Der Familienfilmer

Von Bettina Ritter · 03.06.2010
Eine unheimliche Vorstellung: Man hat einen Autounfall, und das Gedächtnis ist komplett ausgelöscht, man kennt die Kinder nicht mehr, und die Ehefrau ist eine Fremde. Genau das ist dem Vater von Rick Minnich passiert. Der Dokumentarfilmer hat diese Familiengeschichte nun verfilmt.
Minnich: "Man kann seine Kinder verlassen und ein neues Leben anfangen. Aber das bedeutet nicht, dass sie aufhören, deine Kinder zu sein. Der Verantwortung kann man nie richtig entgehen, finde ich."

"Wenn dein Vater sich nicht mehr an dich erinnert, hört er dann auf, dein Vater zu sein?" Ein eindeutiges Nein, das ist Rick Minnichs Antwort auf die Frage, die er seinem Film "Forgetting Dad" vorangestellt hat. Sein Vater, Richard, ist anderer Meinung. 1990 verliert der nach einem Autounfall sein Gedächtnis. Und fragt seinen damals 22 Jahre alten Sohn: Wann hörst du endlich auf, mich Dad zu nennen?

Minnich: "Es war sehr hart, so etwas zu hören. Das war seine Art und Weise mir indirekt zu sagen, du bist nicht mein Sohn, oder, ich bin nicht dein Vater. Er hat mir immer wieder gesagt: Ich bin nicht der Vater, den du in mir suchst. Er hat wirklich behauptet, eine neue Person zu sein."

Ein Schock für die ganze Familie. Aber ein grandioser Stoff für einen Film. Das ist dem Regisseur Minnich schnell bewusst. Er braucht zehn Jahre bis er sich dazu durchringen kann, sich selbst und die gesamte Familie - insgesamt zwei Ex-Ehefrauen und fünf Kinder - vor die Kamera zu bringen und das Schweigen zu brechen.

Minnich: "Das war das große Rätsel im Mittelpunkt unseres Lebens, das war wie so ein großes Loch. Und keiner hat sich richtig zugetraut das anzufassen oder eine Auseinandersetzung in Gang zu bringen. Ich bin Filmemacher, und wenn so etwas Ungewöhnliches in deiner Familie passiert, dann ist es sehr nahe liegend, dass man das zu einem Filmthema macht."

Minnich wächst zusammen mit zwei Schwestern in Kalifornien auf. Seine Mutter arbeitet im Marketing, sein Vater hat wechselnde Jobs, unter anderem als Datenbankspezialist. Und er ist streitbar. Weil er mehrmals gekündigt wird, ziehen die Minnichs fast jedes Jahr um. Als Rick ein Teenager ist, verlässt der Vater die Familie. Mit seiner neuen Frau bekommt er zwei weitere Kinder. Zu dieser Zeit macht Rick Minnich seine ersten Erfahrungen mit dem Medium Film.
Minnich: "Ich habe mit zwölf Jahren angefangen Filme zu machen, weil ich eine Super-8-Kamera geschenkt bekommen habe. Zu dem Zeitpunkt wurde der erste von meinen jüngeren Brüdern geboren, und es hat mir Spaß gemacht, ihn zu drehen, wie er so durch die Gegend gekrabbelt ist.

Ich hab’ nie damit aufgehört, hab immer meinen Bruder gedreht und ein bisschen Familienleben. Heute ist die Welt so übersättigt mit Familienaufnahmen bei Youtube. Aber früher war das seltener, weil das Medium teurer war und es gab kein Internet."

Familie wird eines der zentralen Themen in Minnichs Filmschaffen. In "Forgetting Dad" porträtiert er seine eigene, im Vorgänger-Film - "Homemade Hillbilly Jam" – einen Musiker, der mit seinen Cousins in einer Band spielt. In seinem neuen Projekt geht es um zwei Brüder und deren verstorbenen Vater.

Der erste Film übrigens, den er in Deutschland dreht, im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, wo er auch wohnt. Was ihn seit Jahren in Deutschland hält?

Minnich: "Die ganz banale Antwort ist, dass ich mich verliebt habe."

Seine Frau Susanne lernt er kennen, als er Anfang der Neunzigerjahre nach Berlin kommt.

Minnich: "Und fünf Kinder später sind wir immer noch zusammen, und irgendwann habe ich den Studienplatz bekommen an der Filmhochschule. Ich hatte immer im Hinterkopf, irgendwann ziehe ich zurück in die USA, aber dann ist immer irgendwas passiert, ich hatte immer wieder einen Grund, hier zu bleiben."

An eines musste er sich in Deutschland besonders gewöhnen.
Minnich: "Dass die Leute nicht lächeln. Und das Wetter in Berlin ist wirklich schrecklich!"

Heute ist der 42-Jährige mit den dunkelblonden kurzen Haaren und der runden Brille im jungenhaften Gesicht Vater von vier Söhnen - der Älteste ist 14 - und einer Tochter. Sie ist mit zwei Jahren die jüngste.

Minnich: "Nachdem ich Vater geworden bin, hat’s mich mehr interessiert, die Strukturen von Familien nicht wissenschaftlich zu untersuchen, sondern: Wie entwickeln sich die Kinder, was passiert mit den Eltern, wenn sie Kinder haben. Da ist so eine Vielfalt an Themen im Familienbereich, das ist unerschöpflich."

Zu seinem Vater hat Rick Minnich heute keinen Kontakt mehr. Er lebt mit seiner dritten Frau in den USA und reagiert nicht auf die Anrufe und E-Mails seines Sohnes.

Aber der Kontakt zu seinen Schwestern, Halb- und Stiefgeschwistern sei durch den Film enger geworden, sagt der Regisseur und lächelt. Das Thema Familie wird ihn weiter begleiten. Im Film wie in der Realität.
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