ziehen, insbesondere in solchen Nächten, in denen sie die Gestirne nicht sehen können.

Heise: Und wie merken die denn dieses Magnetfeld, womit nehmen die das wahr, haben die mehr Sinne als wir Menschen?

Bairlein: Ja, dieses war lange Zeit ein Mysterium, denn dass Zugvögel das Magnetfeld, das Erdmagnetfeld für ihre Orientierungsleistung auf dem Zug benutzen, ist letztlich schon seit 50 Jahren bekannt, aber erst so die letzten 15, zehn bis 15 Jahre hat man mehr erfahren, wo denn dieser sogenannte Magnetsinn liegt. Und wir können heute sagen, dass es im Grunde zwei verschiedene Magnetsinne gibt, die aber höchstwahrscheinlich miteinander korrespondieren.

Heise: Sie sprechen richtig von Magnetsinnen?

Bairlein: Inzwischen kann man von einem Magnetsinn oder von Magnetsinnen sprechen, denn es sind zwei Sinnesbereiche entdeckt worden. Das eine ist, dass es Eisenmineralien gibt im Oberschnabel der Vögel, die eben an Nervenendigungen andocken, und wenn es im Magnetfeld zu Veränderungen in diesen Eisenmineralien kommt, signalisiert dieses zum Gehirn. Und dann gibt es eben noch einen Magnetsinn, der über das Auge wahrgenommen wird, oder das Magnetfeld wird über das Auge wahrgenommen, und das ist insbesondere der Sinn, der benutzt wird von Zugvögeln, die nachts zum ersten Mal auf ihre lange Reise gehen.

Heise: Warum ist das wichtig für nachts, also ist das da besonders stark, das Magnetfeld?

Bairlein: Es ist nicht besonders stark, aber wir wissen durch Radaruntersuchungen beispielsweise seit Langem, dass Vögel bei Nacht, auch bei bedecktem Himmel ziehen, und mit nahezu der identischen Orientierungsfähigkeit, wie wenn sie Gestirne sehen würden. Und da war eben die große Frage, nachdem man wusste, dass das Magnetfeld eine Rolle spielt, wie nehmen sie es denn wahr?

Heise: So, und jetzt haben die das entweder im Auge oder im Schnabel. Was passiert dann im Vogel?

Bairlein: Beginnen wir mal mit dem, was, der erste Wegzug, die Vögel dazu brauchen, nämlich diese Orientierungsleistung, dass sie in eine Richtung ziehen, die ihnen angeboren ist und wo sie dann eben das Magnetfeld als Kompass nutzen, um ihren Weg zu finden. Die natürlichen Änderungen des Magnetfeldes, die werden über lichtempfindliche Moleküle in der Netzhaut wahrgenommen durch einen sehr komplizierten chemisch-physikalischen Prozess, in jedem Falle gibt es aber quasi unterschiedliche Zustände dieser Moleküle. Und diese unterschiedlichen Zustände werden von Nerven in das Gehirn übertragen in eine Region im Vorderhirn, und in diesem Vorderhirn wird eben diese Information verrechnet, und daraus kann der Vogel ableiten, wo er sich gerade befindet.

Heise: Fliegen ohne Navigationsgerät - über die Orientierung der Zugvögel spreche ich im Rahmen unserer Vogelwoche mit dem Ornithologen Franz Bairlein. Herr Bairlein, ist es dann immer auch davon abhängig, dass die Vögel sich quasi erinnern, also geht das nur bei erwachsenen Vögeln, die diesen Weg schon mal geflogen sind?

Bairlein: Dieses ist eben gerade nicht der Fall, und das ist eins der besonders spannenden Momente. Denn wenn Sie beispielsweise ein Kuckuckhirn nehmen, der sogar von einem Nichtzugvogel aufgezogen werden kann, findet er trotzdem seinen Weg nach Afrika, als junger Kuckuck, der zum ersten Mal wegzieht. Und dazu hat er eben eine angeborene Information über die Zugwegrichtung, und mit Hilfe des Erdmagnetfeldes findet er diesen Weg, beispielsweise eben als Kuckuck von hier nach Ostafrika.

