Der heilige Josef

Arbeiterführer, Antikommunist oder der erste Hausmann?

Ein Bild des Heiligen Josef mit dem Jesuskind, aufgenommen in der Pfarrkirche St. Ulrich in Seeg in Schwaben
Ein Bild des Heiligen Josef mit dem Jesuskind, aufgenommen in der Pfarrkirche St. Ulrich in Seeg © (c) dpa - Report
Von Michael Hollenbach  · 25.12.2016
Über 300.000 Josefs leben heute in Deutschland. Der Vorname war einmal sehr populär. Josef, das ist in der Bibel der Mann Marias - ein Handwerker, mit dem sie lebt, der aber der nicht der Vater ihres Kindes Jesus sein soll: Stoff für zahlreiche Projektionen und Ideologisierungen.
Auch wenn Josef nicht Jesu Vater war, beginnt das Matthäusevangelium doch mit seinem Stammbaum: Josef als der "Mann Marias". Danach heißt es nach der neuesten Lutherübersetzung:
"Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist."
Birnstein: "Die Frau wird schwanger, aber nicht von dem Verlobten, von dem Partner. Sondern, ja, da ist was anderes passiert. Eine Fremdbeziehung, One-night-stand, da gibt es diverse Möglichkeiten. Und wenn man sich in die Psyche des Josefs reinversetzt, da kann man verstehen, dass, wie in der Bibel steht, er sich mit dem Gedanken trug, Maria zu verlassen, also eine ganz menschliche Reaktion, eine männliche Reaktion auch."
Bibeltext: "Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen."
Birnstein: "Das ist eine sexuelle Demütigung. Maria wusste, wer der Zeuger ist von dem Kind, was da in ihr heranwächst, nämlich der Heilige Geist, der sei über sie gekommen."
Brodowy: "Ich würde es für die billigste aller möglichen Ausreden halten."
Birnstein: "Aber Josef wusste ja nicht so recht, wie er mit der Fremdschwangerschaft seiner Verlobten umgehen sollte."
Bibeltext: "Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, ist vom Heiligen Geist."
Kuschel: "Der Traum ist ja ein Zeichen Gottes und Josef nimmt das ernst. Er stellt seine eigenen Interessen zurück, und gibt auf diese Weise nicht dem gesellschaftlichen Druck nach, sondern folgt dem Zeichen Gottes."
Bibeltext: "Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus."
Käßmann: "Wir könnten schon Josef als neuen Mann sehen, der sich auch nicht ablenken lässt von dem, was die Leute sagen, da hat er schon eine Vorbildfunktion. Wir könnten den ruhig ein bisschen mehr in den Vordergrund stellen, schon allein in der Krippenkonstellation."
Bibeltext: "Als die Weisen wieder hinweg gezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir, und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage, denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen."
"Matthäus erzählt diese wundersame Rettung dieses Kindes durch die Flucht nach Ägypten. Da wäre Josef das Symbol für Gottvertrauen, dass ich Gott vertraue, dass er mir auch Zeichen gibt im Leben, und dass ich dieses Kind zu schützen habe."
Erläutert die Reformationsbotschafterin der EKD, Margot Käßmann. Und der Tübinger Theologe Karl Josef Kuschel ergänzt:
"Seine Aufgabe ist, dass dieses Kind vor den Machthabern seiner Zeit überleben kann. Und insofern spielt er ganz entscheidend eine Vaterrolle."
Der Autor Uwe Birnstein, der sich in seinem Buch "Väter in der Bibel" auch Josef gewidmet hat, betont allerdings:
"Josef ist keine historische Figur. Die ganze Weihnachtsgeschichte ist ja eine legendarische Ausbildung von Berichten, die über Jahrzehnte mündlich tradiert wurden. Also historisch weiß man nichts."

