"Der Fälscher ist schließlich auch im 21. Jahrhundert angekommen"

Henrike von Spesshardt im Gespräch mit André Hatting · 01.09.2011
Mehr Transparenz und eine stärkere Vernetzung in der Kunstszene fordert die Kunstkennerin Henrike von Spesshardt, um Fälschungen frühzeitig erkennen zu können. Sie lobt bestehende Initiativen wie die "Datenbank kritischer Werke".
André Hatting: Es geht um 14 Bilder, schöne Bilder der klassischen Moderne, darunter das wunderbare "Seine mit Brücke und Frachtkähnen" von Max Pechstein oder von Max Ernst das imposante "La Mer". Alle aus der beeindruckenden Sammlung Jägers. Die kennen Sie nicht? Kein Wunder, das sind nämlich alles Fälschungen, und zwar so perfekte Fälschungen, dass jahrelang niemand etwas gemerkt hat und eine Gruppe richtig viel Geld mit diesen Plagiaten verdient hat. 16 Millionen Euro im Ganzen. Es ist eine der größten Fälscherskandale der letzten Jahrzehnte. Heute beginnt in Köln der Prozess gegen zwei Männer und zwei Frauen, die sich das Ganze ausgedacht haben. Am Telefon ist jetzt Henrike von Spesshardt, sie ist Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des Online-Kunstmagazins "artnet". Guten Morgen, Frau von Spesshardt!

Henrike von Spesshardt: Guten Morgen!

Hatting: Würden Sie einen gefälschten Max Ernst erkennen?

von Spesshardt: Ich würde ihn im Zweifel nicht sofort erkennen. Jetzt, da ich um genau diese Dinge weiß, die Sie gerade beschrieben haben, würde ich mich aber an jemanden wenden, der ihn zu erkennen vermag.

Hatting: Zum Beispiel?

von Spesshardt: Zum Beispiel einen Experten. Wenn der denn grundsätzlich damit einverstanden wäre, das Bild auch Max Ernst zuzuschreiben, würde ich mich vergewissern und würde die vielen, vielen schönen naturwissenschaftlichen Möglichkeiten, die wir heutzutage haben, in Anspruch nehmen, um die Echtheit des Bildes zu verifizieren.

Hatting: Warum haben das so viele - von Galeristen über Makler - warum haben die das nicht gemacht, warum sind die alle auf diese Fälschungen hereingefallen?

von Spesshardt: Ja, das ist eine gute Frage. Hinterher ist man immer schlauer. Sie müssen sich das vorstellen, der Kunstmarkt lechzt ja nach Originalen, und am liebsten hat er natürlich Neu- und Wiederentdeckungen. Käufer, Forscher, alle freuen sich wahnsinnig, wenn ein Bild auftaucht, das entweder als verschollen galt oder das man unter Umständen noch gar nicht kannte.

Der Auktionsalltag kann ja auch relativ frustrierend sein. Da kommt jeden Tag einer herein, der hat meinetwegen eine mit Sicherheit echte Stradivari-Geige oder Kinderzeichnungen von van Gogh, und das nervt eben auf die Dauer. Und wenn dann tatsächlich einmal jemand reinkommt und eine solche Sensation bereithält und eben auch entsprechende Dokumente vorliegen und so weiter und so fort, dann ist da natürlich die Freude groß, vor allem wenn es sich um ein lang vermisstes Werk handelt.

Hatting: Ich verstehe es also richtig, dass man vielleicht auch gar nicht so genau hinschauen wollte, denn schließlich ging es um viel Geld, und zwar nicht nur für die Fälscher, sondern auch für die Galeristen und nicht zuletzt die Gutachter?

von Spesshardt: Genau, darum ging es auch, das ist ja ganz klar. Das ist ja mittlerweile bekannt, dass der entsprechende Experte, der in diesem Fall betroffen ist, hohe Summen dafür erhalten hat, entsprechende Expertisen auszustellen. Und dass dann unter Umständen auch einmal ein Gemälde für echt befunden wird, bei dem man noch mal eventuell hätte nachforschen müssen, ob es sich um ein Original handelt, das ist dann nicht verständlich, aber das kommt eben vor.