Heise: Kann das Magnetfeld für die Vögel eigentlich auch gestört werden durch irgendwelche Dinge, die der Mensch errichtet?

Bairlein: Dieses macht uns in der Tat Sorge, denn wir wissen, dass eine ganze Reihe von Beeinflussungen des Magnetfeldes denkbar sind. Wir wissen viel zu wenig, wie weit es Vögel beeinträchtigt, aber wir dürfen annehmen, dass es Vögel beeinträchtigt, zumal wir eben wissen, wie wichtig für die Vögel dieser funktionierende Magnetsinn für ihre erfolgreiche Zugleistung ist.

Heise: Inwieweit spielen denn jetzt eigentlich die Sterne noch eine Rolle?

Bairlein: Die Sterne spielen zweifelsohne eine Rolle. Nach dem Motto: Wenn ich die Sterne sehe, mache ich es mir relativ einfach, und dann ziehe ich mithilfe der Sterne, dies ist unbestritten der Kompass, den die Vögel benutzen, wenn sie Gestirnsicht haben. Aber es gibt ja auch Konfliktsituationen, wo die Vögel, die zum ersten Mal wegziehen aus der nördlichen Hemisphäre, in einen Himmel kommen, den sie noch nicht kennenlernen konnten, nämlich in die südlichen Hemisphäre, südlich des Äquators. Und für diese Übergangssituation nutzen sie dann eben auch bei klarer Gestirnsicht letztlich das Magnetfeld. Und das zeigt, dass das Erdmagnetfeld der entscheidende Faktor ist, nach dem sich die Vögel erfolgreich orientieren.

Heise: Das heißt, sie schalten dann irgendwie um zwischen den verschiedenen GPS-Möglichkeiten?

Bairlein: Ja, was die Vögel machen, wenn sie aus dem nördlichen Gestirnfeld entweichen, also rausmüssen, dann nutzen sie das Magnetfeld, gleichzeitig kommen sie aber dann am magnetischen Äquator in eine Region, wo sie das Magnetfeld nicht mehr wahrnehmen können. Vorher eichen sie sich aber ein in ihrer Gestirnsicht auf die südlichen Sterne und können dann über diese Magnetfeldruhezone quasi mit Gestirnsicht weiterziehen, sodass es eine Kombination dieser beiden wichtigsten Mechanismen ist.

Heise: Das ist ja schon alles sehr erstaunlich, wie sich das anhört. Wir hatten auch den Schnabel schon, da haben Sie beschrieben, dass da auch der Sinn schon drin liegt, jetzt kommen wir mal zum Geruchssinn: Forscher am Max-Planck-Institut haben wohl herausgefunden, dass Vögel mit verschlossenem rechten Nasenloch Orientierungsprobleme haben. Fliegen die Vögel also auch der Nase nach?

Bairlein: Wir wissen seit relativ langer Zeit durch Untersuchung an Brieftauben, dass Vögel in der Lage sind - die zurückkehren, eine Brieftaube, die versetzt ist zu ihrem Heimatschlag -, sich an der Duftmarke sozusagen der Landschaft orientieren können. Es ist dann gezeigt worden schon für eine Reihe von Seevögeln wie Albatrossen. Mittlerweile wissen wir mehr und es ist in der Tat so, dass insbesondere Seevögel, aber vermutlich auch einige Vögel, die über Land ziehen, die größeren Vogelarten, sehr, sehr gut riechen können, und dass sie durchaus Geruchskarten der Landschaft auch für ihre Orientierung nutzen können.

Heise: Sie sagten, Herr Bairlein, dass seit circa 15 Jahren Forscher eben mehr darüber wissen, über diese Sinne, die Vögel mehr haben, diese Orientierungssinne, die Vögel mehr haben als wir. Haben Sie das Gefühl, es verändert sich auch mit der Zeit die Wichtigkeit dieser Sinne beziehungsweise welcher da wie benutzt wird?

