"Der klassische Ausflug eines Möchtegern-Kanzlerpaares"

Uwe Kammann im Gespräch mit Andreas Müller · 15.12.2010
Uwe Kammann, Leiter des Grimme-Instituts, hat die Reise von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und seiner Ehefrau an den Hindukusch kritisiert. Das Paar habe eine Bühne für die Selbstdarstellung gesucht, sagte Kammann.
Andreas Müller: Der deutsche Verteidigungsminister besucht deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, mit dabei sind seine Frau und ein Fernsehjournalist - eine nette Geste an die kämpfende Truppe kurz vor Weihnachten, oder eben nicht: In der Presse wird der Trip nach Kundus und Mazar-e Sharif überwiegend kritisch bis belustigt gesehen. Aus den Reihen der Opposition wird die Reise der Guttenbergs heftig angegriffen.

Der Grüne Fritz Kuhn etwa spricht von Inszenierungsorgien im Unterhaltungsfernsehen und meint damit wohl die Produktion einer Talksendung, die morgen am späten Abend auf SAT.1 ausgestrahlt wird. Die "BILD"-Zeitung quasi embedded nennt all die Kritiker heute, Zitat, "Nörgler, Neider, Niederschreiber" und fordert, "einfach mal die Klappe halten", Zitat Ende. Daran halten wir uns natürlich nicht, sondern sprechen jetzt mit Uwe Kammann, dem Leiter des Grimme-Instituts. Schönen guten Tag!

Uwe Kammann: Hallo, Herr Müller!

Müller: Wie beurteilen Sie diesen Familienausflug plus Talkmaster nach Afghanistan?

Kammann: Na ja, es ist der klassische Ausflug eines Möchtegern-Kanzlerpaares, so kann man es nennen, das eine Bühne sucht für die Selbstdarstellung, denn klar, Medien können etwas transportieren, können eine Botschaft, die man gerne aussenden möchte, an den Mann und an die Frau bringen. Und hier ist es zweifellos so: Wir, die Guttenbergs, sind ein ideales Paar und könnten die Bundesrepublik bestens repräsentieren, und tun auch noch Gutes bei den Soldaten.

Das ist sicherlich das, was gemeint war nach außen hin, aber nach innen ist es völlig klar: Das ist eine Bühne, die gesucht wird, mit einem Geschäft auf Gegenseitigkeit mit Kerner: Kerner bekommt Aufmerksamkeit für eine Sendung, mit der er nicht mehr sehr viel Erfolg hat – er ist ja fast verschwunden, nachdem er vom ZDF zu SAT.1 gewechselt war –, und die Guttenbergs und speziell er als Verteidigungsminister bekommen ebenfalls Aufmerksamkeit, aber möglicherweise in einer Form, die ihm hinterher nicht mehr so schmeckt.

Müller: Also das heißt, dahinter stecken PR-Strategien, hinter diesem Besuch. Wie wird so was entwickelt? Gibt es da wirklich, ja, Spin-Doctors oder wie man die nennt, die dann sich überlegen, so machen wir das?

Kammann: Ja, so was gibt es auch, das war ein klassischer Fall bei Eichel als Finanzminister, der von Schmidt-Deguelle, einem Polit-Profi eigentlich aus dem Journalismus, beraten wurde, und der machte ihn dann ja zum Sparmeister mit den Sparschweinen, die überall auftauchten. Aber ich habe die Vermutung, bei den Guttenbergs oder bei ihm ist das mit ein eigener Instinkt. Er sucht ja die Inszenierung und die Pose in den Medien.

Wir kennen auch das Bild, wo er auf dem Times Square steht, sozusagen wie ein großer Sieger, wie ein Broker eigentlich, oder im Hubschrauber in der Kampfjacke. Also er ist jemand, der sehr klar sich stilisiert und zu einem so Über-Politiker macht, der Glamour verbindet mit einer Smartheit in einer Kombination, die es ja in Deutschland so oft eigentlich nicht gegeben hat, oder er ist eben im Grunde auch ein neuer Stil, der gegelte Politiker, das hat ihm ja immerhin große Beliebtheitswerte eingetragen.

