Der italienische Schwabe

Von Christian Linder · 19.12.2011
Nach außen hin lebte er gutbürgerlich. Sein geheimes Leben fand in seinen Büchern statt. Zu Beginn enttäuscht ob der kargen Resonanz, wollte er kein Schriftsteller mehr sein. James Joyce ermunterte ihn zum Weiterschreiben. Heute zählt Svevos Oeuvre zu den Klassikern der europäischen Literatur.
Der Mann mit dem dichten Schnauzer, der auf Fotos stets freundlich-unbeteiligt in die Welt hinausschaute, hieß Hector Aron Schmitz, mit Vornamen kurz Ettore genannt, und war als erfolgreicher Unternehmer einer der angesehensten Bürger seiner Heimatstadt Triest. Aber dieser akkurat mit Hut und Fliege auftretende Herr Schmitz bestand jenseits seiner bürgerlichen Kleidung oder Verkleidung auch noch auf einer anderen Wirklichkeit, und die drückte sich schon in dem geheimen Namen aus, den er sich selbst gegeben hatte: Italo Svevo. Unter diesem Namen kennt ihn heute die Welt als einen der berühmtesten europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der – als einer der Begründer des psychologischen Romans – in seinen Büchern Klartext redete, wie in dem Roman "Zenos Gewissen", hier gelesen von Jutta Hoffmann:

"Das Leben ähnelt ein wenig der Krankheit, die Höhen und Tiefen durchläuft und tägliche Besserungen und Verschlechterungen kennt. Im Unterschied zu anderen Krankheiten ist das Leben immer tödlich. Es verträgt keine Behandlungen."

Geboren wurde Hector Aaron Schmitz am 19. Dezember 1861 in Triest als Sohn eines aus dem Rheinland eingewanderten jüdischen Kaufmanns und einer aus dem Friaul stammenden italienischen Mutter. Triest gehörte damals zur alten Donaumonarchie und wurde erst 1918 italienisches Territorium. Die prägendste Zeit erlebte der junge Ettore Schmitz aber nicht in Triest, sondern in Deutschland, in einem Internat in der Nähe von Würzburg, wohin ihn der deutsche Vater geschickt hatte. Er las damals Goethe und Jean Paul und entdeckte die Philosophie Schopenhauers. Auch die Wahl des Pseudonyms war ein Bekenntnis zum Deutschen, denn Italo Svevo heißt "der italienische Schwabe". Außerhalb der Literatur machte der junge Ettore Schmitz kaum aufregende Beobachtungen, und der nach der Schulzeit erlernte Beruf des Kaufmanns und Bankangestellten bei der Triester Filiale der "Wiener Unions-Bank" verstärkte seine missmutige Langeweile noch.

"Er war in eine Epoche geraten, in der er häufig Grund zum Gähnen hatte."

"Ein Leben" nannte er lapidar seinen ersten, 1892 erschienenen Roman, "Una vita", mit der Hauptfigur selbstverständlich eines Bankangestellten, der die Fassaden um sich zu zerstören versucht, damit sie nicht zu erdrückend sind. Da auch der zweite Roman "Ein Mann wird älter", "Senilità" - wie der erste nur dank eines Druckkostenzuschusses des Autors erschienen - ohne jede Resonanz blieb, zog Italo Svevo einen Schlussstrich:

"Ich habe diese lächerliche und schädliche Sache, die man Literatur nennt, aus meinem Schreiben ausgemerzt ... Ich griff sogar zu einer List, um nicht wieder rückfällig zu werden: Ich lernte Geige spielen."

Dass aus dem Geige spielenden Ettore Schmitz dann doch wieder der Schriftsteller Italo Svevo wurde, ist einem Ereignis im Jahr 1907 zu verdanken: Herr Schmitz wollte Englisch lernen, und sein Lehrer in Triest wurde James Joyce. Joyce kannte zur Überraschung Italo Svevos seine bis dahin erschienenen Bücher und ermutigte Svevo, weiterzuschreiben. Später, in Paris, initiierte Joyce eine öffentliche Debatte über Svevo, die diesen in Europa mit einem Schlag berühmt machte. So konnte Italo Svevo innerlich ein wenig freier als früher weiterschreiben, blieb aber seinem Lebensthema treu:

"Das gegenwärtige Leben ist bis in die Wurzeln vergiftet. Der Mensch hat sich an die Stelle von Bäumen und Tieren gesetzt und hat die Luft verpestet, hat jeden Freiraum versperrt. Großer Reichtum wird die Folge davon sein – in der Zahl der Menschen. Jeder Quadratmeter wird von einem Menschen besetzt sein. Allein, wenn ich daran denke, ersticke ich."

Das Fremde in jedem Leben beschrieb Italo Svevo, um hinter die Gründe seiner eigenen Fremdheit in der Welt zu kommen. Im Grunde schrieb er immer nur über sich selbst und nannte sein – heute – berühmtestes Buch "Zeno Cosini" denn auch eine Autobiografie, aber mit der ironischen Einschränkung, es sei nicht die seine. Bücher als Versteck, und in der Gestaltung seiner Verstecke war Svevo sehr erfindungsreich.

Dass sein Werk – Svevo schrieb neben Romanen und Erzählungen auch Theaterstücke – eines Tages zur Weltliteratur zählen würde, hat sich der junge Herr Ettore Schmitz aus Triest bestimmt nicht vorstellen können. Kurz, nachdem er den einsetzenden Ruhm zur Kenntnis genommen hatte, starb Italo Svevo im September 1928 an den Folgen eines Autounfalls.