Der Friedhof als Buch

Von Peter Kaiser · 19.11.2011
Das Thema "Tod" wird in unsere Gesellschaft meistens von Kindern ferngehalten. Zu ernst, zu düster, zu traurig, heißt es oft. Dass Kinder dem Thema offen gegenüber stehen, das erlebt Olaf Ihnefeld. Er ist der Verwalter des Parkfriedhofs in Stahnsdorf südlich von Berlin und bietet Führungen speziell für Kinder an.
Olaf Ihlefeld: "Was ich heute für euch mache, ich schlage ein Riesenbuch auf. Und auf der ersten Seite stehen wir gerade jetzt. Wir stehen am Eingang des Friedhofs."

Samstagnachmittag um 14:30 Uhr mitten auf dem riesigen Parkfriedhof in Stahnsdorf, südlich von Berlin. Vor dem Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeld stehen die 11- und 12-jährigen Mädchen Zoe und Josephine und sind gespannt.

Ihlefeld: "Und der Friedhof, der liegt da wie ein gigantisches Buch und das werdet ihr heute entdecken, Schriften, Bilder, Zeichen."

Auf diesem Friedhof - mit 120.000 Gräbern einer der größten Europas - gibt es etliche Mausoleen und viele oft ungewöhnliche Grabstätten. Manchmal sind es die Grabstätten Prominenter wie Heinrich Zille oder F.W. Murnau, Edmund Rumpler und anderer. Den Kindern diese Gräber zu erklären, ist eines der Hauptanliegen des Friedhofsverwalters Ihlefeld:

"Seit 2007 mache ich hier die speziellen Führungen für Kinder. Erwachsenenführungen gibt es schon seit fast 20 Jahren, aber ich habe gemerkt, dass Kinder gern ferngehalten werden von Friedhöfen. Aus verschiedensten Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann. Und da habe ich mir gesagt, jetzt lade ich einfach die Kinder ein."

Friedhöfe sind keine Gruselorte, sagt Olaf Ihlefeld, sondern Begegnungsorte können zum Nachdenken über das Leben einladen.

Ihlefeld: "Ich mache den Kindern von Anfang an klar, dass ich nicht erwarte, dass wenn sie hierher kommen und den Friedhof besuchen, mit Trauermiene hier spazieren gehen. Weil, schlecht geht's nur uns, die noch leben, und wir sind traurig. Den Toten, denen geht` s ja gut. Und genau das erzähle ich den Kindern."

Dann geht die Führung los. Und hält schon nach wenigen Metern vor einem schwarzen großen Jugendstilengel an.

Zoe: "Ich finde den schön, der hat die Arme so auf dem Schoß gelegt, und in der Mitte ist so eine Blumenvase, eher so ein Blumenkreis."

Mit seinem gewaltigem Flügelpaar sieht der Engel nach unten zum Grab. In den Händen hält er eine Schale mit leuchtenden Blumen.

Zoe: "Und ich finde er sieht so aus, als würde es so der letzte Schutzengel sein, der so noch da ist."

Ihlefeld: "Ich bin auch überzeugt, dass die meisten Toten dankbar wären, wenn lachende Kinder an ihren Gräbern stehen, und heiter sind, und fröhlich sind."

Damit kommt Olaf Ihlefeld, der seit 20 Jahren hier als Friedhofsverwalter arbeitet, bei den Kindern gut an.

Zoe:"Er erzählt nicht elendlange Geschichten, sondern einfach nur so ein paar Infos. Er sagt: 'Ja, das, also, der ist hier begraben, was bedeutet das Denkmal'."

Josi: "Ich finde das eigentlich genauso wie Zoe. Ich finde das auch gut, dass es nicht so irre lange Geschichten über den Menschen ist, sondern halt kurzgefasst und spannend."

Spannend wird es auch vor dem Mausoleum des Friedrich Wilhelm Plumpe, der sich später in F.W. Murnau umbenannte.

