Der beste Nationalspieler, den Deutschland nie hatte

Von Bernd Sobolla · 25.07.2011
Er galt als eines der größten Fußballtalente, das je in Deutschland den Rasen betrat, spielte für die U-21-Nationalelf, für das "Nationalteam Perspektive 2006" und verschiedene Bundesligisten. Und doch gelang Thomas Broich die ganz große Karriere nicht. Als der "Andere Fußballstar" feierten ihn die Medien eine Zeit lang, als Mozart auf dem Fußballplatz. Der Filmemacher und Grimme-Preisträger Aljoscha Pause hat Thomas Broich über acht Jahre seiner Karriere begleitet, von 2003 bis 2011, und hat die erste Langzeit-Dokumentation über einen deutschen Fußballprofi produziert. Eine außergewöhnliche Geschichte über einen charismatischen Fußballprofi, der viele Höhen und Tiefen des Geschäfts durchlief und eine neue Perspektive auf den Ball und seine Protagonisten liefert.
Fußballreporter: "War das fantastisch gemacht, gegen Hleb, so, den lässt er aussteigen, dann startet Swerkosch, kein Abseits, wunderbar gespielt von Thomas Broich. Ist das ein Riese."

Thomas Broich: "Das war so dieser erste Paukenschlag. Aber was mir dieser Pass eigentlich bedeutet hat: Jeder Pass dieser Art ist in erster Linie eine wahnsinnige innere Genugtuung. So ein Pass, dem haftet fast etwas Poetisches an. Deshalb gibt mir das sehr viel, solche Dinge zu spielen."

2004 scheint für den 23-jährigen Thomas Broich alles möglich: Er hat den Sprung von Wacker Burghausen und der 2. Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach in die 1. Liga geschafft, ist dort Stammspieler, spielt zudem in der U21-Auswahl der Nationalelf, zusammen mit Lukas Podolski, Sebastian Schweinsteiger und Philip Lahm.

Die Kritiker feiern seine Spielfreude, sein Passspiel und seine Fähigkeit, das zu machen, womit keiner rechnet, mit einer Leichtigkeit, wie man es von Zinédine Zidane kennt, kurz Zizou genannt. Ohne falsche Bescheidenheit nimmt Thomas Broich dessen Namen auch in seiner E-Mail-Adresse auf. Weshalb der Film "Tom meets Zizou" heißt. Doch dem Regisseur Aljoscha Pause, der zuvor viele kleine Fußballerporträts für Fernsehen drehte, ging es nicht darum, das Aufblühen eines Stars festzuhalten.

Aljoscha Pause: "Es war so, dass ich mir zunächst gedacht habe: Ich würde mal ganz gern so eine Langzeitstudie machen. Und habe mir dann überlegt: Mit wem könnte man das machen? Dann habe ich im Rahmen dieser Porträtreihe Thomas Broich kennen gelernt und habe mir gedacht: Vielleicht ist er genau der Richtige, der auch den Horizont hat und in der Lage ist, das ganze Geschäft auch intellektuell und auch von seiner rhetorischen Fähigkeit her ein wenig darzustellen."

Aljoscha Pause unterlegt seinen Film leider mit zu viel Musik. Mit Thomas Broich hat er einen zur Selbstreflektion fähigen Protagonisten gefunden. Broich hat nicht nur großes spielerisches Potenzial. Er ist auch ein ungewöhnlicher Privatmensch: spielt Klavier und Gitarre, liest viel und Anspruchsvolles: Hemingway, Dostojewski und Camus. Literatur, in der es ums Leben geht, und die oft vom Scheitern handelt.

Thomas Broich: "Gerade so Dinge wie Freiheit oder Identität, Moral. Das hat Tiefgang das Ganze. Und das ist etwas, was in unserer Gesellschaft oft viel zu kurz kommt. Und da einfach mal gewisse Standpunkte kennenzulernen oder auch mal geistig angeregt zu werden, das ist mir sehr wichtig."