Bairlein: Ich glaube nicht, dass sich das grundsätzlich verändert. Das Entscheidende ist, dass die Vögel sich nicht auf einen einzigen Mechanismus verlassen, sondern eben dieses ganze Set an Mechanismen haben, sodass sie in gewissen Situationen eben das eine oder andere nehmen. Wir wissen aber auch durch sogenannte Konfliktexperimente, dass der Magnetkompass, also das Erdmagnetfeld der wichtigste Mechanismus ist, auf den die Vögel sich dann auch verlassen können. Denn dieses ist ein System, was ja auch bei schlechter Sicht immer verfügbar ist. Und es war eben lange Zeit ein Rätsel, womit nehmen Vögel Magnetfeld wahr, es gab ja keinen klassischen Sinn dafür. Inzwischen wissen wir eben, dass es dafür das Auge gibt und dass es einen anderen Mechanismus noch gibt, der im Schnabel liegt.

Heise: Wie haben Sie das eigentlich herausgefunden?

Bairlein: Dieses wird in der Regel dadurch gemacht, dass man die Vögel in Gefangenschaft hält. Man kann sie in sogenannten Rundkäfigen halten, wo sie in der Nacht, wenn sie ziehen, sich in einer bestimmten Richtung orientieren, das ist sozusagen die Entweicherichtung, dieses entspricht dem, was sie im Freiland tun würden, und dann kann man eben künstliche Magnetfelder anlegen, kann das Magnetfeld ändern, und sieht dann, ob die Vögel dem Magnetfeld, der Änderung, der künstlichen Änderung folgen oder eben nicht. Und dies ist gezeigt, sie folgen genau den Magnetfeldveränderungen in ihrer subjektiven Orientierung, die wir ihnen experimentell vorgeben. Und so war der Beleg angetreten, dass sie das Magnetfeld für ihre Orientierung nutzen.

Heise: Und dass sie diesen Sinn im Auge beziehungsweise im Schnabel haben?

Bairlein: Dieses untersucht man dann durch eine ganze Reihe anderer Experimente. Ein wichtiges Experiment ist beispielsweise, dass man die Augen verbindet, sodass sie also kein Licht sehen können. Und in der Tat, wenn man Zugvögel, die hoch motiviert sind, die die Nacht vorher noch gezogen sind, in der anderen Nacht die Augen verbindet, dass sie kein Licht wahrnehmen können, dieses Restlicht der Nacht wahrnehmen können, dann sind sie desorientiert.

Heise: Können wir Menschen eigentlich irgendwas für unsere Technik von den Vögeln und ihren zusätzlichen Sinnen lernen?

Bairlein: Was wir schon gelernt haben: Als vor etwa 50 Jahren zum ersten Mal an Zugvögeln nachgewiesen worden ist, dass Organismen, dass Tiere das Erdmagnetfeld wahrnehmen können, seither nehmen wir das auch für den Menschen sehr ernst. Und wir wissen heute, dass beispielsweise moderne Hochbauten, Stahlbetonbauten durchaus unser Magnetfeld in unserer eigenen Umgebung beeinträchtigen und wir durchaus auch psychosomatische Erkrankungen dadurch haben können.

Heise: Also da sprechen Sie auch darauf an, was ich vorhin gefragt habe, inwieweit das Magnetfeld für die Vögel gestört wird durch unseren Eingriff.

Bairlein: Das ist das eine, aber auch durch Bauten überhaupt, in denen wir ja oft vom Erdmagnetfeld abgeschirmt, weitgehend abgeschirmt oder "gestört" leben. Wir wissen in jedem Fall, seit man an Vögeln das zum ersten Mal nachgewiesen hat, dass auch wir Menschen erdmagnetfeldsensitiv sind.

Heise: Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven und Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft, vielen Dank für dieses Gespräch!

Bairlein: Ich bedanke mich!

Die große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur - ornithologische Themenwoche
Mehr zum Thema