Der aufgeheizte Medienmarkt in den USA

Von Ralph Sina · 02.08.2011
Der vierten Macht in den USA geht es vor allem ums Geld. Die heftige Debatte der letzten Wochen um Schuldenmisere und Staatsdefizit wird von den US-Medien eifrig mit befeuert. Objektivität, Sachlichkeit und Faktenorientierung als journalistische Prinzipien gelten als antiquiert. Polarisierung und Trivialisierung sind Trumpf, sonst droht das Quoten-Abseits.
Es ist ein Ausnahmemoment im Leben des Medienmoguls Rupert Murdoch, der die Anhörung vor elf britischen Parlamentariern wörtlich - als den demütigensten Tag seines Lebens - bezeichnet. Und es ist ein Ausnahmemoment in Amerikas Medienlandschaft, die sich normalerweise nicht um Anhörungen vor dem britischen Parlament schert. Doch an diesem Murdoch-Tag gelten andere Gesetze: Alle führenden US-Fernsehstationen berichten live aus London.

Die Vereinigten Staaten sind Murdoch-Land. Der Australier hat sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen, um den US-Medienmarkt durch seine News Corporation aufzurollen und umzugestalten. Und deshalb wollte auch der gesamte elektronische US-Medienmarkt Zeuge sein, als sich Medienzar Rupert Murdoch, Herr über Amerikas einflussreichsten Kabel-Sender Fox-News, über die erfolgreiche Tageszeitung Wall Street Journal und die Boulevard-Zeitung New York Post der Frage nach seiner Verantwortung stellt.

Es kommt wie es von Rupert Murdoch nicht anders zu erwarten war: Der Medienzar weist jede persönliche Verantwortung für die kriminellen Abhör- und Bestechungspraktiken seiner Konzernangestellten zurück.

Was bedeutet es eigentlich für einen Mann, der weder Demut noch Reue zu kennen scheint, einen Tag der Demut zu erleben, fragt darauf die renommierte US-Publizistin Amy Goodman. Die Enthüllungen über die Machenschaften des Murdoch-Konzerns in Großbritannien erschüttern auch die USA.

Der Skandal, der Murdochs Medienimperium in Großbritannien ins Wanken bringt, droht nun auch auf die USA überzugreifen, berichtet CNN. Wenn Murdochs Konzern in Großbritannien so skrupellos hat bestechen und abhören lassen, wozu ist seine milliardenschwere News Corporation dann in den USA fähig? lautet die Frage.

Die amerikanische Bundespolizei FBI untersucht, ob Murdoch-Zeitungen die Anrufbeantworter der Opfer des Terrorangriffs vom 11. September hackten. Oder die Mobiltelefone der Opferangehörigen. Amerikas Republikaner horchen auf: Mit Rupert Murdoch und seiner News Corporation droht das wichtigste rechtskonservative Sprachrohr im Kampf gegen Obama beschädigt zu werden.

Murdoch ist bis zum Beweis des Gegenteils ein unschuldiger Mann, mahnt der ehemalige New Yorker Bürgermeister und prominenter Republikaner Rudolph Giuliani. Aus gutem Grund : Murdochs News Corporation ist nämlich als US-Medien-Unternehmen im Bundesstaat Delaware registriert. Und laut amerikanischer Gesetzgebung haben Bestechungsversuche oder kriminelle Lauschangriffe im Ausland für US-Unternehmen ernste Konsequenzen. Die Republikaner machen sich Sorgen um ihren wichtigsten Medienpartner im Kampf gegen US-Präsident Obama. Den wollen sie mit Hilfe von Murdochs Fox News und rechter Radio- Stars wie Rush Limbaugh im Wahljahr 2012 als Amerikas Schuldenpräsidenten und Steuererhöher brandmarken.

Obama rede doch nur deshalb seit Wochen ständig vom zweiten August und einer möglichen US-Zahlungsunfähigkeit um hemmungslos Steuern erhöhen zu können, verkündet Amerikas Medienstar Rush Limbaugh in seiner täglichen Radioshows und auf Fox News. Und fügt in sinnentleerter Polemik hinzu: offenbar denke Obama in muslimischen Kategorien. Der US- Präsident sei nur deshalb so auf den möglichen finanziellen Weltuntergang am zweiten August fixiert, weil am ersten August der islamische Fastenmonat Ramadan beginne.

Rush Limbaughs tägliche Radio-Show und der sogenannte Nachrichtensender Fox News zählen zu den erfolgreichsten Trendsettern des elektronischen US-Medienmarktes.

Objektivität, Sachlichkeit und Faktenorientierung seien journalistische Prinzipien von vorgestern, lautet die Medienphilosophie der rechtskonservativen Meinungsmacher. Sie belächeln den um Ausgewogenheit bemühten Nachrichtensender CNN ebenso wie die altehrwürdigen Flaggschiffe des US-Printjournalismus namens New York Times und Washington Post.

