Der fürsorgliche Imperator

Daniel Pinnow im Gespräch mit Marcus Pindur · 04.04.2012
Im Umgang mit seinen Mitarbeitern pflegt der Trigema-Chef Wolfgang Grupp eher einen patriarchalen Stil. Dies sei das Gegenteil von modernen Ansätzen, meint der Management-Experte Pinnow von der TU München.
Marcus Pindur: Wolfgang Grupp hat den wohl altmodischsten, langlebigsten und kultigsten Werbespot im deutschen Fernsehen laufen, und sein Hauptdarsteller ist neben ihm selbst ein freundlicher Schimpanse. Wolfgang Grupp wird heute 70, er gilt als Egomane, er residiert in einer Villa mit Butler, einer eigenen Kapelle und einem überdimensionierten Mausoleum. Im Umgang mit seinen Mitarbeitern pflegt der Patriarch einen Stil, der als fürsorglicher Imperator beschrieben wird. Berühmt wurde er allerdings durch den angesprochenen Werbespot.

Ich habe mit dem Management-Experten Daniel Pinnow von der TU München gesprochen und ihn zunächst gefragt, was dieser altmodische Werbespot denn über den Führungsstil von Wolfgang Grupp aussagt.

Daniel Pinnow: Nun gut, ein patriarchalisches Modell ist das Gegenteil letztendlich von modernen Führungsansätzen, die sehr, sehr stark den Gedanken der Kooperation pflegen, der Delegation pflegen. Ganz moderne Ansätze sprechen von systemischer Führung, die weggehen von einem Führungsverständnis, was Führung dadurch definiert, dass das von oben nach unten passiert, was man gemeinhin damit verbindet, sondern dass Führen eher aus der Mitte des Unternehmens entspringt, also dass man Impulse gibt in ein System.

Wenn man ein Unternehmen als Organisation versteht, ein Organisationssystem, dann ist das System oder Unternehmensorganisationen per se heutzutage einfach viel zu komplex, weil sich die Anforderungen dramatisch gewandelt haben. Ich sage mal einen Stichpunkt: Globalisierung. Das heißt, Sie können eigentlich so ein System gar nicht mehr managen im klassischen Sinne, sondern Sie können nur noch die Beziehungen managen der Organisationsmitglieder.

Pindur: Also Herr Pinnow, das habe ich jetzt nicht verstanden. Was meinen Sie damit?

Pinnow: Es geht darum letztendlich, wie stellen Sie ein modernes Unternehmen auf. Patriarchal heißt ja im Sinne, ich weiß, wo es langgeht, was erst mal gut ist. Führung heißt ja erst mal, ich muss in der Lage sein, eine Orientierung vorzugeben im Sinne von, wo geht es hin. Das ist schon mal ein notwendiger Ansatz, das macht der Patriarch. Das zweite ist, ich treffe die notwendigen Entscheidungen, auch das macht der Patriarch. Aber damit reicht es nicht mehr.

Führung hat heute sehr viel zu tun eben auch mit Kommunikation, wie kommuniziere ich meine Entscheidungen, auf welcher Wertebasis beruhen meine Handlungen, hat das eine Wertschätzung zur Grundlage für andere Menschen. Und wenn Sie in, sage ich mal, sehr komplexen Organisationen sind, also nicht in einem Betrieb, wie ihn Herr Grupp leitet, wo vermutlich zumindest in der Produktionsseite eher Tätigkeiten verrichtet werden, die noch überschaubar sind - das heißt also, derjenige, der die Tätigkeiten ausübt, könnte auch ohne groß anzulernen ersetzt werden, zumindest in den einfachen Tätigkeiten -, dann können Sie noch so führen.

Das geht nicht mehr in hoch komplexen Organisationen, beispielsweise in der IT-Industrie oder wo Sie mit Kommunikationstechnologien und so weiter zu tun haben. In den hoch differenzierten arbeitsteiligen Prozessen, da funktioniert das nicht mehr.

Pindur: Also die Führungsmethode ist auch branchenabhängig, das leuchtet mir ein. Nur was macht denn ein Besitzer einer Software-Firma, um seine Mitarbeiter möglichst effizient und möglichst motiviert auch an den Start zu bringen?

Pinnow: Da setzt es eben an, indem er eben nicht mehr das patriarchalische Modell verkörpert und sagt, Leute, das ist zu tun, hier geht es lang, ich sage, wie ihr das macht, sondern ein kluger Firmenchef wird das eher anders organisieren. Der wird sagen, natürlich gibt es hier ein Ziel, das muss er vorgeben, das ist wie gesagt auch sein Job, er gibt den Rahmen, aber wie die Leute sich organisieren, das überlässt er ihnen selbst.

