Der Blick auf die deutsche Aktienkurve

Von Caspar Dohmen · 01.07.2013
Am 1. Juli 1988 feierte das wichtigste deutsche Börsenbarometer Premiere. Der DAX war zunächst nur eine Ergänzung zu anderen Indizes, wurde nur einmal am Tag mit Stift und Papier berechnet. Doch er mauserte sich schnell zum Leitindex für den deutschen Aktienmarkt.
Börsen gehören zu den wichtigsten Marktplätzen unserer Wirtschaft. In London, New York oder Frankfurt werden unter anderem Anleihen und Aktien gehandelt. Für einen Anleger ist es ein immenser Aufwand, jedes Wertpapier einzeln unter die Lupe zu nehmen. Um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, haben Experten deswegen bereits im 19. Jahrhundert spezielle Kennzahlen entwickelt, die sogenannten Indizes, zunächst in England und Amerika. Sie sollen auf einen Blick verraten, wie sich ein bestimmter Markt gerade entwickelt. Hierzulande ist der Deutsche Aktienindex, besser bekannt unter seinem Kürzel DAX, das wichtigste Börsenbarometer. Es informiert Anleger fortlaufend über die wirtschaftliche Verfassung der größten Kapitalgesellschaften aus Europas größter Volkswirtschaft.

Vor der Einführung am 1. Juli 1988 war die Lage unübersichtlicher. Zudem wurden die deutschen Indizes nur einmal am Tag berechnet, mit Bleistift und Papier.

Frank Mella, damals Redakteur bei der Börsenzeitung, hat den DAX auf Wunsch seines Verlegers entwickelt:

"Es gab jede Menge Indizes, aber genau da lag das Problem. Es gab damals wie heute zum Beispiel den Index der Frankfurter Allgemeinen, aber der wurde schon in der Konkurrenzzeitung nicht mehr zitiert. Dann gab es den Commerzbank-Index, den hat die Deutsche Bank nicht benutzt. Dann hatte die Frankfurter Wertpapierbörse immer einen Index, der wurde aber in der Düsseldorfer Börse nicht mehr benutzt und dann kam auf einmal der DAX, Deutscher Aktienindex."

Der Name war neutral. Deswegen nutzten ihn bald alle Beteiligten.

"Aus der Bezeichnung geht ja nicht einmal hervor, wer diesen Index berechnet. Und das war dann der gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen konnten."

Die Deutsche Börse AG berechnet den DAX während des Börsenhandels jede Sekunde auf Basis der fortlaufenden Notierung von 30 Aktienwerten. Erfasst sind die 30 größten und umsatzstärksten Unternehmen wie der Versicherer Allianz, die Autobauer VW, Daimler und BMW, der Chemiekonzern BASF oder die Softwareschmiede SAP. Der Clou bei der Konstruktion des DAX ist, dass nicht nur die Kurssteigerungen der Aktien berücksichtigt werden, sondern auch die Dividenden oder sonstige Sonderauszahlungen. Das unterscheidet den DAX von den meisten anderen Indizes. Als Basiswert legte die Börse tausend Punkte fest.

Zu Beginn schauten sich fast nur Experten die Entwicklung des neuen Börsenbarometers an. Das änderte sich erst in den 90er-Jahren, als sich immer mehr Bürger in Deutschland für Aktien zu interessieren begannen, inspiriert durch den Neuen Markt und den Börsengang ehemaliger Staatsunternehmen wie der Telekom. Dafür warb auch der Schauspieler Manfred Krug.

"Haben Sie nichts vergessen? Wirklich an alles gedacht? Huch! Die Telekomaktie."

Viele Menschen kauften jetzt erstmals Aktien und beschäftigten sich mit der Materie. Neue Anlegermagazine schossen aus dem Boden, und das Börsenfernsehen transportierte das Geschehen in die Wohnzimmer der Republik. Am 7. März 2000 berichteten die Moderatoren über einen Rekordstand von 8064 Punkten. Der Punktwert des DAX hatte sich binnen zwölf Jahren mehr als verachtfacht. Dann platzte die Internetblase, und es kam nach den Anschlägen des 11. September 2001 zu einer weltweiten Konjunkturkrise. Innerhalb weniger Tage stürzten die Börsen weltweit ab, der DAX auf 2202 Punkte. Der Crash schmälerte das Vertrauen vieler deutscher Anleger in Aktienanlagen nachhaltig. Nur jeder zehnte Deutsche besitzt heute noch Aktien. Darauf verweist Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut.

"Daneben gibt es aber einen Anteil von – ich sage jetzt einmal – 90 Prozent der Bevölkerung, die der Aktie kritisch bis neutral gegenüberstehen."

Trotzdem genießt der DAX, ebenso wie andere wichtige Börsenindizes wie der S&P 500, der die Aktien der 500 größten US-Unternehmen abbildet, große Aufmerksamkeit. Über Börsenrekorde und Abstürze berichten Medien ausführlich, so wieder zuletzt, als der DAX die Rekordmarke von 8250 Punkten nahm. Allerdings haben die populären Indizes einen blinden Fleck, auch der DAX, worauf der US-Ökonom Robert Shiller kürzlich in der Wochenzeitung "Die Zeit" hinwies:

"Bei diesem Rekordjubel wird die Inflation vergessen, um die der Anstieg der Kurse bereinigt werden muss. Ich schaue mir nicht die üblichen Börsenindizes an, ich habe eine eigene Messlatte, den Total Return Index."

So nützlich Börsenbarometer auch sind. Wer sie richtig interpretieren will, muss sich auch heute genau mit der Materie beschäftigen.