Den Blick schweifen lassen

Von Simone Schlosser · 15.09.2010
"Anders anziehen" heißt das Internet Blog, mit dem die Künstlerin Smilla Dankert in diesem Jahr für den Grimme Online Award nominiert war. Für ihr Online-Tagebuch fotografiert die Kölnerin Menschen, denen sie auf der Straße zufällig begegnet.
"Mich interessiert immer eher das Eigene, Kuriose vielleicht, oder Spezielle am Menschen. Und vor allem eben auch Menschen jeden Alters, jeder Herkunft und jeder Nationalität. Es ist im Gegenteil eher so, dass mich das oft nicht reizt. Weil mir das zu oberflächlich ist. Also wenn ich hinter dieser sehr modernen Oberfläche nicht etwas sehe, wo ich denke: ‚Ah, das interessiert mich jetzt darüber hinaus, wie der aussieht’, dann spreche ich die Leute nicht an."

Sich selber würde Smilla Dankert auf der Straße vermutlich nicht ansprechen. Die hochgewachsene, schlanke Frau mit den langen, rotblonden Haaren fällt nicht gerne auf. An ihrer Kleidung ist ihr nur eines wichtig: Bequem muss sie sein. Anders ihr Blog. Darin versammelt die Fotografin eine bunte Mischung der Menschen in Köln. Ältere Pärchen auf dem Weg zum Einkaufen. Junge Väter mit Kinderwagen. Langzeitstudenten. Kioskbesitzer. Paradiesvögel. Neben ihrem individuellen Kleidungsstil haben sie eins gemeinsam: das authentische Auftreten.

"Das ist immer so ein Kriterium, dass ich so eine Deckungsgleichheit brauche. Das ich nicht das Gefühl habe, da ist jemand verkleidet. Oder aber, er ist so verkleidet, dass ich dann auch wieder interessiert bin und denke, der ist nicht fremdgesteuert, sondern der ist schon mit einem gewissen Bewusstsein unterwegs, und es gibt sicherlich eine interessante Erklärung, warum der jetzt so verkleidet ist."

Die meisten Menschen reagieren erstaunt, wenn Smilla Dankert sie mit ihrer Kamera anspricht. Wenn sie jemand interessiert, dann nimmt sie sich Zeit. Redet. Hört zu.

"Prinzipiell ist es so, dass die meisten Themen in mir etwas bewirken, so dass ich plötzlich Zugang oder Interesse an einem Thema bekomme, was ich jetzt vorher auch nicht so hatte. Es kommt auch vor, dass Begegnungen irgendwie leer bleiben, dass nichts passiert, wo man so andocken kann. Aber es gibt auch besondere Begegnungen, im Sinne von, dass die Geschichte die mir erzählt wird, oder der Mensch den ich erlebe in dieser Begegnung, mich wirklich nachhaltig beeindrucken. Und/oder berühren."

Die Eindrücke dieser häufig sehr persönlichen Begegnungen fasst Smilla Dankert in kleinen Texten zusammen, die sie mit den Fotos in ihrem Blog veröffentlicht. Wie in einem Tagebuch greift die Wahl-Kölnerin Themen auf. Setzt sich damit auseinander. Teilt ihre Gedanken mit ihren Lesern und Leserinnen. Das Blog ist ihr Blick auf die Welt:

"Für mich ist es ganz interessant, anzuregen, den Blick mal ein bisschen schweifen zu lassen in die Welt und die eigene Perspektive zu verlassen. Und zu sagen, aha, ich gehe nicht jetzt von mir aus, wie ich bin und was ich richtig finde, und wie mein Leben ist, sondern ich gucke mal, wie die anderen sind und öffne mich dafür."

Die Idee für das Blog hatte Smilla Dankert schon vor einigen Jahren. Erst im letzten Sommer hat sie die Zeit gefunden, ihre Idee zu verwirklichen. Anfangs lief sie mit einer kleinen Digitalkamera durch Köln, die Stadt, in der die gelernte Schneiderin seit fast zwanzig Jahren lebt. Mittlerweile besitzt sie eine richtige Spiegelreflexkamera. Fotografieren hat sie sich selber beigebracht. Genauso wie den Umgang mit dem Internet:

""Da bin ich selber ganz erstaunt über mich, weil ich wirklich gedacht hätte, das lerne ich nie. Und das stimmt aber nicht. Also das, was ich wirklich brauche, das will ich ja auch können, und das kann ich dann auch."

Die 43-Jährige hat sich vieles in ihrem Leben selber beigebracht. Mit sechzehn ist Smilla Dankert von Zuhause weg gegangen. Hat eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht. Arbeitet seitdem als Kostümbildnerin beim Film. Nach fast 20 Jahren hatte sie das Bedürfnis nach einem Wechsel. Den hat sie in dem Blog gefunden.

"Ich nehme mir die Freiheit zu tun, was ich für richtig halte. Das kann sich ändern. Derzeit ist es mir einfach wichtig, die Projekte, die ich inhaltlich gut finde, umzusetzen."

Smilla Dankert schätzt die anonyme Form des Internets. Das gibt ihr die Freiheit, sich auszudrücken, wie sie sagt. Seit einiger Zeit hat das öffentliche Interesse an ihrem Blog zugenommen. Im Sommer war die Künstlerin damit für den Grimme Online Award nominiert. Die Aufmerksamkeit, die ihrer Arbeit zuteil wird, freut sie.

Eine Frage, die Smilla Dankert jedem ihrer Modelle stellt, ist, worum es im Leben geht. Ihr selber fällt es schwer, eine Antwort darauf zu finden.

"Für mich ist besonders wichtig, dass ich mit mir selbst im Reinen bin und das Gefühl hab, irgendwie so keine Schuld auf mich zu laden durch mein Tun. Und auch eine gewisse Demut dem Leben gegenüber ist mir wichtig. Auch anderen Menschen. Das ist glaube ich so eine Grundhaltung, die ich habe. Und dann ist mir privates Glück sehr wichtig. Also ein privates Umfeld, wo ich das Gefühl habe, das ist schön und wertvoll und reich."

Smilla Dankert ist zurückhaltend im Umgang mit der Öffentlichkeit, über Privates möchte sie nicht sprechen. Trotzdem hat man nach der Begegnung mit ihr das Gefühl, dass sie ihr privates Glück gefunden hat.

Der Blog von Smilla Dankert: anders-anziehen.blogspot.com
Mehr zum Thema