Die Medien lieben ihn dafür. Man nennt ihn den "anderen Star" oder auch Mozart, freut sich über so viel Ausstrahlung auf dem Platz und Scharfsinn außerhalb. Doch dann folgen die Rückschläge: Die abstiegsbedrohte Borussia bekommt 2004 mit Dick Advocaat einen neuen Trainer - ein General. Wer nicht macht, was er sagt, steht auf dem Abstellgleis. Darunter auch Thomas Broich. Mit dem nächsten Trainer, Horst Köppel, läuft es für den Mittelfeldregisseur besser. Aber als Köppel im Sommer 2006 geht, zieht es auch Broich weg. Er geht zum 1. FC Köln in die 2. Liga. Unter Christoph Daum steigt der FC wieder in die 1. Liga auf. Aber auch mit Daum tut sich Broich schwer.

Christoph Daum: "Wenn du da als Jahrhunderttalent gehandelt wirst und alle sagen dir, was du für ein genialer Ausnahmefußballer bist. Dann kommt manchmal so ein bisschen der Gedanke auf, dass du gar nicht mehr so viel tun brauchst."

Thomas Broich: "Da kam der große Zampano, und dann wurde es echt doof. Also es war dann so ein Zirkus. Aber so gar nicht meine Welt. Auf der anderen Seite, der Typ hat ja auch Erfolg. Der hatte seine eigenen Ideen, der hat brutal hart gearbeitet auch und, mein Gott, es hat einfach nicht gepasst mit uns."

2009 geht Broich nach Nürnberg, wo sein ehemaliger Co-Trainer und Freund Michael Oenning Cheftrainer ist. Doch obgleich hier die Chemie stimmt, bleibt Thomas Broich weit unter seinen Möglichkeiten - und verfällt in Depressionen.

Thomas Broich: "Wenn es dann Richtung Trainingsgelände ging, das war die Hölle. Ich stand dann auf dem Platz und war völlig gerädert. Also ohne auch nur einmal gegen den Ball getreten zu haben, ohne wirklich ausgepumpt zu sein. Ich konnte keinen Ball mehr stoppen. Ich war unbeweglich, langsam."

Weder Bücher noch Philosophie helfen ihm jetzt, weder Musik noch intellektueller Scharfsinn. Michael Oenning unterstellt Broich sogar, das Scheitern unbewusst zu seinem Programm gemacht zu haben.

Michael Oenning: "Wenn er also morgens beim Frühstück ein Buch liest, dann liest er halt ein Buch. Es gibt aber auch Situationen, wo ich dann sage: Na ja, jetzt musst du mal kein Buch lesen! Er liest aber trotzdem. Sei es im Entmüdungsbecken oder in der Halbzeit oder sonst wie. Dann müsste man mal darüber nachdenken, einfach nur um nicht zu polarisieren, dass man es einfach weglässt."

Und der Regisseur Aljoscha Pause fürchtet um sein Filmprojekt:

"Allerdings war das Ganze nie als eine lineare Erfolgsgeschichte angelegt. Als wenn man es nur darauf abgezielt hätte, dass da jemand das maximale Talent hat, den gradlinigsten Weg geht, hätte man es ja durchaus auch mit Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski zum damaligen Zeitpunkt machen können. Mir war es wichtig, irgendwo auch eine besondere Geschichte zu erzählen und ein wenig hinter die Kulissen dieses doch oft sehr konformen und stereotypen Geschäfts zu schauen."

Und schließlich geht Thomas Broich ins Ausland, nach Australien, wo seine Karriere plötzlich eine entscheidende Wendung nimmt. "Tom meets Zizou" ist weit mehr als eine Dokumentation. Es ist ein Stück Zeitgeschichte. Es ist eine Nah- und Langzeitaufnahme, wie es sie nie zuvor gab. Eine, die die vielschichtigen Probleme von Profifußballern jenseits des Platzes zeigt. Das Ganze mit dem besten Nationalspieler, den Deutschland nie hatte.


"Tom meets Zizou - Kein Sommermärchen"
Brisbane-Spieler Thomas Broich beim Spiel Brisbane Roar gegen Sydney FC im Suncorp Stadium in Brisbane am 21. August 2010.
Brisbane-Spieler Thomas Broich beim Spiel Brisbane Roar gegen Sydney FC im Suncorp Stadium in Brisbane am 21. August 2010.© picture alliance / dpa / Dave Hunt