"Den Oppositionellen geht es primär um einen Machtwechsel"

Holger Albrecht im Gespräch mit Marietta Schwarz · 31.01.2011
Der in Kairo lebende und lehrende Politikwissenschaftler Holger Albrecht sieht die Protestbewegung in Ägypten allein durch die Rücktrittsforderung an Präsident Hosni Mubarak geeint. Dass sich aus der Protestbewegung eine Partei entwickle, könne er sich nicht vorstellen.
Marietta Schwarz: In Ägypten hat sich die Lage nach tagelangen Massendemonstrationen am Wochenende zunächst etwas beruhigt, das Militär lenkt die Geschicke auf den Straßen, Präsident Mubarak hat einen Vize- und einen Ministerpräsidenten ernannt, Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei hat sich im Hausarrest widersetzt und schloss sich den Demonstranten an. Und US-Präsident Obama erneuerte seine vage Forderung nach einer friedlichen Lösung. Was aber treibt die Oppositionsbewegung in Ägypten genau an? Darüber sprach ich vor der Sendung mit dem Politikwissenschaftler Holger Albrecht von der American University in Cairo und fragte ihn zunächst, ob er sich denn sicherer fühle in Kairo als noch vor ein paar Tagen?

Holger Albrecht: Ich persönlich fühle mich relativ sicher. Das hat aber auch damit zu tun, dass ich in einem relativ sicheren Stadtteil lebe, wo ... sicherlich etwas unsicher als vor ein paar Tagen noch, aber insgesamt ist die Lage relativ ruhig hier.

Schwarz: Herr Albrecht, wir haben in den letzten Tagen viel von den Demonstranten gesprochen, junge Leute, die sich über soziale Netzwerke im Internet organisieren. Aber wer geht denn da wirklich auf die Straße, sind es nur die Jungen?

Albrecht: Das sind nicht nur die Jungen. Das Ganze hat angefangen mit eben einer relativ kleinen Bewegung, bestehend aus einer relativ homogenen Gruppe von jüngeren Leuten zwischen 20 und 30 Jahren, die aus den gebildeten oberen Mittelschichten kommen und die hier in den Städten, auch vor allem in Kairo und Alexandria zu Hause sind, die über die vergangenen Wochen, Monate und auch Jahre immer wieder Proteste organisiert haben. Und das hat sich jetzt, in den vergangenen Tagen hat das eine ganz neue Dynamik erfahren dadurch, dass sich Leute aus ganz anderen Schichten auch angeschlossen haben. Im Moment haben wir eine Protestbewegung, die sehr, sehr heterogen ist, und das hat eben eine ganz neue Dynamik erfahren.

Schwarz: Könnte sich denn aus dieser heterogenen Bewegung, wie Sie es nennen, auch eine politische Organisationsform, also eine Partei zum Beispiel entwickeln, sehen Sie da eine Chance?

Albrecht: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich aus dieser Protestbewegung eine einzelne Partei entwickelt, eben weil die Bewegung sehr, sehr heterogen ist, sozial heterogen. Ich könnte mir vorstellen, dass in den kommenden sich eine gewisse Struktur aus einem Sprecher und anderen Leuten herauskristallisiert, die eben für die Protestanten auf der Straße sprechen. Aber wir haben es hier mit einer reinen Protestbewegung zu tun, die im Moment noch ein einziges Ziel eint, nämlich der Rücktritt des Präsidenten Husni Mubarak, und der es natürlich in einer substanzielleren politischen Programmatik mangelt. Also wenn es darum geht, Vorstellungen zu entwerfen für ein neues politisches System oder Programme im sozialen, ökonomischen, politischen Bereich auch, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass aus dieser Protestbewegung eine einzige Partei hervorgehen wird.

Schwarz: Ein Name ist in dem Zusammenhang in den letzten Tagen öfter gefallen, nämlich der des Friedensnobelpreisträgers ElBaradei. Der würde ja zur Verfügung stehen als möglicher Nachfolger Mubaraks. Aber wofür steht der eigentlich?

