"Den gerechten Lohn wird man nicht genau festlegen können"

Ralf Brauksiepe im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 21.03.2012
Die Debatte um Millionengehälter sei unter Gerechtigkeitsaspekten verständlich, sagt Ralf Brauksiepe, Staatssekretär im Arbeitsministerium. Die Verdoppelung der Managergehälter seit 2003 sei nicht nachvollziehbar, doch der Staat solle sich nicht mit Vorschriften "verheben".
Jan-Christoph Kitzler: Können Sie das Bild noch hören? Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, das ist inzwischen zum Handbuchwissen geworden, und so richtig hinterfragt wird das deshalb auch nicht mehr so oft. Dabei beschreibt dieses Bild von der Schere die Wahrheit, einen klaren Trend. Immer mehr Menschen in Deutschland können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, und wenn man das gegenüberstellt mit den Zahlen, die in diesen Tagen über den Verdienst von Spitzenmanagern veröffentlicht wurden, dann regt sich bei vielen Menschen Wut. Das spürt man gerade auch bei den Warnstreiks von ver.di, die mehr Lohn für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst fordern.

Das ist neue Nahrung für die Debatte um gerechte Löhne, und darüber spreche ich jetzt mit Ralf Brauksiepe von der CDU. Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales in Berlin. Schönen guten Morgen!

Ralf Brauksiepe: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Herr Brauksiepe, was ist denn für Sie ein gerechter Lohn?

Brauksiepe: Den gerechten Lohn wird man nicht der Höhe nach genau festlegen können, das ist natürlich auch eine Frage, die von der Qualifikation unter anderem des Arbeitenden abhängt. Aber wichtig für einen gerechten Lohn ist nach meinem Verständnis, dass er in fairer Weise zustande kommt. Das heißt, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften ihn auf Augenhöhe aushandeln. Dieses Verfahren hat viel mit der Frage der Gerechtigkeit zu tun.

Kitzler: Ein gerechter Lohn, der definiert sich natürlich ja auch in der Abgrenzung zu dem, was andere so verdienen. Wie wirkt das denn auf Sie, wenn jetzt Managergehälter veröffentlicht werden – der VW-Chef bekommt über 17 Millionen im Jahr, der BMW-Chef über sechs Millionen, der Daimler-Chef liegt in der Mitte mit fast neun Millionen. Ist das denn fair, wenn ein Konzernchef 300 oder 400 mal so viel verdient wie ein Facharbeiter?

Brauksiepe: Es ist für mich unter Gerechtigkeitsaspekten nicht nachvollziehbar, dass sich die Managergehälter seit 2003 in etwa verdoppelt haben und die Arbeitnehmereinkünfte nur um rund 18 Prozent gestiegen sind, wie das in diesen Tagen zu lesen war. Wenn da die Menschen fragen, womit das zu rechtfertigen ist, dann kann ich diese Fragen gut nachvollziehen.

Kitzler: Würden Sie denn Horst Köhler zustimmen? Der hat 2007 schon gesagt, dass die wachsende Kluft zu den Topmanagern den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet.

Brauksiepe: Ich finde jedenfalls, dass man darüber reden muss und dass man die Entwicklung im Auge haben muss. Es ist ja nicht so, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland zugenommen hätte in den letzten Jahren. Er hat vor allem zugenommen im Zeitraum zwischen 1998 und 2003 von rund 15 auf rund 20 Prozent, der lief seitdem relativ konstant bei rund 21 Prozent. Der ist seit 2007 praktisch konstant. Aber in der Tat müssen wir auch drauf achten, dass Ausreißer nach außen unterbunden werden. Das ist auch etwas, worauf wir uns politisch konzentrieren, und natürlich kann ich verstehen, dass dieses Auseinanderdriften, insbesondere auch nach ganz oben, etwas ist, was die Menschen unter Gerechtigkeitsaspekten hinterfragen.

Kitzler: Bleiben wir doch mal kurz bei den Ausreißern nach ganz oben, von denen Sie sprechen. Appelle helfen ja offenbar nicht weiter, um das einzudämmen. Es wird immer appelliert an die Verantwortung der Unternehmen, da irgendwie diese Grenzen einzuführen – das hilft offenbar nicht. Muss man das verordnen?