Ich will nicht sagen, das war es alleine, aber ich glaube, ein großer Teil seiner Popularität, die er inzwischen ja genießt, ist auf diese sehr gezielten Medienauftritte zurückzuführen, und sie spielen das ja beide zusammen auch. Sie, Stefanie, war ja in "Wer wird Millionär?" zu Gast, sie war im RTL2 scheinbar mit einer menschenfreundlichen Sendung zu Gast, "Tatort Internet", er war jetzt bei "Menschen", dem Jahresrückblick des ZDF mit Gottschalk der Auftaktgast – also man merkt ganz klar, dass er und dann in Verbindung jetzt mit dem Privaten, mit seiner Frau, die ja eine Schönheit ist, damit beeindrucken will und sagen, guckt mal, ich bin der moderne, junge Politiker.

Müller: Also wir haben Public Relation, wir haben ein Schaulaufen. Nun taucht da schon ein ganz böses Wort auf, darf man das benutzen – Propaganda?

Kammann: Ja, wenn man Propaganda sozusagen als eine ganz gezielte und kräftige Werbung übersetzen würde, dann müsste man sagen, natürlich ist das eine Art von großer Werbung, die er da abzieht. Und wie gesagt, ich weiß gar nicht, ob das so sehr durch Berater mit gesteuert wird, ich glaube, die würden eher sagen, brems mal lieber ab, mein Junge, sonst wird das zu viel und dann kehrt sich das gegen dich.
Müller: Ja, tatsächlich, man hat ja so ein bisschen den Eindruck, also schauen wir mal ins Medienecho, Beispiele aus zum Beispiel die "Neue Presse" aus Hannover, die schreiben: "Zu Guttenberg wird in die Geschichte eingehen, weil er die aus dem Fußball bekannte Spielerfrau in die Politik einführte. Gattin Stefanie bringt Glamour und Gefühl in das dröge Gekicke eines Verteidigungsministers." Es gibt aber auch ganz harsche Worte wie im "Handelsblatt", da steht ganz prosaisch: "Der Verteidigungsminister hat die Grenze zur Geschmacklosigkeit überschritten." Also ein gelungener PR-Coup sieht doch eigentlich anders aus, oder?

Kammann: Das ist wohl wahr. Also bei den Kollegen, bei den schreibenden, wertenden Kollegen ist es ja in der Regel sehr negativ angekommen. Andere Menschen, die sich so äußern als Beobachter, Zeitgenossen, sind da geteilt.

Ich hatte gestern eine Beteiligungsszene im Radio, wo viele anriefen und sagen, sie sind gespalten, sie finden eigentlich die Geste ganz gut, dass man mal den Soldaten in Kundus noch mal eine zusätzliche Aufmerksamkeit schenken will, aber sie fanden dann auch, dass die mögliche verborgene Absicht, nämlich für sich selbst Reklame zu machen, dann doch stärker ist und dass damit das Gesamtunternehmen diskreditiert wird, und sie sehen es dann doch eben mehr als einen PR-Gag.

Müller: Nun ist ja das, was die Zeitungen schreiben, das eine, das andere sind aber natürlich auch starke Bilder. Die "Frankfurter Rundschau" hat sich da vielleicht selber einen eingeschenkt, die hatten gestern so eine Art Filmplakat als Aufmacher, "Vom Winde verweht" war da ganz klar zitiert, natürlich mit den beiden Guttenbergs in den Hauptrollen. Das ist einerseits ironisch, aber kann doch auch letztlich als starkes Bild stehen bleiben, oder?