Das heißt, wir sprechen hier sehr stark von sich selbst organisierenden Teams. Das kann bis dahin gehen, dass klassische Führung obsolet ist, dass es gar keine klassische Führung mehr gibt, also keine Hierarchie mehr - Hierarchie heißt ja auch die heilige Ordnung der Männer -, sondern petrarchische Modelle. Das heißt, dass die Mitglieder verschiedener Teams inklusive Vorgesetzten auf gleichberechtigter Ebene miteinander Dinge diskutieren.

Pindur: Dazu müssen aber Ziele im Vordergrund stehen und nicht eben die Vorgesetzten?

Pinnow: Genau! Ein Ziel muss definiert werden und muss dann auch erreicht werden. Um das geht es dann letztendlich.

Pindur: Die Wertschätzung und der Respekt gegenüber den Mitarbeitern steht da sehr weit im Vordergrund hinter Ihren Äußerungen.

Pinnow: Im Vordergrund, ist sehr zentral.

Pindur: Das ist sehr zentral. - Ist das in Deutschland denn in ausreichendem Maße Ihrer Ansicht nach vorhanden?

Pinnow: Es wächst stärker, aber es könnte natürlich deutlich mehr sein. Es gibt noch viele Organisationen, die klassisch hierarchisch zentralisiert funktionieren. Es passiert ein Wandel, der Wandel ist allerdings sehr, sehr langsam, weil es letztendlich ansetzt, Sie müssen sehr, sehr lange, lange, lange Jahre tradiertes Führungsverhalten ändern und das fällt auch dem einzelnen schwer. Und der Schlüssel bei diesen modernen Führungsansätzen ist ganz stark, die Führung beginnt immer bei mir selbst.

Das ist der Schlüssel. Erst mal muss ich in der Lage sein, mich selbst zu führen als Person, bevor ich überhaupt andere führen kann, und da fehlt es sehr viel in Deutschland in der Ausbildung, übrigens aber auch in US-amerikanischen Business Schools, das bekommen die auch nicht gelernt.

Pindur: Wenn das so ist, wenn diese nichtautoritäre Führung auch gerade in Großorganisationen wichtig ist, warum sind die Deutschen dann mit ihren mittelständischen Unternehmen auf dem Weltmarkt so erfolgreich und warum erwirtschaften wir 60 Prozent unseres Bruttosozialprodukts im Export mit solchen mittelständischen, relativ kleinen Unternehmen, die autoritär geführt werden?

Pinnow: Ich glaube eben, dass die nicht nur rein autoritär geführt werden. Was der Vorteil von diesem Führungsansatz ist, dass dort eine starke Führungsfigur ist. Ich sage es noch einmal: zum Führen gehört erst mal eine Orientierung geben, das heißt ein Ziel vorgeben, zum zweiten notwendige Entscheidungen zu fällen. Das passiert dort. Es gibt gerade in den mittelständischen Unternehmen aber auch viele Unternehmer, die das erkannt haben, die wussten, es gehört auch neben den hard facts so was wie die soft skills, also die wussten, wie ich Wertschätzung kommuniziere, die wussten, wie wichtig ein gemeinsames Wertesystem oder Normensystem ist, das das Ganze zusammenhält, die wissen, wie wichtig es ist, ihren Mitarbeitern Freiräume einzuräumen, damit sie sich dort entfalten und entwickeln können, also die genau diesen Part eben leben, und das ist auch ein Grund, warum dort überwiegend der Mittelstand so erfolgreich ist.

Pindur: Kommen wir noch mal auf Wolfgang Grupp zurück, der heute 70 wird. Was meinen Sie denn, wie lang sein Geschäftsmodell noch so funktionieren wird?

Pinnow: Das ist ja eine Marke. Er hat das ja wirklich kultiviert, und wenn er eine Kultur dort hat und pflegt und dort wirklich in wohl verstandenem Sinne sich sehr um seine Mitarbeiter sorgt, glaube ich durchaus, dass er Kunden findet, die ihm das auch glaubhaft abnehmen.

Die Qualität der Produkte stimmt ja und wenn sie stimmt und er mit diesem Ansatz, so wie er mit seinen Leuten umgeht, patriarchalisch eigenwillig, und dort es jetzt auch nicht so viele Möglichkeiten gibt, mal eben den Unternehmer zu wechseln, glaube ich schon auch, dass das durchaus länger funktionieren kann.

Pindur: Der Management-Experte Daniel Pinnow von der TU München über den Trigema-Chef Wolfgang Grupp, der heute 70 wird.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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