Brauksiepe: Wir haben in der Krise ja entsprechende Maßnahmen ergriffen, als es um Unternehmen ging, die staatliche Hilfe brauchten, ansonsten bin ich davon überzeugt, dass der Staat sich verheben würde, wenn er hier durch Vorschriften zu stark einschreiten würde an dieser Stelle. Ich glaube in der Tat, dass man von Menschen, die eine hohe Verantwortung für ihr Unternehmen, für ihre Beschäftigten tragen, auch mit Recht eine entsprechende gesellschaftliche Verantwortung erwarten kann und muss.

Kitzler: Jetzt sollten wir doch noch über die Menschen sprechen, die oft nicht mal von der Gewerkschaft vertreten sind, die sehr wenig verdienen. Sie haben gesagt, in den letzten Jahren sei der Niedriglohnsektor nicht gewachsen, aber vor kurzem gab es Meldungen, dass acht Millionen Menschen in Deutschland, also ein Viertel aller Beschäftigten, in diesem Niedriglohnsektor arbeitet, weniger bekommt als 9,15 Euro, oft sogar ein gutes Stück weniger. Das ist gut für die Arbeitsmarktstatistik, aber diese Menschen können von ihrer Arbeit oft nicht leben. Was muss sich da ändern?

Brauksiepe: Also zunächst mal ist in der Statistik jetzt insofern eine Veränderung vorgenommen worden, als auch Schüler, Studenten und Rentner hinzugerechnet worden sind, das gibt schon ein anderes Bild. In der Realität hat sich, wie ich deutlich gemacht habe, seit 2007 da wenig geändert. 9,15 Euro, was bei uns die Niedriglohnschwelle ist, ist ja nebenbei auch ein Wert, der deutlich unter einschlägigen Mindestlohnforderungen von Gewerkschaften liegt. Von daher ist Niedriglohn in Deutschland auch etwas anderes als Niedriglohn woanders von der Statistik her. Niedriglohn ist nicht automatisch mit Armutslohn gleichzusetzen.

Wir haben, wenn man den Zeitraum seit 1995 betrachtet, rund 2,8 Millionen Menschen mehr in Beschäftigung, davon rund 1,8 Millionen im Niedriglohnbereich, das ist wahr, aber es gibt eben auch Studien, die besagen, dass knapp die Hälfte der Geringverdiener eines Jahres im Folgejahr nicht mehr im Niedriglohnsektor tätig sind. Das heißt, wir haben ja immer nur einen bestimmten Zeitpunkt oder einen kurzen Zeitraum, den wir betrachten, und die Entwicklung zeigt, es sind mehr Menschen auch mit geringer Qualifikation in Beschäftigung gekommen in den vergangenen Jahren, und es zeigt eben auch die Entwicklung, dass Aufstieg möglich ist, dass Mobilität auch auf dem Arbeitsmarkt möglich ist.

Das heißt, die Niedriglohnbeschäftigten von heute sind nicht die von vor fünf Jahren. Aber ich betone noch mal, es geht darum, dass man eben auch Ausreißer nach außen unterbindet und dass man in der Tat sich mit der Situation auseinandersetzt, dass wir heute eine deutlich geringere Tarifbindung haben, als das früher der Fall war. Wenn Sie über die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst sprechen, muss man eben sehen, wir haben heute noch rund 60 Prozent der Menschen, die überhaupt tarifgebunden sind, das heißt, die auch von entsprechenden Tarifverhandlungen erfasst werden, der Anteil sinkt.

Kitzler: Wie lange wird es eigentlich noch dauern, bis sich Ihre Partei, die CDU, für einen flächendeckenden Mindestlohn erwärmen kann, der nicht nur sozusagen von den Tarifparteien ausgehandelt wird und dem Goodwill derer, die da zusammensitzen, überlassen ist – wobei viele ja auch noch gar nicht von denen vertreten werden –, sondern der von oben verordnet wird?

Brauksiepe: Ich bin ganz sicher, dass Christdemokraten und Christlichsoziale immer der Tarifautonomie den Vorrang geben werden und das mit Recht. Aber ich denke, Sie wissen, dass wir auf unserem letzten CDU-Bundesparteitag beschlossen haben, dass wir eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze wollen. Die Bundesarbeitsministerin ist derzeit gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag damit beschäftigt, eine entsprechende Konkretisierung dieses Parteitagsbeschlusses auszuarbeiten, und diese Gespräche laufen, und wir haben die Absicht, wenn wir sie abgeschlossen haben, dann auch mit unserem Koalitionspartner darüber zu reden.

Kitzler: Ralf Brauksiepe von der CDU, er ist parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag!

Brauksiepe: Ihnen auch, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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