Kammann: Also auf jeden Fall wird so was haften bleiben. Man muss ja sehen: Die Medien spielen ja eine aktive Rolle dabei. Also wenn man sieht, dass der "Spiegel" vor Kurzem "Die Guttenbergs" richtig als Titel hatte, so als ob man jetzt einen neuen Clan inszenieren könnte und erfinden könnte, fast wie den Denver-Clan, mal als Fernsehserie, oder wie früher es bei den Kennedys war, ... Die sind ja eigentlich ein Vorbild für dieses Muster, die Kennedys haben ganz stark auf diesen familiären Charakter gespielt, auf den Glamour-Faktor, auf den guten Stil, auf die gesellschaftlichen Konventionen, die man perfekt beherrscht, also sie haben diese Rolle sehr stark nach außen gestellt.

Und denken wir an Frankreich: Sarkozy und Carla Bruni, das ist ja in manchem ähnlich so, als sie seine Frau wurde, da haben die Medien über Politik gar nicht mehr geschrieben, sondern nur über diesen Bruni-Faktor. Dabei ist Sarkozy allerdings gar nicht so gut weggekommen, wie er wahrscheinlich dachte. Also das ist anscheinend in einer sozusagen avancierten Mediengesellschaft eine mögliche sozusagen Versuchung, der man da nachgeben kann, zu sagen, ich muss ein Bild von mir entwerfen.

Müller: Ja, aber diese ... Wir haben diese medial sehr verdichteten Zeiten, und da muss man sich doch fragen: Muss nicht die Politik auch starke Bilder kreieren, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden? Also warum soll zu Guttenberg untersagt bleiben, was etwa bei Barack Obama goutiert wird? Da passiert nichts anderes.

Kammann: Ja, untersagen kann man es ihm sowieso nicht, das ist ja immer eine persönliche Entscheidung, aber auch bei Obama sieht man ja, wie sehr ein starkes Bild, wenn es dann in diesem Fall so positiv aufgebaut worden war, in der Wahrheit nicht dem standhalten kann, was Politik mit sich bringt, nämlich viel Klein-Klein und Rückschläge und Widersprüche, dass das dann auch umschlägt wiederum.

Also natürlich kann man so, wie es bei Guttenberg ja passiert ist, zum Senkrechtstarter werden und fast alle anderen überflügeln, ohne dass das in der Substanz ja immer gerechtfertigt oder man es nachprüfen könnte, weil die Geschäfte ja anders gehen. Dann steckt darin auch eine große Gefahr.

Aber es ist völlig klar: Jeder wird sich der Mittel bedienen, die es gibt, und Politik ist heute, vermittelt über die Medien – heute sind ja die anderen dazugekommen, die man weniger gut kontrollieren kann, wie eben auch die Internetforen, das ist eine neue Form –, ... Früher hat man das ja ganz anders gemacht, da hat man höfisches Gepränge gesucht und hat Triumphzüge veranstaltet, aber die waren immer begrenzt, während heute man natürlich zu allem, zu einem ganz großen Publikum kommt. Und da sind möglicherweise die sicheren Schritte noch schwieriger als in den anderen Formen, wo man früher ohnehin wusste, was man als Politiker, als Herrscher darstellen sollte.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Leiter des Grimme-Instituts über das mediale Echo aber auch das Wirken des Besuches von den Guttenbergs in Afghanistan. Sie haben die Internetforen erwähnt, bei tagesschau.de gab es eine große Diskussion, da gab es einen User, der dann auch schon mal von "Wochenschau" sprach. Das ist natürlich ein hartes Wort.

Kammann: Ja, das ist natürlich dann so eine Anspielung eben, das ging in die Richtung Propaganda, wie Sie eben erwähnten. Aber nun so ist es nicht, dass ... Es ist ja auch ein Zusammenspiel von vielen, also das Publikum muss hier mitmachen. Eine "Wochenschau" früher war ein zentrales Vermittlungsorgan, so was gibt es ja heute gar nicht mehr, also es relativiert sich ja auch vieles.