Vom Denker zum Hausmann

Josef von Nazareth hatte es nicht immer leicht – auch nicht in der Kirchengeschichte. Der Eichstätter Volkskundler Walter Pötzl hat über 200 bildliche Darstellungen von Josef analysiert und dabei festgestellt, dass er immer wieder anders dargestellt wird. Seine Erscheinung in den ersten Jahrhunderten bis zum Mittelalter:
"Da sitzt der Josef immer nachdenkend oder schlafend am Rand. Da rührt sich nicht viel."
Die Bilder als Schlafender verweisen auf seine Träume, stellen ihn aber auch ins Abseits. Dann taucht auf Darstellungen im Mittelalter ein neues Josefsbild auf:
"Der erste Hausmann der Weltgeschichte, kann man schon sagen."
Josef, der Windeln wäscht, der den Brei für das Jesuskind kocht, der eine Pfanne in der Hand hält:
"Fünf, sechs Eier sind da aufgeschlagen. Und wenn man der Sache nachgeht: Womit wurde eine Wöchnerin denn versorgt? Die braucht was Stärkendes. Und Eier sind was Stärkendes. Die sind leicht verfügbar, die kann man in die Pfanne schlagen und er rührt da rum und sorgt sich - ist offensichtlich überzeugt von seiner Kochkunst."
Der 77-jährige Volkskundler, emeritierter Professor der Universität Eichstätt, weist noch auf einen besonderen Aspekt hin: die Beinlinge, Vorläufer der Hose. Vor allem im Mittelalter waren die einzeln getragenen Hosenbeine sehr populär. In Aachen verehrt man bis heute Beinlinge des heiligen Josef als Reliquien:
"In Sterzing von dem Multscher hängt ein Bild, wo man klar sieht, wie der Josef seinen Beinling auszieht, um daraus Windeln zu machen. Das wird dann besungen: Und Josef zog sein Höslein aus, und macht dem Kind ein Windlein draus."
Im Mittelalter trugen die Bilder vom Brei kochenden und Windel waschenden Josef allerdings nicht zu seinem Ruhm bei:
"Eine ehrenvolle Männertätigkeit war es nicht."
Im 17. Jahrhundert ändert sich das Bild. Josef gewinnt an Bedeutung und vor allem: Er verjüngt sich deutlich, erklärt die Trierer Kunsthistorikerin Barbara Mikuda-Hüttel:
"Er wird dann seit Mitte des 17. Jahrhunderts als junger Mann dargestellt mit christusähnlichen Zügen, und man sagt dann, jemand, der so wichtig ist für die Jugend Christi, kann kein alter klappriger Mann gewesen sein."
Priester: "In Gemeinschaft mit der ganzen Kirche gedenken wir deiner Heiligen: Wir ehren vor allem Maria, die glorreiche, allzeit jungfräuliche Mutter unseres Herrn und Gottes Jesus Christus. Wir ehren ihren Bräutigam, den heiligen Josef (...)"
Pötzl: "Das ist ja ein Prozess, der damals beginnt: Auf einmal wird der Josef im Kanon der Messe genannt, weil man sieht, was der auf sich genommen hat, wenn man die biblischen Texte sieht, würde jeder Mann sagen: Das wäre nicht mein Part."

Nach dem 30-jährigen Krieg wird Josef ein christliches Leitbild

Und Josef wird gesellschaftspolitisch in die Pflicht genommen. Nach der verheerenden Katastrophe des 30-jährigen Krieges suchten die weltlichen und kirchlichen Machthaber nach christlichen Leitbildern. Die Moral liege darnieder, so klagten die Herrschenden. Zur sittlichen Aufrüstung wurde die Heilige Familie entdeckt - mit Josef als einer starken Vaterfigur.
Mikuda-Hüttel: "Es sind einmal die Reformorden, vor allem die unbeschuhten Karmeliterinnen, Theresa von Avila, die ihn als ihren Patron anruft, und die andere Seite ist das Kaiserhaus in Wien, das in ihm den Reformheiligen par excellence besonders nach dem 30-jährigen Krieg gesehen hat."
Pötzl: "Eine ganz wichtige Rolle in der Gegenreformation spielen die Jesuiten. Die Jesuiten tragen dazu bei, dass Josef aus der leicht verächtlichen Rolle des Hausmanns herauskommt und zum würdevollen Heiligen wird."
Ob ein Heiliger im Volk populär war oder nicht, lässt sich leicht an den Namen feststellen, die Eltern ihren Kindern geben. Walter Pötzl hat das einmal erforscht an den Namen der Bischöfe und kirchlichen Würdenträger im Mittelalter:
"Ein einziger – das ist die absolute Ausnahme – heißt Josef – von Hunderten, oder auch in Bürgerlisten oder Zunftlisten. Kein Mann heißt im Mittelalter Josef."
Das ändert sich erst um 1650.
"Nach dem 30-jährigen Krieg ist es so, dass Josef einer der beliebtesten Bubennamen wird."
Und der Name hält sich lange unter den beliebtesten Jungennamen – bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Josef – vor allem bei katholischen Eltern – noch einmal sehr populär. Über 300.000 Josefs gibt es heute in Deutschland, die meisten davon leben in Bayern. Bei jungen Eltern ist der Name dagegen nicht so en vogue. Im aktuellen Ranking der Lieblingsnamen liegt der Josef auf Platz 153.
Dass Josef vor 300 Jahren in Mode kam, liegt vor allem an den Habsburgern. Sie haben das Image von Marias Ehemann heftig aufpoliert, sagt Barbara Mikuda-Hüttel:
"Er wird vom Kaiser zum Landespatron der einzelnen Länder erhoben. Das fängt mit Böhmen an, bis er dann zum Ende des Jahrhunderts der Patron des ganzen heiligen römisch-deutschen Reiches ist. Der letzte Akt ist dann, dass er dann zum Patron des Kaiserhauses wird, was sich ja auch in der Namensgebung der Kaiser, der ganzen Josefs niederschlägt."
Papst Pius IX. erklärte den heiligen Josef 1870 zum Schutzpatron der gesamten katholischen Kirche. Papst Leo XIII. würdigte in seiner Enzyklika Quamquam pluries von 1889 nachdrücklich die "hervorragende Verehrung des heiligen Josef". Sein Gedenktag, der 19. März, wurde zum gesetzlichen Feiertag – und blieb es in Bayern noch bis 1969.
Josef war aber nicht nur Patron des Kaiserhauses, weiß der Kabarettist und katholische Theologe Matthias Brodowy:
"Ich mag ja auch unsere Heiligen, und ich finde das ja sehr lustig, dass wir diese Heiligen haben und dass es für alles – für Halsschmerzen, für Schnupfen, für jeden Berufsstand, sogar für die Komiker - einen eigenen Heiligen gibt. Und ich finde natürlich, wenn Josef, der Stiefvater sozusagen dieses Jesus von Nazareth, ein Zimmermann war, dann ist klar: Das muss natürlich der Patron der Zimmerleute sein, und damit haben die die erste Wahl an Heiligen, alles was danach kommt, ist ja erst zweite, dritte Garde, und Josef ist dann schon ein Premium-Heiliger."
Ein Premium-Heiliger nicht nur für die Zimmerleute. Im 19. Jahrhundert wurden seine Zuständigkeiten erweitert, er galt als Schutzpatron der Arbeiter.
Kuschel: "1955 propagierte Papst Pius XII. den Josefstag, den 19. März, als katholisches Gegenstück zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit. Mit Josef, dem Arbeiter, will man die Arbeiterbewegung kirchlich domestizieren. Das sind Ideologisierungen, die mit der Kernbotschaft gar nichts mehr zu tun haben."

