Der feine Pulverschnee der Ironie

01.06.2007
Der schmale Roman des isländischen Autors Sjón beginnt damit, dass ein Mann im Winter 1883 verbissen die Fährte einer Füchsin verfolgt. Sjón, der Gedichte, Romane und auch Texte für die Sängerin Björk geschrieben hat, liegt damit nicht gerade im Trend der isländischen Gegenwartsliteratur. Er überzieht das Island des 19. Jahrhunderts mit feinen ironischen Sprachkristallen.
Sjón wurde 1962 in Reykjavík unter dem Namen Sigurjón Birgir Sigurdsson geboren und hat in Island zahlreiche Bände mit Gedichten und mehrere Romane veröffentlicht. Außerdem schreibt er Texte für die isländischen Sängerin Björk und war maßgeblich an dem Skript zu Lars von Triers Musical-Film "Dancer in the Dark" beteiligt. Mit "Schattenfuchs" erscheint jetzt zum ersten Mal ein Roman von ihm auf Deutsch.

Im Winter des Jahres 1883 verfolgt ein zunächst namenloser Mann am Rand einer isländischen Hochebene verbissen die Fährte einer "erdschwarzen Füchsin". Der Leser wird zum distanzierten Beobachter: Anhand von kurzen, fast protokollartigen Abschnitten folgt er Mensch und Tier durch die "vereiste Wüste", während "Wolkenfetzen" einen gefährlichen Schneesturm ankündigen. Der Jäger heißt Baldur Skuggason und ist Pfarrer der kleinen Gemeinde Dalur. Vor wenigen Tagen hat er eine Tote begraben.

Die Zusammenhänge zwischen dem Begräbnis und der Fuchsjagd bleiben zunächst verborgen. Sjón beginnt mit einer scheinbar neuen Geschichte. 1868, also fünfzehn Jahre zuvor, macht sich der Botaniker Friðrik B. Friðjónsson auf den Weg von Dänemark in seine Heimat Island, um den Hof seiner verstorbenen Eltern aufzulösen. Friðrik hat in Kopenhagen studiert, und er will nicht in Island bleiben. Doch dann trifft er in Reykjavík auf ein behindertes Mädchen namens Abba. Friðrik erkennt, dass sie an jener "mongoloiden Idiotie" leidet, die der englische Arzt John Langdown-Down gerade erst erforscht hat. "Pflanzen-Friðrik" nimmt das Erbe seiner Eltern an und lebt mit seiner "sonderbaren Freundin" Abba auf dem Hof, bis sie schließlich im Januar des Jahres 1883 stirbt. Friðrik zimmert einen Sarg und schreibt einen Brief an Pfarrer Baldur Skuggason. Kurz darauf macht der Geistliche sich auf in die Berge.

Damit schließt sich der erste Kreis dieses schmalen Romans, mit dem Sjón nicht gerade im Trend der isländischen Gegenwartsliteratur liegt. Die bekannteren Autoren seiner Generation – wie Einar Már Guðmundsson und Einar Kárason – widmen sich meist den gesellschaftlichen Umbrüchen der Nachkriegszeit, und auch der in Deutschland derzeit meistgelesene Isländer Arnaldur Indriðason beschäftigt sich in seinen Bestseller-Krimis gerne mit sozialen und politischen Problemen.

Davon ist Sjón weit entfernt. Es ist kein Zufall, dass er seinen Protagonisten Friðrik ausgerechnet Théophile Gautier lesen lässt, jenen französischen Schriftsteller, der für das Konzept "l'art pour l'art" eintrat. In diesem Sinne überzieht Sjón das Island des 19. Jahrhunderts mit einer Lawine von phantastischen Verfremdungseffekten und feinen ironischer Sprachkristallen – bis selbst die Einöde inmitten der literarhistorischen und wissenschaftsgeschichtlichen Anspielungen genauso sanft zu glitzern beginnt wie die Lawine, die die selbstmörderische Jagd des Pfarrers auf die "moorschwarze und zottige Füchsin" und die dunklen Geister seiner Vergangenheit beenden wird. Auch hier in Deutschland, wo man sich zunehmend über die "realistische" Ausrichtung der Literatur einig zu sein scheint, dürfte dieser Roman eine angenehme Überraschung sein.

Rezensiert von Kolja Mensing

Sjón: "Schattenfuchs".
Aus dem Isländischen Betty Wahl.
S. Fischer, Frankfurt am Main 2007.
126 Seiten, 16,90 Euro.
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