Aber eins ist noch mal völlig klar, auch wenn man die Art sieht, wie die beiden in Afghanistan aufgetreten sind, sehr schick angezogen mit diesen weißen Hosen drüber, die Panzerwesten, das war alles ganz klar kalkuliert, und ich kann nur noch mal sagen: Ein Kalkül, das zu präzise aufgebaut ist und mit bestimmten Erwartungen und Hoffnungen spielt, die man selber daran hat – das kann sehr schnell nach hinten losgehen, weil es dann auch sehr stark durchschaubar wird. Das ist die Kehrseite der Sache.

Müller: Ja. Nun reiste der Talkmaster Kerner mit, morgen Abend strahlt SAT.1 das Ergebnis aus, diese Show, die da produziert wurde, aber so ganz scheint man dem Sexappeal des Themas nicht zu trauen: 23.15 Uhr ist ein ziemlich später Sendetermin.

Kammann: Ja, sie wollen jetzt nicht alle Schemata verlassen. Sie sind ja auch unsicher geworden mit Kerner, ich meine, Kerner ist nach seinem Wechsel zu SAT.1 nicht mehr das große Zugpferd. Er hat eben auch sehr stark vom ZDF und von der Gesamtadresse des Hauses gelebt, insofern ... Aber trotzdem glaube ich, die Geschichte ist für diesen Sender und für Kerner selbst wie ein Sechser im Lotto, also mehr Aufmerksamkeit für eine ziemlich an den Rand gedrängte Sendung hätte man nicht bekommen können. Nun muss man natürlich vorsichtig sein eben auch dort, dass man es nicht überzieht, sodass dann ... stellen Sie sich mal vor, jetzt hätten dann doch nicht so viele Menschen zugeguckt bei einem viel besseren Sendeplatz – das wäre natürlich eine schreckliche Niederlage gewesen. Also insofern ist das jetzt gebremstes Risiko.

Müller: Also Kerner wird heute auch interviewt in der "BILD"-Zeitung, er sagt unter anderem noch mal, die Soldaten hätten den Besuch prima gefunden, also sie haben sich nicht benutzt gefühlt, und überhaupt würden in der Sendung auch kritische Dinge angesprochen. Also ist Kerner da nicht mehr Teil der Inszenierung, ist er dann der distanzierte Journalist? Was glauben Sie, was wird da morgen Abend zu sehen sein?

Kammann: Ach, er wird so sein, wie er immer ist. In vielem ist er auch, finde ich, zu Unrecht schlecht geschrieben worden. Er hat auch sehr gute Interviews schon geführt. Es geht ja hier um das Arrangement, das befremdlich sein kann, also einer hat mal schön gesagt: Talk unterm Tarnzelt. Da soll so ein Exorzismus des Originalschauplatzes genutzt werden, um das Ganze anzureichern, um sozusagen einen bestimmten Geschmack da hineinzubringen. Und das finde ich eben dann doch sehr fragwürdig.

Man kann dieses Thema auch in ganz anderer Form behandeln. Hier wirkt ja die möglicherweise trotzdem auch wichtige Botschaft – was machen die Soldaten da, wie empfinden die die Reaktion zu Hause, wie fühlen sie sich behandelt –, das hätte man in vielen guten anderen Sendungen, auch in gebauten Beiträgen, die dann besser wären, machen können. Es gibt ja auch fiktionale Bearbeitungen des Themas, beim Grimme-Preis hatten wir zuletzt zwei Filme, die das sehr gut aufgegriffen haben und in denen ich mehr an Wahrhaftigkeit gesehen habe als in dieser Bühnenschauspielerei, die es jetzt in Kundus gegeben hat – wobei die Soldaten, die werden nicht schauspielern, das ist klar, die sind wahrscheinlich froh, dass sie sagen, ich habe eine populäre Sendung zu Hause, wo ich dann einmal mit meinen Argumenten, jedenfalls in Teilen, zu Worte kommen kann. Also das sind ganz verschiedene Erwartungen.

Müller: Der Ausflug der zu Guttenbergs nach Afghanistan als geschickter PR-Schachzug, das war Uwe Kammann, der Leiter des Grimme-Institutes. Haben Sie vielen Dank!

Kammann: Gerne!