Der bekannteste Unbekannte unter Deutschlands Nachkriegsmalern

27.05.2013
Auf der documenta wurden seine Werke 1959 gefeiert, danach wurde es still um ihn. Zu seinem 100. Geburtstag erinnern nun mehrere neue Publikationen an den Berliner Maler und Fotografen Alfred Otto Wolfgang Schulze, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Wols.
Seine Präsentation auf der documenta II 1959 war ein großer Erfolg. Mit 41 Werken gehörte Wols zu den Eckpfeilern der Kasseler Weltkunstschau und war einer der wenigen Künstler, die von der Kritik gefeiert wurden. Danach jedoch wurde es still um ihn, und heute gilt Wols als der bekannteste Unbekannte der europäischen Nachkriegsmalerei. Zum hundertsten Geburtstag rücken nun umfangreiche Werkschauen und Publikationen den 1913 als Alfred Otto Wolfgang Schulze in Berlin geborenen Künstler wieder ins Licht.

In jeder Hinsicht gewichtig zeigt sich das 300 Seiten starke Katalogbuch "Wols. Die Retrospektive". Es ist weit mehr als ein reines Begleitwerk der aktuellen Bremer Ausstellung. So bietet es über 200 exzellente großformatige Abbildungen aus Wols’ fotografischem, zeichnerischem und malerischem Werk sowie umfangreiche Aufsätze zu Leben, Schaffen und Wirken des Künstlers.

Kurator Ewald Rathke etwa erläutert, dass die Rezeption von Wols’ Arbeit durch dessen Biografie bestimmt und verstellt wurde. Tatsächlich befeuerten die schwierigen Lebensbedingungen des stets in prekären Verhältnissen lebenden Künstlers viele Legenden. 1951 mit nur 38 Jahren durch seine Trunksucht dahingerafft, galt Wols vor allem als verschrobener Einzelgänger und Getriebener. Da er sein zeichnerisches Werk zudem in einem Internierungslager während des Zweiten Weltkriegs begonnen hatte, wurde Wols’ Motivwahl über die Maßen mit Leid und Gewalt in Verbindung gebracht.

Wols-Fotografien im Kupferstichkabinett in Dresden (Bild: dpa)

Ohne die Vita zu verleugnen, gelingt Toby Kamps anschließend eine luzide Beschreibung des zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion changierenden Werks. Kamps erforscht Wols’ zeichnerische Fantasiewelten und beschreibt schließlich des Künstlers malerische Wucht, mit der er späte Ölbilder zu gigantischen Farbwirbeln werden ließ. Damit betrat Wols absolutes Neuland und wurde wegweisend für andere.

Wie sehr sich der Künstler selbst gegen Festschreibungen und Definitionen sträubte, lässt sich eindrücklich in einer anderen Publikation studieren. Es handelt sich dabei um ein bereits 1947 geführtes Gespräch zwischen Wols und seiner Malerkollegin Ione Robinson, das nun zum ersten Mal vollständig ins Deutsche übersetzt wurde.

Robinson erweist sich darin als beharrliche Forscherin, Wols als konsequenter Ausweicher. Ihren bohrenden Fragen zu seinem Werk verweigert er sich unentwegt. "Seien sie nicht so töricht zu versuchen, durch Erfindungen zu ersetzen, was Sie nicht imstande sind, in meinen Gemälden zu begreifen", herrscht er die Interviewerin schließlich an.

Dennoch gibt Wols Wesentliches preis: So spricht er von der "unglaublichen Kraft der Natur" und der Schönheit aller Dinge. Sie läge ebenso in einem Riss im Asphalt wie in dem grafischen Muster eines Zaunes. "Trotz des Elends und der Armut liebe ich das Leben", verrät er schließlich. Das ist so berührend wie erhellend und besagt mehr über sein Werk als viele Interpretationen. Schön, dass dieses – übrigens einzige längere festgeschriebene – Interview endlich auf Deutsch vorliegt!

Besprochen von Eva Hepper

Wols. Die Retrospektive
Mit Beiträgen von Patrycja de Bieberstein Ilgner, Toby Kamps, Ewald Rathke, Katy Siegel
Hirmer Verlag 2013
300 Seiten 45 Euro

Ione Robinson: Stunden mit Wols - 1947
Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Dino Heicker
Piet Meyer Verlag 2013
100 Seiten, 12,80 Euro
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