Der Gesetzlose

Von Barbara Jentzsch · 14.07.2006
Der Westen ist nicht mehr wild, doch seine Mythen und Legenden sind in der amerikanischen Seele tief verwurzelt. Einen besonderen Platz nimmt da "Billy the Kid" ein, der legendäre Gesetzlose, der in der Nacht zum 14. Juli 1881 von seinem ehemaligen Weggefährten Sheriff Pat Garrett erschossen wurde.
Die Ära der großen Hollywood-Western ging schon vor Jahrzehnten zu Ende, doch die Mythen des Wilden Westens sind der amerikanischen Seele eingebrannt. Legendäre "Desperados", Viehdiebe, Sheriffs, Pioniere, Goldgräber und Rinderbarone werden von jeder Generation neu entdeckt, und versprechen einer verbogenen Westernromantik ewiges Leben. Kein Wunder, dass der 125. Todestag des berüchtigten jugendlichen Revolverhelden "Billy the Kid" alias "William Bonney" alias "Henry Antrim", alias "Henry McCarthy" zu einem PR-trächtigen Event geworden ist.
Im tourismushungrigen Neu Mexiko, dem im 19. Jahrhundert riesigen Territorium, auf dem sich "Billy the Kids" kurzes, gewalttätiges Leben abspielte, können in Erinnerung an seinen blutigen Ausbruch aus dem Lincoln County Gefängnis Gedächtnisritte gebucht werden. Unter dem Sternenhimmel von Santa Fe, an der berühmten Freilichtoper, wird das Ballett "Billy the Kid” aufgeführt, komponiert 1938 von Aaron Copeland.

Copeland sah den jungen Billy als tragische Figur, doch viele seiner Zeitgenossen hatten ihn als gnadenlosen Killer erlebt.

"Der unter dem Namen 'Billy the Kid' bekannte vulgäre Mörder und 'Desperado' hat endlich bekommen, was er verdient hat. Sein Tod hat große Freude ausgelöst","

hieß es in der Zeitung des Bergarbeiterstädtchens Silver City. Hier hatte der 1859 in New York als Henry MacCarthy geborene junge "outlaw" die ersten Kindheitsjahre verbracht. Der frühe Tod der aus Irland stammenden Eltern brachte ihn ins Waisenhaus. Mit 14 Jahren musste er für sich selber aufkommen. Er fand einen guten Job in einem Hotel. Doch als eine als Scherz gedachte Missetat ihm einige Tage Gefängnis einbrachte, geriet der blauäugige, immer fröhliche und hochintelligente Henry in helle Panik und brach aus. Ein Leben auf der Flucht hatte begonnen.

""Alle, die ihn kannten, können berichten, dass er, noch in der wildesten und gefährlichsten Laune, immer ein Lächeln auf dem Gesicht trug. Er aß und lachte, trank und lachte, ritt und lachte, kämpfte und lachte - und tötete und lachte."

So beschreibt Sheriff Pat Garrett seinen ehemaligen Weggefährten in dem Buch "The Authentic Life of Billy the Kid”. Es ist ein Augenzeugenbericht, mit dem Garrett die Schüsse in der Nacht zum 14. Juli rechtfertigen wollte - den im Auftrag des Gouverneurs von Mexiko erledigten Mord an "Billy the Kid".

Über seine letzten Minuten schreibt Pat Garrett:

"An seinem Schritt konnte ich erkennen, dass er entweder barfuß oder auf Strumpfsocken war. In der rechten Hand hielt er einen Revolver, in der linken ein Schlachtermesser. Er kam direkt auf mich zu, zog seine Pistole, nur einen Fuß von meiner Brust entfernt. Dann wich er schnell wieder zurück, und rief: 'Wer ist das - wer ist das?.' Ich zog meinen Revolver, so schnell ich konnte, und drückte ab. Warf mich zur Seite und feuerte noch einmal. Der zweite Schuss brachte nichts. Er fiel tot um. Ohne Worte. Noch ein oder zwei erstickte Atemzüge, und dann hatte Billy the Kid sich zu seinen vielen Opfern gesellt."

Wie viele Tote sind "Billy the Kid" wirklich anzulasten? Die Frage ist - wie viele andere - immer noch offen. Mehr als 40 Filme sind über den blonden, fast mädchenhaft zarten "Killer Cowboy" und Viehdieb gedreht worden. Dutzende Bücher und unzählige Zeitungsberichte sind erschienen, doch zwischen Wahrheit und Mythos gibt es bis heute keine klare Trennung. So wie über den genauen Namen und das exakte Geburtsdatum Unklarheit herrschen, so schwankt die Zahl der, von "Billy the Kid" Erschossenen zwischen "vielleicht 21" und "mit Sicherheit 4".

Auch seine Reputation als kaltblütiger Killer ist nicht solide. Pat Garretts "authentischen” Erinnerungen an den gnadenlosen jungen Satan widersprechen spätere Interpretationen, die in "Billy the Kid" eine Art Robin Hood sehen. Einen frühen Che Guevara, dem nicht der eigene Ruhm, sondern die unterdrückten mexikanischen Landarbeiter am Herzen lagen. Filmkritiker Paul Hutton:

"Die 'Billy the Kid-Story' ist immer wieder auf die Bedürfnisse eines neuen Publikums zugeschnitten worden. Die Skala reicht vom Robin Hood des Westens bis zum gemarterten Jugendlichen, vom degenerierten Punk bis zum märtyrisierten Freiheitssymbol."