Ihlefeld: "Es gibt in Oberbayern eine Stadt, die nennt sich Murnau, und da gab es eine Künstlerkolonie. Und da war auch dieser Friedrich Wilhelm Murnau. Der hat den ersten Vampir- und Draculafilm gedreht, den es jemals gab. Der hieß Nosferatu."

Zoe:"Also, das war einer der besten Vampirfilme?"

Ihlefeld: "Das war der erste Film, den man mit diesen Draculageschichten gestaltet hat."

Auch das Mausoleum des ersten Vampirfilmregisseurs, sagt Olaf Ihlefeld, hat wie andere Mausoleen nichts Gruseliges:

"Wenn irgendjemand heute auf den Friedhof geht und sagt: 'Mausoleum OHHHA, Grusel', dann erzähl ihm, ' Das ist das letzte Haus. Die Menschen haben das zu Lebzeiten gemacht. Das ist mit Sicherheit hell, farbig, freundlich, Sitzgelegenheiten, einladend. Die laden uns Menschen, die leben ein, zu den Toten zu gehen und da Zeit zu verbringen."

Ohne Scheu führt Ihlefeld die Mädchen an die Särge F.W. Murnaus und dessen Brüder. Bei dieser unmittelbaren Nähe zu den Toten überkommt die Mädchen dann doch ein gewisses Gruseln.

Josi: "Liegen die da jetzt echt noch?"

Ihlefeld :"Ja, das sind die Särge."

Josi und Zoe: "BOHHHH"

Den Eltern zeigt Ihlefeld das Mausoleum des weltberühmten Stummfilmregisseurs, der 40-jährig früh in Santa Barbara bei einem Autounfall starb.

Ihelefeld: "Seine letzte Station war die Südsee, und darum sollte hier was von der Südsee zu sehen sein: die blaue See, der Himmel, oben das Mosaik. Und so sind die drei jetzt hier beerdigt."

Wenig später besucht die Gruppe das Ehrengrab des Flugzeug- und Autoingenieurs Edmund Rumpler, dessen Grabstatue dem Ikarus ähnelt. Und dann Urnenfelder, und Freiflächen mit Blumen, sowie islamische und jüdische Gräber ...

Ihlefeld: "Steine an die Gräber zu legen, ist eine urjüdische Tradition. Und die ist nicht religiös entstanden, sondern klimatisch. In Israel frische Blumen an die Gräber zu legen, das machte keinen Sinn ... Und die Steine sind im Judentum das ganz klare Symbol der Ewigkeit."

Unermüdlich und mit Engelsgeduld erklärt der Friedhofsverwalter, schlägt mit jeder Grabstätte, mit jeder Statue und jedem Zeichen Seite für Seite im Buch dieses Friedhofs auf. Ihlefeld weiß, dass diese Führung noch lange in den Kindern nachwirken wird:

"Was der schönste Erfolg ist, dass ich oft im Nachhinein von Eltern oft höre, dass die Kinder danach über Tage und Wochen Löcher in den Bauch fragen. Was wird denn, wenn wir sterben? Was wird denn mit euch, wenn ihr sterbt? Und da ist das, was ich will. Die Familien sollen sich auseinandersetzen mit Kindern auch über das Thema Tod und Sterben.

Damit wär`n wir am Ende unserer Runde."

Als der Adrenalinpegel der Mädchen auf dem Rückweg zum Friedhofseingang langsam sinkt, zeigen sie sich beeindruckt von dem, was sie erlebt haben.

Peter Kaiser: "Und würdet ihr denn wiederkommen?"

Beide antworten: "Ja."

Zoe: "Also jetzt auch ohne Führung oder so. Und wenn ich keine Führung nehmen würde, würde ich einfach nur so rumlaufen."
Josi: "Ich würde auch noch mal herkommen. Es ist ganz schön hier rumzulaufen, weil, man sieht ja auch nicht immer Gräber. Und dann ist das einfach wie ein Wald."