Ab 1937 Schutzpatron der Antikommunisten

Papst Pius XI. erklärte Josef sogar zum obersten Antikommunisten. Den "Kampf der Kirche gegen den atheistischen Kommunismus" stellt der Papst 1937 unter den Schutz des heiligen Josef.
Josef ist zudem der Patron der jungfräulichen Menschen und der Ehe. Auf Bildern wird er oft mit der weißen Lilie dargestellt, einem Symbol der Keuschheit und Reinheit, erklärt Karl Josef Kuschel:
"Er wurde spirituell überhöht als Symbolgestalt für Reinheit und Keuschheit. Denken Sie an das Stichwort Josefsehe."
Eine Josefsehe ist eine Form der Ehe, in der insbesondere aus religiösen Gründen auf Geschlechtsverkehr verzichtet wird – wie auch Josef und Maria nach Tradition und Lehre der katholischen und orthodoxen Kirchen eine jungfräuliche Ehe geführt haben.
Kuschel: "Das wurde ja als Ideal propagiert, weil man davon ausging, Maria und Josef waren nicht ein normales Ehepaar, sondern er hat auf Geschlechtlichkeit verzichtet, so wird er zum Symbol für Reinheit und Keuschheit."
Dabei soll Jesus Geschwister gehabt haben, die wohl auf natürliche Weise gezeugt wurden.
Kuschel: "Eine Entsexualisierung findet damit statt, eine Entkörperlichung findet damit statt, und die ideologischen Interessen dahinter sind durchschaubar und aus heutiger Sicht zweifellos kritisierbar."
Und heute? Welches Bild machen wir uns heute von Josef?
Mantei: "Wir sind jetzt gerade in einem Umbruch, wo gesagt wird: Dieses Phänomen der sozialen Vaterschaft, das haben wir heute in Patchworkfamilien häufig, dann muss es doch kein alter Mann gewesen sein. Also das gehört wirklich in die jeweilige Zeit und die Vorstellung, die diese Zeit sich von der Figur Josef von Nazareth macht."
Die Theologin Simone Mantei arbeitet im Studienzentrum der EKD für Genderfragen. Sie plädiert dafür, Josef als einen agilen dynamischen Mann darzustellen.
"Es gibt genügend Männer in den Gemeinden, die die soziale Vaterschaft quasi mit ihm teilen als Erfahrung und die sich nicht so an der Seite in der Familienkonstellation fühlen und sehen. Und ich glaube, Josef wird in Zukunft nicht mehr so eine Randfigur sein."
Auch Margot Käßmann wünscht sich einen neuen Blick auf den alten Josef:
"Josef wird meines Erachtens immer ein bisschen lächerlich gemacht: ein Mann, der sich nicht durchsetzen kann - so nach dem Motto: ein Weichei, ein Mann an der Seite. Und im Grunde müssen wir sagen, dass er eine Vorbildfunkton hat, weil er für seine Frau und sein Kind einsteht. Und das ist als Mann, was Frauen sich in einer Geburtssituation, in der sie sehr verletzlich sind, wünschen: ein Mann, der an der Seite bleibt und nicht weggeht."
Mehr zum Thema