Der Dirigent richtet’s hin

Von Jörn Florian Fuchs · 29.05.2009
Ein gutes Management macht noch keine gute Aufführung: Bei den Salzburger Pfingstfestspielen dirigiert Riccardo Muti eine allzu perfekte Inszenierung der Oper "Demofoonte” von Niccolò Jommellis. Alle in der Partitur angelegten Aufbrüche, Verklammerungen und Ideen werden von Muti konsequent verhindert. Das Ergebnis ist ein Barockbrei ohne Kraft und Form.
Fangen wir doch einfach mal positiv an. Nämlich mit drei - schwierig auszusprechenden - Namen. Die stehen für grandiose Sänger, gerade gehört bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Josè Maria Lo Monaco, Timante. Maria Grazia Schiavo, Dircea. Dmitry Korchak, Demofoonte. Der Letztere ist König von Thrakien, Timante ist sein Sohn, wobei sich später herausstellt, dass er es doch nicht ist. Dircea wiederum ist die Geliebte von Timante, soll aber Apoll geopfert werden, weil’s nun mal bei denen in Thrakien so Sitte ist, um Schlimmeres zu verhindern. Und dann sind da noch Matusio und die Prinzessin Creusa und der rührige Adrasto und auch noch Cherinto, der echte Sohn des Demofoonte.

Man merkt, wir sind mitten im Barock gelandet, genauer: bei Metastasio, dessen Libretto den Thrakien-Herrscher und seine Entourage in einen Wirrwarr aus vermeintlichen und realen Konflikten, Emotionen und Familienzusammengehörigkeiten schickt. Am Ende finden sich die Richtigen, ein Opfer findet nicht statt und sogar ein vermeintlich inzestuöses Liebespaar entpuppt sich als emotional füreinander bestimmt, aber genetisch doch nicht verwandt. Die Geschichte reizte eine Unzahl von Tonsetzern, so auch Niccolò Jommelli, der seine Version unter anderem in Neapel herausbrachte. Und da man seit drei Jahren zu Pfingsten Neapel und seine Musiktheater-Ergüsse an die Salzach holt, traf es diesmal eben jenen "Demofoonte” von Jommelli.

Hört man heute etwa das grandiose Damenduett im zweiten Akt, dann ist man betört von der Zartheit und Grazie dieser Musik. Man erlebt im Wortsinn Epochales und realisiert, wie stark sich Jommellis Partitur vom üblichen Heruntergeschnurre barocker Zeitgenossen unterscheidet, wie einzelne Instrumente den Gesangsstimmen Affekte vermittelnd zur Seite treten, wie sich das melodische Orchesterschwirren mit Melos-Bögen neuartig verknüpft. Eineinhalb Stunden wunderbare Musik schenkt uns Jommelli und bringt mit seinem "Demofoonte” außerdem frischen Wind ins festgefahrene Barockrepertoire.

Leider dauert der Abend in Salzburg dreieinhalb Stunden. Leider inszeniert den Abend Cesare Lievi. Und leider steht am Pult des handwerklich beachtlichen Cherubini-Jugendorchesters dessen Gründer Riccardo Muti. Muti dirigiert dieses Stück. Das heißt, er organisiert die Auf- und Abtritte der Instrumentstimmen und Sänger, was fast immer punkt- und phrasengenau gelingt. Nur eines scheint Muti um jeden Preis verhindern zu wollen, nämlich, dass jemand ausschert, sprich: eigenständig agiert. Alle in der Partitur angelegten Aufbrüche, Verklammerungen, ja Ideen werden von Muti konsequent negiert und verhindert. Das Ergebnis ist ein Barockbrei ohne Kraft, ohne Form und Kontur, ohne Licht.

Dazu passt ideal Cesare Lievis perfekte Organisation der sängerischen Auf- und Abtritte. Im tristen Bühnenraum mit mal zerbrochenen, mal verkehrt herum liegenden Säulen heißt es vor allem: Rampe, Rampe, Rampe - und immer an den Dirigenten denken, damit der die Sänger auch sieht und sie seine Einsätze.

Um zumindest etwas versöhnlich zu enden, sei auf das üppige pfingstliche Konzertangebot verwiesen. Hier würdigte der Countertenor-Star Philippe Jaroussky erneut sein großes Vorbild Farinelli, das Accordone Ensemble unter Guido Morini und Marco Beasley bot eine kesse Hommage an den dubiosen neapolitanischen Fürsten Raimondo di Sangro und schließlich gab es mit Giovanni Paisiellos großartiger Missa defunctorum ein bemerkenswertes Stück Sakralmusik des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Auch hier wirkte Muti leider eher als Aufführungsmanager denn als wirklicher Interpret. Was also tun? Vielleicht sollte man Apoll ein Opfer bringen, damit dieser endlich einen Jacobs oder einen Harnoncourt oder einen Christie oder einen Minkowski nach Salzburg schickt. Vielleicht brauchen wir aber dazu gar keinen Apoll, vielleicht richtet es ja in Bälde der neue Festspielgott Alexander Pereira.