Der Diktator Ungern von Sternberg

Rezensiert von Erik von Grawert-May · 03.04.2011
Ungern von Sternberg, geboren 1885, stammt aus einer deutschbaltischen Adelsfamilie, wächst in Reval auf und geht bald zur russischen Armee. Mit seiner mordlüsternen Armee fällt er 1920 in der Mongolei ein, um dort ein asiatisches Großreich zu errichten.
Wäre der Autor nicht ein so glänzender Erzähler, man würde seinen Erstling vielleicht irgendwann angewidert in die Ecke werfen. Die von Ungern-Sternberg, dem weißen Baron, begangenen Grausamkeiten sind so grässlich, dass der Leser lieber wegsehen möchte. Außer am Auspeitschen vergnügte sich der Adlige gern:

"(…) an Folterungen, die mit Bäumen zu tun hatten. Eine solche Strafe bestand zum Beispiel darin, den Missetäter zu zwingen, auf einen hohen Baum zu steigen und dort die ganze Nacht zu bleiben. Diejenigen, die diese ‚akrobatische Farce’ nicht durchhielten und herunterfielen, brachen sich Arme und Beine und wurden erschossen, da sie nun nur noch überflüssige Esser wären." (S.197)

Was machte diesen baltischen Baron, der 1885 in Graz geboren wurde, aber in Russland aufwuchs und sich als Russe verstand, zu einem solchen Sadisten? Warum fühlte er sich berufen, als neuer Dschingis Khan die Mongolen zu retten? Er wird vom Autor des öfteren als geisteskrank bezeichnet, doch fasziniert er ihn und uns so sehr, dass mehr im Spiel gewesen sein muss.

Sein Sadismus und sein Größenwahn passten in eine geschichtliche Zeit, die selbst vom Wahn besessen war. 1904/05: Krieg zwischen Japan und Russland. Wir sehen den jungen Baron erstmals als Soldaten beteiligt. Freiwillig meldete er sich nach Fernost.

Unter dem Eindruck der russischen Niederlage kristallisierten sich bei ihm jene politischen Hirngespinste, die nach dem Ersten Weltkrieg eine messianische Größenordnung annahmen. Sein Vaterland, das von ihm hochverehrte zaristische Kaiserreich, ging in Revolution und Bürgerkrieg unter, was in dem Gedemütigten einen heiligen Zorn entfachte. Der entlud sich in der Mongolei, je¬nem zentralasiatischen Gebiet, das von Japan, Russland und China gleichermaßen begehrt war und wo er seine ersten militärischen Erfahrungen gesammelt hatte. Der Baron:

"Im Land östlich des Baikalsees versuchte ich, den Orden des militanten Buddhismus zu gründen, um einen gnadenlosen Kampf gegen die Verderbtheit der Revolution zu führen (…) Wozu? Zum Schutz der Entwicklung der Humanität (…), denn ich bin überzeugt, dass diese Entwicklung zur Göttlichkeit führt und die Revolution zur Bestialität." (S.58)

Ungern-Sternberg kämpfte gegen alles Revolutionäre und alles Jüdische, da er beides gleichsetzte. Seine fanatische Religiosität steigerte sich bis zu der Behauptung, von Gott zur Rettung der Mongolen gesandt zu sein. Es war eine unheilvolle Mischung aus christlichen und fernöstlichen Glaubenssätzen. Die Verehrung für das Gottesgnadentum der Monarchie spielte da¬bei eine ebenso große Rolle wie seine Begeisterung für den mongolischen Buddhismus. Ihm zufolge konnte sich der göttliche Khan in immer wieder neuen Gestalten reinkarnieren – warum also nicht auch in der des Barons:

"Er hatte darum gekämpft, das Reich zu retten, in dem er aufgewachsen war, aber das war fast unwiderruflich dahin. Russlands Seele war an die Bolschewiken verloren. Ein neues Reich musste gegründet werden, und das Modell dafür sah er in dem Reich Dschingis Khans, das sich einst ‚vom Amur bis ans Kaspische Meer’ erstreckt hatte." (S.169)

Um das ins Werk zu setzen, brauchte er eine Armee. Tatsächlich schaffte er es, ein paar tausend Mann zu rekrutieren – ein bunt gemixter Haufen, den er mit eiserner Disziplin und drakonischen Strafen, wie bereits erwähnt, zusammenhielt.

Sie vertrieben Ende 1920 die Chinesen aus Urga, einem strategisch wichtigen Ort, konnten sich aber nicht lange halten und wurden schließlich kaum ein Jahr später durch eine Übermacht gegnerischer Kräfte vernichtend geschlagen. Die Sadismen des Barons hatten das Ihre zur Auflösung der eigenen Truppe beigetragen. Andererseits lag das Gebiet zu sehr im Einflussbereich der angrenzenden Nationen, als dass selbst ein weniger sadistischer Kämpfertyp auf Dauer Erfolg gehabt hätte.

Einen gewissen "Erfolg" – Erfolg in Gänsefüßchen - konnte er auf jeden Fall für sich verbuchen. Den Erfolg nämlich, als erster an der Umsetzung von Visionen gearbeitet zu haben, die von einem anderen Kaiserreich geteilt wurden. Das von Russland war untergegangen, das von China wankte. Doch da war noch das Kaiserreich Nippon. Von dessen politischem Messianismus war der deutsche Baron infiltriert worden. James Palmer, unser Autor, geht den gemeinsamen Bezügen in scharfsinniger Weise nach - zum Beispiel am Gebrauch des Begriffs "Himmel" bei Ungern-Sternberg:

"Ein Staat könne ebenso wenig ohne König auskommen, wie ‚die Erde ohne Himmel’. Ohne Mo¬narchen werde die apokalyptische Endzeit kommen (…)" (S.233),

so der Baron. Dazu Palmer:

"Ungern-Sternberg schrieb selten von ‚Gott’, wenn er sich über die Monarchie ausließ, sondern bevorzugte stattdessen den ökumenischen Ausdruck ‚Himmel’, der den ostasiatischen Vorstellungen einer mehr allgemeinen göttlichen Autorität sicherlich näher kam (…)" (S.235)

Der Baron war ein Vorläufer. Sein Wahn war genährt von den nationalen Wahnideen der Anrainer der Mongolei, besonders von denen des Landes der aufgehenden Sonne. Die Wiedererweckung des alten Kaiserreichs, die Neuerschaffung des Erbes Dschingis Khans: Diese Ambitionen, so der Autor, deuten

"in verstörender Weise auf etwas viel Schlimmeres voraus. In der Rückschau auf Ungerns Vorstellungen fällt auf, wie erschreckend nahe sie den japanischen Plänen aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren für eine Expansion ins Innere Asiens kommen." (S.272f.)

Man muss die Blicke allerdings nicht so weit schweifen lassen. In den Zwanzigerjahren beeinflusste diese baltische Reinkarnation des Dschingis Khan stark die deutsche Rechte und in den Dreißigern wurde er in einem Roman sogar zum heldenhaften Vorläufer des Führers auserkoren. Dies vor allem auch wegen seines Antisemitismus.

Der Erstling unseres Autors ist mehr als ein Baustein für das Verständnis der Zwischenkriegszeit. Er ist eine Art missing link, vor allem, was die historischen Vorgänge jener Zeit in Zentralasien betrifft.


James Palmer: Der blutige weiße Baron. Die Geschichte eines Adligen, der zum letzten Khan der Mongolei wurde
aus dem Englischen von Nora Matocza und Gerhard Falkner
Die andere Bibliothek, Eichborn Verlag, Frankfurt a. M./2010