Hatting: In diesem Fall, bei diesen vier Fälschern, handelt es sich um einen der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte - also Fälschungen kommen ja immer vor, aber nicht in dieser Dimension. Wie genau sind denn die vier vorgegangen, dass das so lange so erfolgreich funktioniert hat?

von Spesshardt: Ja, das wird ja oder wurde in den letzten Monaten häufig ja auch in den Medien als so ganz genialer Coup verkauft. Wenn man genau hinschaut, ist das Ganze so genial auch wieder nicht. Da spazieren nun in den 90er-Jahren zwei Schwestern in ein großes Kölner Auktionshaus, der Großvater sei verstorben und habe eine große Sammlung hinterlassen. Er sei in den 20er-Jahren Großkunde des renommierten deutsch-jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim gewesen und habe eben Unmengen an diesen wunderbaren Werken der klassischen Moderne nicht nur gekauft, sondern in den Kriegsjahren versteckt in der Eifel - also das war alles so etwas märchenhaft - und man wolle nun verkaufen. Und in dieser ganzen Euphorie und Entdeckerfreude haben eben die Warnmechanismen tatsächlich vollkommen ausgesetzt, was wohl sehr menschlich, aber natürlich grob fahrlässig und gar nicht zu entschuldigen ist.

Hatting: Wie ist das Ganze am Ende aufgeflogen?

von Spesshardt: Aufgeflogen ist im Grunde genauso profan das Ganze, weil sich dieses Kölner Auktionshaus, eine Expertin des Hauses, an einen George-Grosz-Experten, Ralph Jentsch, auch in Köln ansässig, gewendet hat und gebeten hat darum, doch mal ein Etikett zu begutachten, was eben auf einem dieser Bilder hinten angebracht war. Und Ralph Jentsch hat dann sehr klar wohl, nach eigenen Angaben, damals schon 2008, Zweifel geäußert und gesagt, das ist nicht echt. Und nach und nach sind dann eben Gerüchte durchgesickert, woraufhin im Juli 2010 erste Presseartikel dazu erschienen sind und das Landeskriminalamt Berlin dann auch die Ermittlungen aufgenommen hat.

Hatting: Das Fälschen von Kunst hat Tradition, 2003 gab es einen berühmten Fall Giacometti, im vergangenen Jahr, glaube ich, waren es Kippenberger-Bilder - das läuft meistens nach demselben Muster ab. Was wäre dann nach Ihrer Meinung ein wirklich wirksames Instrument gegen den Handel mit gefälschten Kunstwerken?

von Spesshardt: Ach, das ist ganz klar. Es ist so, im Kunsthandel gilt ja nach wie vor Verschwiegenheit als höchstes Gut, da muss man eben sagen, diese Diskretion hat eben auch ihren Preis. Es ist legitim, finde ich, dass Händler die Namen ihrer Kunden diskret behandeln, zumal wenn es um Millionenverkäufe geht. Was aber den Informationsfluss angeht, da müssen sich die Dinge wirklich grundlegend ändern. Es muss Transparenz hergestellt werden, Kooperationen, Archive müssen geöffnet werden, Vernetzung, was Verdachtsfälle angeht. Nur so lässt sich im Grunde auch die Reputation, die verlorene, wiederherstellen, und man muss sich darüber im Klaren sein, der Fälscher ist schließlich auch im 21. Jahrhundert angekommen und hat Zugang zu vielen Quellen, die er vielleicht vor einigen, sagen wir vor zehn Jahren noch gar nicht hatte. Es gibt eine Initiative des Bundesverbandes deutscher Kunstversteigerer in Köln, die so genannte "Datenbank kritischer Werke", und das zum Beispiel ist eines der begrüßenswerten Instrumentarien. Aber da muss es mehr von geben, weil im Grunde nicht der Ehrliche, sondern der Verschwiegene in Zukunft der Dumme sein wird.

Hatting: In Köln beginnt heute der Prozess gegen vier Kunstfälscher. Das war ein Gespräch mit Henrike von Spesshardt, sie ist Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des Online-Kunstmagazins "artnet". Frau von Spesshardt, ich danke für das Gespräch!

von Spesshardt: Ich danke auch, Wiederhören!

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Die Sammlung Jägers und einer der größten Fälscherskandale der Kunstgeschichte