Der Judenretter von Galizien

08.12.2010
Im Zweiten Weltkrieg wird Bertold Beitz in das besetzte Karpaten-Städtchen Boryslaw geschickt, um Erdöl für die Wehrmacht zu fördern. Als der junge Kaufmann vom Nazi-Terror erfährt, ist er entsetzt - und rettet Hunderten Juden das Leben. Joachim Käppner hat über Beitz nun eine spannende Biografie geschrieben.
In Galizien, am Fuß der Karpaten, lag seit je ein kostbarer Bodenschatz: Erdöl. Er hatte Anfang des letzten Jahrhunderts das Städtchen Boryslaw zur polnisch-ukrainischen Boomtown gemacht. Logisch, dass die gesamte Gegend ab 1939 Objekt der Begierden des Nazi-Staates wird: Treibstoffmangel ist die Achillesferse der militärischen Pläne Deutschlands. Dummerweise war der Löwenanteil beim Hitler-Stalin-Pakt den Sowjets überlassen worden. Im Sommer 1941 fallen Hitlers Armeen in Stalins Reich ein.

Galizien ist auch Shtetl-Land, die Hälfte der Boryslawer sind Juden, gewöhnt an den traditionellen Antisemitismus ihrer polnischen und ukrainischen Nachbarn. Die Judenfeinde, die jetzt das Sagen haben, tragen Wehrmachts-, SS- und Polizeiuniform und sind auf Vernichtung aus. Das allerdings kollidiert mit dem anderen Ziel: der Treibstoffsicherung.

Mit den Uniformierten kommt die Deutsche Shell. Sie macht einen begabten, jungen kaufmännischen Angestellten zum Leiter der Boryslawer Ölproduktion. Berthold Beitz hatte bis dato das Glück der passenden Geburt. Geboren 1913 ist er zu alt für Hitler-Jugend und Wehrpflicht. Er mag Führergefackel und Massengetue nicht, er interessiert sich mehr fürs Lebeschön - Sport, Jazz, Mädchen. Er leistet zwar "freiwillig" Wehrübungen ab und bewirbt sich für die Offizierslaufbahn, aber wie viele andere nur um der SA oder SS zu entgehen. Jetzt ist er frisch verheiratet mit Else, der Liebe seines Lebens, und ahnt, wenn er den Dienst am Nachschub verweigert, wird er in direkten Dienst am Krieg genommen.

Berthold und Else Beitz sind entsetzt über den Naziterror und beschließen, da nicht mitzumachen. So einfach, so klar, so halsbrecherisch. Berthold nutzt die knapp drei Jahre, bis er dann doch in den Krieg muss, um Juden retten. Er beschlagnahmt sie, als "rüstungswichtige Arbeiter" - darin Oskar Schindler ähnlich. Auch wenn sie das im Traum nicht sind und er sie gar nicht kennt. Er holt etliche teilweise mehrmals und allein durch furchtloses, respektheischendes Auftreten aus Zügen und Lagern wieder raus und bringt sie in die relative Sicherheit seiner Firma. Else versteckt andere zu Hause und päppelt sie auf.

Dass auf diese Weise vermutlich Hunderte Leben gerettet wurden, ist seit 1973 bekannt. Damals ehrte Yad Vashem Berthold Beitz als "Gerechten unter den Völkern". Else bekam den Ehrentitel erst 2008. Joachim Käppners großes Verdienst ist es, in seiner sehr detailreichen Beitz-Biografie von Anfang an auch die bedeutende Rolle von Else Beitz (und den wenigen anderen menschlich gebliebenen Deutschen) zu dokumentieren. Beide haben nach 1945 kein Aufhebens davon gemacht.

Vielmehr scheint Berthold Beitz nach dem Krieg wieder vom Glück verfolgt. Er darf von Hamburg aus das Versicherungswesen wiederaufbauen, er wird 1953 von Alfried Krupp nach Essen geholt und später zum "letzten Stahlbaron" der Republik. Als einer der wichtigsten Wirtschaftslenker verkörpert er nicht nur den Geist der sozialen Marktwirtschaft, sondern auch die Brandtsche Ostpolitik, avant la lettre und gegen miese Intrigen nicht nur von Adenauer. Das hat - wie seine guten Ost-Kontakte - mit der galizischen Vorgeschichte zu tun.

Die Verbindungslinien zu rekonstruieren und zum Porträt eines innerlich freien Menschen zu verknüpfen - dazu brauchte es einen hartnäckigen Journalisten mit Leidenschaft und langem Atem. Joachim Käppner hat beides bewiesen, und für ein großes Publikum spannend erzählen kann er auch noch.

Besprochen von Pieke Biermann

Joachim Käppner: Berthold Beitz - Die Biographie
Berlin Verlag, Berlin 2010
621 Seiten, 36 Euro