Der gedruckte Knochen

Von Ernst-Ludwig von Aster · 08.04.2013
Ob Zahnkronen oder Ersatzteile - wenn es um exakte Passform jenseits des Massenmarktes geht, kommen immer öfter 3D-Drucker zum Einsatz. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin spricht gar von einer "neuen industriellen Revolution". Doch alles und jedes überall herzustellen, ist noch Zukunftsmusik.
Ben Jastram eilt über den Flur an der Technischen Universität Berlin, sein neuestes Produkt in der Hand. Eine Presse, um feines Pulver in Form zu bringen. Mit dem dann ein Drucker dreidimensionale Objekte erzeugen soll.

Der Ingenieur klettert noch über einen Staubsauger dann ist er an seinem Arbeitsplatz . Der 34-Jährige legt die Presse auf den Schreibtisch hängt die Jacke über den Stuhl.

"Das war ein halber Tag Konstruktionsarbeit und dann haben wir es direkt in eine selektive Lasersinteranlage, einen etwas komplizierterer 3D-Drucker geschickt. Und am nächsten Abend war es dann fertig nach dem Abkühlen."

Morgens designt, abends gedruckt. Hier im 3D-Labor der Technischen Universität. Jastram startet seinen Computer. An der Pinnwand darüber hängt ein Bild aus einem Computertomografen

"Das ist Knut, der Eisbär, der berühmteste Eisbär der Welt, glaube ich."

Genau genommen ein Bild seines Schädels. Aufgenommen mit einem Computertomografen kurz nach seinem Tod. Tiermediziner nutzen die Aufnahme zur Bestimmung der Todesursache, Jastram zur originalgetreuen Rekonstruktion des Knut-Kopfes.

"Wir haben das komplette Skelett im Maßstab 1:1 ausgedruckt. Das passte nicht ganz in den Drucker, muss man sagen, der Eisbärschädel ist schon recht groß, bei uns ging‘s darum, das bis zum dritten Halswirbel herzustellen, und zwar bis auf 0,5 Millimeter genau."

Jasram grinst. Ein originalgetreues Knut-Skelett aus dem Drucker. Für die Wissenschaft. Auf seinem Computerbildschirm dreht sich der Knut-Schädel. Von allen Seiten betrachtbar. In der nächsten Datei wartet der Torso des Echnaton, des Ehemanns von Nofretete. Das Original optisch vermessen, dann aufbereitet in Millionen Bits und Bytes. Fertig für den 3D-Druck.

Architekten-Modelle, eine Schildkröte, medizinische Instrumente
Im Nebenraum arbeiten vier 3D-Drucker. Jeder doppelt so groß wie ein Kopierer. In den Vitrinen: ihre Produkte. Knuts Kopf en miniature. Architekten-Modelle, eine Schildkröte, medizinische Instrumente, Mikroorganismen tellergroß. Unermüdlich surren Druckköpfe über eine hauchdünne Gipsschicht.

"Dann fährt der Druckkopf an den bestimmten Bereich und dort wird statt schwarzer Farbe einfach Klebstoff gedruckt. Und so haben wir dann diese Partikel miteinander verbunden, die dann ein Objekt bilden sollen. Das passiert zehntel Millimeter für zehntel Millimeter, bis das Objekt dann steht, das heißt, wir sind bei einem hundert Millimeter hohen Objekt bei 1000 Schichten, aus denen das Modell aufgebaut wird."

Spezielles Gipspulver, Klebstoff, 3D-Drucker. So entstehen hier originalgetreue Abbilder. Im Nebenraum bringt ein wandschrankgroßer Drucker Kunststoffpulver in dreidimensionale Formen. So entstehen belastbare Produkte. Manchmal auch für den Eigenbedarf.

"Ich habe eine Lampe gebraucht für den Winter, es ist dunkel, ich brauche Licht, und ich hatte keinen Platz mehr auf dem Lenker. Da war die Frage, wo baue ich jetzt meine Lampe an, da habe ich eine kleine Halterung gebaut."

In den vergangenen Jahren hat sich die Technik rasant entwickelt, sagt Jastram. Schon sind 3D-Drucker für den Hausgebrauch im Angebot. Für bis zu 2000 Euro. "Das ist Spielzeug", urteilt der Ingenieur...

"Der zukünftige Bereich ist die Medizin und Medizintechnik. Die Maschinen sind genau für solche Anwendungen, wo es um hohe Spezialisierungen und Individualisierungen geht, hervorragend geeignet. Und was ist da besser geeignet als die Medizin?"

Knochenimplantate für die OPs der Zukunft
Einige Kilometer weiter, bei der Bundesanstalt für Materialprüfung, kurz BAM, beugt sich Dr. Cynthia Gomes über ihren 3D-Drucker.

"Das ist unser 3D-Drucker-Gerät, hier stellen wir unsere Knochenimplantate her."

Seit Jahren forscht die Brasilianerin mit ihren Kollegen an Materialien, die als Knochenersatz dienen können. Ein Stoff hat sich mittlerweile bewährt:

"Die genaue Zusammensetzung darf ich nicht verraten. Aber das ist eine sehr ähnliche Zusammensetzung wie unsere Knochen."

Kalzium, Phosphat, Potassium - mehr will sie nicht sagen. Sicher ist sicher. Weltweit läuft in Forschungslaboren ein Wettrennen um die Medizinwerkstoffe der Zukunft. Die sich mit 3D-Druckern in Form bringen lassen.

"Das ist schon patentiert, lizensiert. Unsere Idee ist aber, die Werkstoffe für unterschiedliche Anwendungsbereiche im Körper…"

Leise surrt der 3D-Drucker. Bringt das Pulver Schicht für Schicht in die gewünschte Knochenform. Mit genau vorgegebener Porösität. Durch die winzigen Löcher siedeln sich später körpereigene Knochenzellen an und bilden natürliches Knochengewebe. Während sich der Kunstknochen langsam auflöst.

"Ein Spagat zwischen Abbau von meinem Werkstoff und Aufbau von Knochen, das muss ganz genau angepasst werden."

Unermüdlich macht der Drucker seine Schichtarbeit. Am Ende kommt der Kunstknochen in den Ofen. 1000 Grad stabilisieren die Biokeramik.
Cynthia Gomez greift zu einer durchsichtigen Plastikdose. Stecknadelgroß kugeln darin Kunstknochenteile.

"Die sind zum Beispiel für Mäuse. Ganz kleine Implantate. Die werden in einem Defektbereich von dem Oberschenkelknochen platziert."

Bis maßgeschneiderte Kunstknochen beim Menschen zum Einsatz kommen, dauert es noch einige Jahre, glaubt die Wissenschaftlerin. Dass es passiert, ist für sie keine Frage.

"Unser Traum ist, dass wir so weiterkommen, dass wir online während einer OP das alles herstellen."
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