Der Botschafter Gottes

22.06.2009
Narendranath Datta, bekannt als Swami Vivekananda, ist es zu verdanken, dass der Geist und die Praktiken des Hinduismus die westliche Welt erreicht haben. Martin Kämpchen hat die Schriften und Reden des ersten hinduistischen Mönches, der im Westen gesprochen hat, unter dem Titel "Wege des Yoga" herausgegeben.
"'Ihr Kinder unsterblicher Seligkeit’! – Erlauben Sie mir, Sie mit diesem Namen anzusprechen. Denn Sie sind Kinder Gottes, heilige und vollkommene Wesen."

So begrüßt Swami Vivekananda das Auditorium auf dem Parlament der Religionen, Chicago 1893. Sein Auftritt löst einen Sturm der Begeisterung aus – und es beginnt die Karriere des Hinduismus in der westlichen Welt.

Vivekananda, mit bürgerlichem Namen Narendranath Datta, Sohn eines Rechtsanwalts aus Kalkutta, ist ein weltgewandter Mann: hochgebildet und bestens vertraut mit der Kultur der britischen Oberschicht in Indien. Anderseits ist Datta ein tiefgläubiger Hindu. Er findet schließlich seine Lebensaufgabe, als er dem Mönch Ramakrishna begegnet. - Ramakrishna war ein hinduistischer Mystiker, lebte von 1836 bis 1886 und wird heute in Indien als ein Heiliger verehrt:

"Ramakrishna überzeugte weniger durch seine Kenntnis der Dogmen als durch seine Ekstasen, seine geistige Freude, seine Offenheit für das Göttliche, egal wie und in welcher Religion es sich zeigen mochte","

schreibt Martin Kämpchen, der Herausgeber dieses Buches, in seinem Kommentar, der mehr ist als das: nämlich ein gelungener Essay über den Neo-Hinduismus.

Ramakrishna war ein Priester der Hindu-Göttin Kali. Weil die Kultur seiner indischen Heimat aber auch von arabischen und britischen Eroberern geprägt wurde, kam Ramakrishna ganz selbstverständlich auch in Berührung mit dem Islam und mit dem Christentum.

""Ramakrishna übte sich in die verschiedenen Kulte des Hinduismus wie auch in das Christentum und den Islam ein, um danach verkünden zu können, dass es viele Wege, jedoch nur einen Gott gäbe","

schreibt Martin Kämpchen. Diese - neohinduistische - Botschaft seines Meisters nach dessen Tod um die Welt zu tragen, dazu fühlte Vivekananda sich berufen. Das vorliegende Buch versammelt wichtige Schriften von ihm und Reden, die er in den USA und in England gehalten hat - über die "Wege des Yoga", auf welche sich begeben sollte, wer immer Gott erreichen will.

""Die Religion der Hindus besteht nicht in dem Ringen, an ein bestimmtes Dogma zu glauben. Sie besteht nicht darin zu glauben, sondern zu sein - und zu werden. Das einzige Ziel ihrer Religion ist, durch ständiges Bemühen vollkommen zu werden, göttlich zu werden, Gott zu erreichen und Gott zu schauen."

Die Botschaft des Hindus Vivekananda auf dem Parlament der Religionen, Chicago 1893. Nicht durch passiven Glauben an ein Dogma, sondern durch aktives Bemühen allein ist Gott zu erreichen. Dieser "Yoga", sprich der Weg zu Gott, so Vivekananda, kann auf mindestens vier verschiedene Arten beschritten werden: es gibt Karma-Yoga, als Jnana-Yoga, Raja-Yoga und schließlich als Bakti-Yoga. Karma-Yoga ist der Weg der selbstlosen, praktischen Tätigkeit, Jnana-Yoga der Weg philosophischer Erkenntnis, Raja-Yoga ist der Weg meditativer Erfahrung und Bhakti-Yoga der Weg hingebungsvoller Liebe - zu Gott und zu den Menschen.

Jedem dieser vier Wege ist ein spezieller Abschnitt dieses Buches gewidmet. Über Karma-Yoga zum Beispiel, den Weg der praktischen Tätigkeit, heißt es:

"Alle nach außen gehende Energie, die selbstsüchtigen Motiven folgt, wird vergeudet. Sie wird keine Kraft verursachen, die zu Dir zurückkehrt. Bedenke! Alle Arbeit dient nur dazu, die die Seele zu erwecken. Selbstlosigkeit lohnt sich mehr. Nur haben die Menschen oft nicht die Geduld, sie zu üben."

Christen werden ihre bevorzugte Form der Gottesverehrung in diesem Buch vornehmlich unter der Überschrift "Bhakti-Yoga" wieder finden. Und wer sich für das Thema "Meditation als Weg zu Gott" interessiert, sollte vor allem im Kapitel "Raja-Yoga" nachlesen. Dort gibt es übrigens auch Ratschläge für die richtige Yogi-Ernährung, denn: "Reine Nahrung erzeugt einen reinen Geist, und ein reiner Geist erinnert sich unentwegt an Gott." "Reine Nahrung" ist nach Vivekanadas Auffassung in jedem Fall fleischlos. Er schreibt, "es wäre besser, wenn Menschen, die Fleisch essen, das Tier selbst töteten."

Dann würde sich der Fleischkonsum vermutlich drastisch reduzieren. Denn ein Mensch, der ein Mensch ist, so Vivekananda, hat Mitgefühl nicht nur mit Exemplaren der eigenen Spezies, sondern auch mit Tieren. Er wird das Schlachtmesser nicht ohne Not selbst auspacken.

Ein erstaunliches Buch. Nicht graue Theorie, sondern ein "grüngoldener Baum" des Lebens. Vivekananda muss ein Redner gewesen sein, der sein Publikum begeistern konnte - für eine religionsübergreifende Spiritualität:

"Wenn es je eine universale Religion geben wird, muss sie so unendlich sein wie der Gott, den sie predigen will. Ihre Sonne soll auf die Anhänger von Krishna und Christus, auf Heilige und Sünder scheinen. Diese Religion wird nicht brahmanisch oder buddhistisch, christlich oder islamisch sein, sondern die Summe von ihnen allen, und sie wird dennoch unendlichen Raum zur Entwicklung haben."

Besprochen von Susanne Mack

Swami Vivekananda: Wege des Yoga - Reden und Schriften
Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Martin Kämpchen
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main/Leipzig 2009
264 Seiten, 26,00 Euro