Der Komponist Jörg Widmann zu Gast in Berlin

Die Liebe zu musikalischen Extremen

Der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann.
Der Komponist, Klarinettist und Dirigent Jörg Widmann © dpa / Andreas Gebert
Von Jürgen Liebing · 10.11.2015
Am 12. November ist Jörg Widmann zu Gast im Berliner Konzerthaus mit dem Rundfunksinfonieorchester. Auf dem Programm stehen Werke von Carl Maria von Weber, Gioacchino Rossini, Wolfgang Amadeus Mozart und von ihm selbst. Ein Porträt.
Jörg Widmann ist - ein wenig flapsig formuliert - ein Hansdampf, nicht in allen, aber in vielen Gassen und er ist, ohne falsche Assoziationen zu wecken, ein "Wunderkind".
Dass jemand mit sieben Jahren seinen ersten Klarinettenunterricht erhält, ist noch nichts Besonderes, nach der Devise "Früh übt sich, wer ein Meister werden will" und das ist er wahrlich. Dass er aber bereits mit elf Jahren Kompositionsunterricht nimmt, ohne einen gestrengen Vater wie Leopold Mozart im Nacken, legt ein solches Etikett schon eher nahe. Weder sein Vater noch seine Mutter waren Profi-Musiker, aber sie waren Teil eines – im guten Sinne gemeinten – "Dilettanten-Quartetts" im heimischen Wohnzimmer in München.
Nach dem Lehrer Kay Westermann folgen Hans Werner Henze, Heiner Goebbels und Wolfgang Rihm. Eine illustre Schar! Daneben aber vervollkommnet Widmann sich als Instrumentalist unter anderem bei Charles Neidich an der Julliard School in New York, und er wird mit 28 Jahren Professor für Klarinette, bald auch Professor für Komposition an der Freiburger Musikhochschule. Aber selbst ein solches Multitalent muss sich entscheiden, und so hat er jetzt ein mehrjähriges Sabbatical als Professor eingelegt. Der 42-Jährige hat damit mehr Freiraum fürs Komponieren und für Auftritte.
"Ich suche ja das Extrem, auch wenn ich auf der Bühne stehe. Ich bin ja kein Sicherheitsmensch, der die Randzonen, das Extreme, das Sich-Ausliefern sucht, und vielleicht, so gefährlich es ist, dadurch Energie zurückbekommt."
Komponist und Interpret in einer Person
Die Liebe zu Extremen kennzeichnet sein Spiel und seine unbedingte Leidenschaft für die Musik und ihre Vermittlung. Jörg Widmann knüpft an eine Tradition an, in der Komponisten und Interpreten noch nicht getrennte Persönlichkeiten waren. Musik komponieren und Musik spielen, ist hier noch eins – keine früh- oder spätkapitalistische Arbeitsteilung.
Auch noch in anderer Beziehung steht Jörg Widmann in einer guten Tradition. Seine Musik reibt sich an der seiner Vorgänger, läßt sich inspirieren, ohne sie zu imitieren. Immer wieder liefern Mozart, Schubert und Schumann ihm Anregungen und zugleich Widerstand. Er ist kein Epigone, kein Eklestizist. So wie Mozart Haydns Streichquartettkunst weiterentwickelte, so versucht Jörg Widmann, die Kunst seiner Vorgänger fortzuspinnen.
"Ja gar keinen Gegensatz sehe ich zwischen einer großen Traditionsliebe und dem Unbedingt-Weitergehen-Müssen, und zwar vielleicht deshalb, weil ich als Klarinettist, als Musiker mit der Musik der Vergangenheit zu habe, habe ich einen unendlichen Respekt. Dafür und insofern brauche ich solche Bezugsgrößen um mich ein bisschen daran abzuarbeiten vor allem mit dem Wunsch insofern darüber hinaus zu gehen, dass man tatsächlich aus dieser Kenntnis und aus der Liebe zur Musik der Vergangenheit tatsächlich etwas ganz Neues schafft."
Ein Schwerpunkt seines Komponierens gilt der Kammermusik, aber er scheut auch nicht die Opernbühne und das große Konzert.
Wenn man ihm begegnet, spürt man sein Brennen für die Musik. Manchmal möchte man ihm etwas mehr Ruhe wünschen, fürchtet um ein Ausbluten vor der Zeit.
Schaut man sich seinen musikalischen Terminkalender der vergangenen Wochen an, staunt man ob des immensen Programms. Dabei gab es die Uraufführung einer Komposition für Klarinette, Bratsche und Klavier in der Auseinandersetzung mit Robert Schumanns Märchenerzählungen für dieselbe Besetzung und die Uraufführung eines Konzerts für Bratsche und Orchester.
"Bei mir ist es manchmal so, wenn ich mich in ein Orchesterstück vergrabe oder eine Oper, braucht man natürlich Jahre, dann freue ich mich wahnsinnig, wenn ich wieder unter Menschen bin mit wunderbaren Kollegen zusammen musizieren kann, umgekehrt auch, wenn ich wie jetzt zum Beispiel lange auf Tournee war, freue ich mich und kriege dadurch Energie, dass ich mich zurückziehe und komponiere. Ich brauche beides."
Einer der meistaufgeführten Komponisten Neuer Musik
Bei dem Konzert mit dem Rundfunksinfonieorchester Berlin tritt Jörg Widmann nicht nur als Klarinettist und als Komponist in Erscheinung, sondern auch als Dirigent – noch eine Begabung des 42-jährigen Musikers, der zu den weltweit meistaufgeführten Komponisten Neuer Musik gehört.
"Das Wort Heimat ist für mich als Musiker natürlich der Moment, und zwar egal wo ich auf der Welt bin, wo Musik erklingt. Das ist für mich Heimat. Allerdings wird für mich, der ich viele Reise, diese Heimat immer wichtiger, auch das Zuhause. Ich war zum Beispiel in Dubai, sollte dort einen Monat lang sein, und alle dachten, jetzt setze ich mich mit arabischer Musikkultur, die es leider in Dubai gar nicht gibt, auseinander.
Und das Seltsame war, ich habe plötzlich nur in bayerischer Volksmusik gedacht, und das war das, was mir jeden Tag mehr durch den Kopf ging, und ich dachte, jetzt muss ich doch irgendwann dieses Stück schreiben, wo ich mich damit auseinandersetzen soll, mit dem Ort, wo ich gerade bin, und das dauerte geschlagene drei Wochen, bis ich kapiert habe, ja klar, ich muss so weit weg sein, um mich mit dem zu beschäftigen, wo ich herkomme - ich bin geboren in München. Ich würde niemals auf die Idee kommen, in Regensburg oder Ingolstadt wie das, was ich dann tatsächlich geschrieben habe, ich habe es dann dubairische Tänze genannt, das hätte ich natürlich niemals in Bayern schreiben können, sondern da mußte ich so weit weg gehen, um über die Heimat künstlerisch nachzudenken."
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