Albrecht: Wofür er programmatisch steht, das ist sicherlich unklar. Er repräsentiert in seiner Person die Forderung, die diese Protestanten haben, die Minimalforderung oder die Forderung, die alle diese Leute eint, nämlich den Rücktritt des Präsidenten Husni Mubarak. Aber für was er politisch steht, ist nach wie vor unklar, und ich könnte mir eben vorstellen, dass er als Sprecher jetzt auch auftritt und akzeptiert wird von dieser Protestbewegung so wie sie jetzt ist, also so quasi eine Protestbewegung, versucht dann im Rahmen von einem politischen System zu kanalisieren und Gruppen, Parteien auszubilden, ist er sicherlich nicht derjenige, der all diese Leute repräsentieren kann.

Schwarz: Die größte Oppositionskraft ist ja die islamistische Muslimbruderschaft. Wie stark ist deren Rückhalt eigentlich in der Bevölkerung?

Albrecht: Deren Rückhalt ist sehr stark. Wir schätzen, dass etwa 25 bis 30 Prozent in Ägypten die Muslimbrüder unterstützen, und sie ist sicherlich die einzige politische Organisation in Ägypten, die über die entsprechenden Organisationspotenziale verfügt, um eine größere Anzahl von Leuten in einem politischen System vertreten zu können.

Schwarz: Herr Albrecht, der Fokus liegt ja momentan auf dem Militär, das sich auch auf die Seite der Protestler schlagen könnte. Halten Sie das für wahrscheinlich?

Albrecht: Das halte ich für unwahrscheinlich, im Moment gibt es dafür keine Anzeichen. Im Gegenteil, die Tatsache, dass das Militär noch eine sehr geringe Präsenz auch gerade in der Hauptstadt hat, sie haben letztendlich hier noch nicht die Kontrolle übernommen über weite Teile der Stadt, sondern nur strategische Punkte besetzt. Das ist für mich ein Anzeichen dafür, dass das Militär sich noch im Hintergrund hält, sich noch berät, auch eventuell verschiedene Arrangements durchspielt mit der politischen Führung, und im Moment auch noch bereit ist sagen wir mal die politische Führung des Landes mitzutragen.

Schwarz: Die westlichen Regierungen halten sich ja mit Kritik am ägyptischen Präsidenten derzeit noch zurück, fordern lediglich Reformen ein. Geht es den Oppositionellen denn in dieser Situation mehr um Reformen oder eigentlich nur um einen Machtwechsel?

Albrecht: Den Oppositionellen geht es primär um einen Machtwechsel, in zweiter Linie geht es ihnen natürlich auch um Reformen, um Regimewandel, wie er immer wieder gefordert wird jetzt auch auf der Straße. Aber wie das aussehen könnte außer einer doch zum Teil sehr vagen Vorstellung von Demokratie, ich glaube, darüber haben sich viele Leute auch noch keine Gedanken gemacht.

Schwarz: Trotzdem würden die ja gerne mehr Kritik vom Ausland, von einem Barack Obama zum Beispiel hören. Was könnte denn ein amerikanischer Präsident ausrichten in diesem Konflikt?

Albrecht: Sie wünschen sich natürlich eine größere Unterstützung aus dem Ausland, aber mein Eindruck von den Demonstranten hier ist, dass sie eine so große Dynamik entwickelt haben, dass sie im Moment denken, dass sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Es ist eine Bewegung, die auch sehr nationale Töne in sich birgt, es ist eine Bewegung, die Ägypten durch Ägypter verändern möchte. Ich glaube, dass der Blick ins Ausland im Moment für die Leute, die auf der Straße sind, nicht sehr relevant ist.

Schwarz: Der Politikwissenschaftler Holger Albrecht aus Kairo war das, vielen Dank, Herr Albrecht!

Albrecht: Bitte schön. Alles Gute nach Deutschland!
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