Amerikas Theoretiker des Kampagnenjournalismus, zu denen unter anderem der Medienforscher Jay Rosen von der New York University zählt, halten das Bemühen um Objektivität nicht für einen ethischen Wert. Sondern für einen veralteten Reflex auf den Anzeigenmarkt im zwanzigsten Jahrhundert. Damals hätten Amerikas Zeitungen und Fernseh-Networks keinen Werbekunden durch Einseitigkeit verprellen dürfen. Doch im Facebook, Twitter und Smartphone-Zeitalter fänden die wichtigsten Geldgeber Meinungsfreude und Polarisierung sehr sexy. Außerdem seien alle Fakten durch das Internet längst auf dem Markt. Gefragt sei nur noch die Interpretation der Fakten- und die liefere niemand süffiger als ein Radio-Demagoge wie Rush Limbaugh. Oder ein TV-Sender wie Fox-News, der Seriösität nur noch suggeriert um seine Meinungsmache noch besser verkaufen zu können.

Fox kennt in seinen auf Pseudoseriösität getrimmten Nachrichtensendungen nur ein Ziel: das rechtskonservative Weltbild durch das verbale Einschlagen auf die immer gleichen Feindbilder zu zementieren.

Obama sei ein Rassist, suggerieren Fox News Moderatoren. Der erste schwarze US-Präsident hasse heimlich die Weißen.

Wie kommt dieser schwarze Typ plötzlich dazu, unser Land zu regieren? Was geht hier eigentlich vor sich? - tönt es hemmungslos auf Fox News. "Was soll's ?" gibt sich Fox-News-Gründer Ailes betont harmlos.

Er habe mit Politik nichts zu tun, sondern sei nur für die Einschaltquoten zuständig. Und die stimmten, feixt der Fox -Boss. Keiner präsentiert in Amerika die Propaganda so süffig und gekonnt wie der Sender aus dem Imperium des Medien-Moguls Murdoch. Um die pseudoobjektive Fassade des Nachrichtensenders zu wahren, überlässt Fox das besonders lautstarke Dauerpöbeln anderen Gesinngsfreunden. Zum Beispiel Radio-Star Rush Limbaugh, der seine Wut auf Obama gerne mit Faustschlägen auf den Studiotisch demonstriert.

"Ich will Obama scheitern sehen",

ruft Limbaugh Amerikas Weissen Truckern zu, die jeden Tag in ihren LKW-Kabinen millionenfach seinem Kurzwellensender lauschen.

"Was ist denn so schlimm daran und ganz ehrlich zu sagen: 'Ich will, dass Obama scheitert!' ? Wenn die Mission dieses Präsidenten darin besteht, Amerikas grundlegenden Fundamente zu zerstören: die individuelle Freiheit und den Kapitalismus."

Doch im Gegensatz zu Amerikas rechten Radio-Haßpredigern gibt sich Fox-News väterlich besorgt um den Zustand Amerikas unter Obama, den sie im kommenden Präsidentschafts-Wahljahr 2012 mit aller medialen Macht aus dem Weißen Haus jagen wollen.

"Ich bin einer, der sich schreckliche Sorgen um sein Land macht - genau wie ihr",

begann der ehemalige Fox-News-Prediger Glenn Beck seine abendliche patriotische Erweckungspredigt. Und als sei Obamas Gesundheitsreform gleichbedeutend mit einem Terroranschlag auf die USA, versagte Beck die Stimme. Er spreche jetzt ausnahmsweise nicht als Journalist, sondern einfach als betroffener US-Bürger, weinte der Vorzeige-Patriot ins Fox-Mikrofon.

Tränen eines professionellen Polit-Clowns: Da sich Beck nie sicher war, ob ihn die Rührung vor laufender Kamera im entscheidenden Moment ausreichend übermannte, rieb er sich während einer Werbepause ständig Mentholcreme unter die Augen.Doch Beck's ständiges Schluchzen und seine permanente Anti-Obama-Hetzkampagne waren selbst dem Fox News-Publikum zu viel. Die Einschaltquoten sanken, Anzeigenkunden wendeten sich ab. Das ist die einzige Sprache, die der Sender versteht: Beck musste gehen.

Er werde weiterhin alles für Amerika tun, versprach Beck der Fox-News-Gemeinde. Und auch ohne Beck gilt :

"Die Kavallerie ist angekommen. Fox ist da."

Nachrichten als Spielplatz von Ideologen und als Teil der Unterhaltungsindustrie : Der Sender diktiert als Einschaltquoten-König mittlerweile sogar den Ton in der Washingtoner Politik, sagt Prof. Mark Feldstein von der George Washington University.

"Es gibt in der Tat mittlerweile viele Scherze in Amerika darüber, dass die Republikanische Partei mittlerweile nur noch eine Abteilung von Fox News ist. Denn mittlerweile arbeiten viele potenzielle Präsidentschaftskandidaten der Republikaner wie zum Beispiel Sarah Palin als sogenannte Kommentatoren für Fox News. Der Schwanz wedelt hier offenbar mit dem Hund."

