Der letzte deutsche Kaiser im Porträt

21.01.2009
Ein Kaiser, wie ihn sich anständige liberale Bürger nur wünschen konnten: tolerant gegenüber Bürgerlichen, Juden, Katholiken, offen für neue Ideen - so sieht der Sozialhistoriker Joska Pintschovius Wilhelm II.. Entsprechend ist seine Biografie keinesfalls ein vorurteilsfreies Porträt, wie vom Verlag angepriesen, - wenn auch unterhaltsam geschrieben.
Das Buch von Joska Pintschovius ist die vierte gewichtige Biografie, die in den vergangenen zwölf Monaten über den letzten deutschen Kaiser auf den Markt gekommen ist. Zuerst erschien der dritte Band von John C.G. Röhls einzigartig breit recherchiertem Monumentalwerk, in dem seit 1993 Wilhelm II. als untalentierter, rückwärtsgewandter, aber doch auch machtvoll regierender Herrscher dargestellt wird.

Der ebenfalls britisch geprägte Australier Christopher Clark hingegen sieht in seiner im Jahr 2000 erstmals in englischer Sprache und jetzt endlich auch in Deutsch erschienener Biografie die widersprüchliche und hektische Politik Wilhelms II. als Teil jener Modernisierungsprozesse, die um 1900 ganz Europa durchschüttelten.

Eberhard Straub lässt in seinem manchmal fast schon peinlich monarchistisch begeisterten Buch den Kaiser zu einem Vorkämpfer für die bürgerliche Moderne werden, so wie ihn Nicolaus Sombart schon 1996 als "Herrscher der bürgerlichen Mitte" idealisiert hatte..

Nun beschreibt Joska Pintschovius in seinem Buch über den "Bürgerkaiser Wilhelm II." nicht mehr die preußisch-deutschen Eliten oder den selbstherrlich agierenden Kaiser, sondern nationalistisch-völkische Kleinbürger und eroberungssüchtige Militärs als die eigentlich Schuldigen am Ersten Weltkrieg und dessen Folgen.

Ein gut geschriebenes und erfreulich humorvolles Buch, das unglücklicherweise vom Verlag mit der Behauptung annonciert ist, "erstmals" werde ein "vorurteilsloses" Portrait Wilhelms II. gezeichnet. Selbstverständlich hat auch der Kulturhistoriker Pintschovius, der früher an Museen arbeitete und über die Hexenverfolgungen ein sehr erfolgreiches Buch schrieb, seine Vorurteile. Vor allem sieht er so ziemlich alle, die sich kritisch mit dem Leben und Werk Wilhelms II. auseinandersetzten, als vorurteilsbeladene Historiker an, die einfach nicht verstanden hätten, dass ein Monarch anderen Lebensgesetzen folge als ein Bürger oder Arbeiter.

Konsequenterweise gibt es auch kein Literaturverzeichnis und die Anmerkungen verzeichnen nur Quellenwerke. Dabei sind die Feinde, gegen die Pintschovius anschreibt, klar zu benennen: vor allem Röhls These von der Mitschuld Wilhelms II. am deutschen Desaster des frühen 20. Jahrhunderts nimmt er aufs Korn.

Pintschovius sieht Wilhelm II. als einen Kaiser, wie ihn sich anständige liberale Bürger nur wünschen konnten: tolerant gegenüber Bürgerlichen, Juden, Katholiken, offen für neue Ideen, frisch in der Tat und im Wort, etwas laut, aber als jemanden, der versuchte, seinem Volk und dessen Bedürfnissen zu dienen, auf dessen Stimme zu hören.

Die lautesten Stimmen waren um 1900 aber nicht die Liberalen oder die Sozialdemokraten, sondern nationalistische Verbände und Parteien wie die Alldeutschen. Nach Pintschovius versuchte Wilhelm II. deren Rufe nach deutscher Superiorität abzumildern, indem er sie in seine Reden aufnahm, in seinem politischen Handeln aber zu ignorieren versuchte. Es seien die Kanzler, die Medien und Parteien gewesen, die Wilhelm II. immer wieder auf nationalistische Abwege geschickt hätten.

Immerhin, das Volk dankte ja auch, jubelte, wenn der Kaiser kam, wählte aber dennoch nicht preußisch-konservativ, sondern nationalistisch, sozialdemokratisch oder das katholische Zentrum. Ein Widerspruch, den Pintschovius damit erklärt, dass Wilhelm II. gar keine Probleme damit gehabt habe. Es seien nur Historiker wie Röhl oder Mommsen gewesen, die immer aufs Neue die rednerischen Ausbrüche des Monarchen, die Angriffe auf seine Gegner, die fatalen Randbemerkungen auf Akten und Botschafterberichten hervorgehoben hätten. Doch weil diese tatsächlich nur selten direkte Folgen hätten, meint Pintschovius sie gleich ganz ins Reich der politischen Unwichtigkeit entlassen zu können.

Man erfährt manches sozialhistorische Detail, das bisher kaum beachtet wurde. Etwa über die fast unlösbaren Konflikte, die entstehen, wenn konservative Adelswelten auf ein kapitalistisch aufstrebendes Bürgertum stoßen, das den scheinbaren Müßiggang des Adels verachtet und strenge Arbeitsdisziplin wichtiger schätzt als das schnelle Erfassen des Wesentlichen, wie es Wilhelm II. auch von seinen zeitgenössischen Kritikern zugebilligt wurde.

Pintschovius schreibt ihm - ganz in der Tradition monarchiefreundlicher Texte der Kaiserzeit - Talent zu ziemlich allem zu, beschreibt sein umfassendes Interesse an Wissenschaften und Künsten, sieht auch das Konservative, Beharrende, aber entschuldigt Wilhelm II. gerade in den Krisen vor dem Ersten Weltkrieg fast vollständig als denjenigen, der bis zuletzt nach Frieden gesucht habe.

Dass Wilhelm II. von einem vollkommen überholten Gesellschafts- und Staatsmodell ausging, als er versuchte, über Familienbeziehungen nach Russland und England doch noch die Rücknahme der von den Regierungen, Parlamenten und der öffentlichen Meinung geforderten Mobilmachung zu erreichen: das sieht Pintschovius nicht - in seiner Wut auf die Kleinbürger, die zum Krieg gedrängt hätten, auf die Militärs, die falsche Prognosen gemacht hätten, auf die Historiker, die Wilhelm II. verdammt hätten. Es ist ein Buch, das zu lesen lohnt, aber es ist keineswegs eine vorurteilsfreie Biografie des letzten deutschen Kaisers.

Rezensiert von Nikolaus Bernau

Joska Pintschovius: Der Bürgerkaiser Wilhelm II.
Osburg Verlag, Berlin 2008
534 Seiten, 19,95 Euro