"Das Propagandaministerium hat die Kontrolle über das Politbüro übernommen" bemerkt bissig der New York- Times-Kommentator und Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman. Wegen seines enormen Erfolgs unter Zuschauern und Anzeigenkunden bestimmt der Murdoch-Sender als sogenannter "böser Bube' immer stärker die Spielregeln in Amerikas Mediengeschäft. Statt seriös recherchierter Information ist süffig präsentierte Provokation gefragt . Selbst ein liberaler Sender wie MSNBC klingt

Jeden Abend, wenn er ab 18.00 Uhr auf Sendung sei, werde er Amerikas rechte Bastarde bekämpfen, schreit MSNBC-Moderator Ed Scholz seine Kampfansage ins Mikrophon.

Der MSNBC-Moderator tut alles, um der politischen Gegenseite im Stil zum Verwechseln ähnlich zu werden. Nur Erregung verkauft sich gut. Und für verbale Ent-gleisungen kann man sich zur Not immer noch entschuldigen.

"Sorry für die Bastard-Beschimpfung",

sagt MSNBC -Moderator Schulz achselzuckend. Offenbar habe er zu viel amerikanisches Fernsehen konsumiert.

Ein Sender wie Ted Turners CNN,der um Seriösität bemüht ist, bekommt das Spektakel-Syndrom deutlich zu spüren: Reichweiten und Quoten sinken seit Jahren. Und einstige Starreporter wie Christiane Amanpour verliessen das ständig unattraktivere CNN-Nachrichtenschiff. Dabei hat der Sender ein weltweites Korrespondentennetz und eine technische Infrastruktur, um die ihn alle anderen

US-News-Networks beneiden. Doch CNN International ist nicht in das amerikanische Kabelnetz eingespeist. Und die CNN- US-Version ist provinziell und besteht vor allem aus Werbeeinblendungen.

"Ich war Korrespondent bei CNN, als sie sich im ersten Golf-Krieg einen Namen machten",

sagt Mark Feldstein, der es mittlerweile vorzieht, an der George Washington Universität Journalismus zu unterrichten.

Er habe CNN verlassen, weil er Berichte mit Substanz entweder überhaupt nicht oder nur mit größten Schwierigkeiten unterbekommen habe. Zum Beispiel über UN-Blauhelm-Soldaten, die in Krisenregionen wehrlose Zivilisten folterten statt sie zu schützen. Auch kritische Berichte über die Praktiken von US-Konzernen im Ausland seien unerwünscht gewesen.

Mark Feldstein: "Du verärgerst unsere Anzeigenkunden, bekam ich zu hören. Und: Wir riskieren durch deine Berichte teure Gerichtsverfahren."
Ob CNN, ABC oder CBS: Amerikas einst renommierte Fernsehsender befinden sich im Polarisierungs- und Trivialisierungssog - oder landen im Quotenabseits. Solide recherchierte Nachrichten gelten als unsexy und als Ladenhüter: So entließ CBS fast die komplette Kernbelegschaft seiner Nachrichtenredaktion, während der CBS-Boss gleichzeitig sein Jahresgehalt auf 43 Millionen Dollar verdoppelte. Ein kritisches Korrektiv dieser Entwicklung durch fundiert recherchierende Online-, Radio-und Print- Medien gibt es kaum. Die Finanzkrise auf dem Medienmarkt verschärft den Trend, kostspielige Recherchen und die Berichterstattung über internationale Entwicklungen als überflüssigen Luxus zu betrachten. Die meisten amerikanischen Tageszeitungen unterhalten selbst in der US-Hauptstadt kein Korrespondentenbüro mehr - geschweige denn in Übersee. Medienforscher Sterling von der George Washington University ist entsetzt:
"Ob Los Angeles Times, Boston Globe, San Francisco Chronicle oder Detroit Free Press - alle renommierten Regionalzeitungen der USA habe ihre Auslandsbüros geschlossen. Noch nie in den Zeiten der Globalisierung war die Presse der Weltmacht Amerika so provinziell!"

Einen Präsidenten durch monatelange Recherche des systematischen Betrugs zu überführen wie zu Zeiten von Watergate und Richard Nixon, das sei im Amerika der konservativen Medienrevolution und -konzentration mittlerweile fast undenkbar, sagt Medienforscher Mark Feldstein.

Nach intensiver Korrespondentenerfahrung bei Amerikas sogenannten Informationssendern CNN, ABC und NBC zieht Feldstein eine ernüchternde Bilanz.

"Amerikas Medien kennen nur noch Profit- und kaum noch Erkenntnisinteressen. Das Berichterstatterniveau sinkt ständig. Parteipolitische und Ideologische Propaganda, Sex- und Sensationsberichterstattung dominieren den sogenannten Nachrichtenmarkt. Der sogenannten vierten Macht im Staat geht es nur noch ums Geld."

Dem amerikanischen Volk bleiben Zeitungen, Radio - und Fernsehsender, welche die beiden wichtigsten journalistischen Prinzipien verraten: das Wahrhaftige und das Wesentliche.
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