Demokratie von Geige bis Horn

Von Dietmar Polaczek · 28.03.2007
Vor 165 Jahren wurden die Wiener Philharmoniker gegründet. Ihre demokratische Verfassung entstand gegen den Geist der Zeit im Vormärz. Das Wiener Modell der Autonomie der Musiker wurde in der Folge bis in das 20. Jahrhundert mit verschiedenen Varianten imitiert.
"Trin tin tin! Hört! Hört! Es ist die Zeit da, dass die Musiker nicht mehr blos schlafen, oder im Bett geigen wollen! [...] Kreuzdonnerwetter - Schwerenoth! Aufgewacht! [...] Also das sämmtliche Orchester-Personal des k.k. Hof-Operntheaters nächst dem Kärnthnerthor, seinen braven Director Georg Hellmesberger an der Spitze hat sich vereinigt, um unter Kapellmeister Nicolai's Direction ein Concert zu geben, das in den Annalen der Wiener Concerte seines Gleichen sucht."

Auf einem vergilbten Blatt hat sich dieser Aufruf von Otto Nicolai erhalten, die eigentliche Gründungsurkunde der Wiener Philharmoniker. Das erste demokratisch verfasste philharmonische Orchester wurde in einem Konzert am 28. März 1842 geboren, mit Werken von Mozart, Beethoven und Cherubini.

Der Schöpfer des bekanntesten Klangkörpers der Welt war kein Wiener. Der Komponist und Dirigent Otto Nicolai, noch heute vor allem bekannt durch seine Oper "Die lustigen Weiber von Windsor", wurde 1810 in Königsberg geboren, kam also aus Ostpreußen. In einer Zeit, als Orchesterkonzerte überwiegend von Liebhabern bestritten wurden, bemühte er sich in revolutionärer Weise um bis dahin ungehörte Wiedergabequalität und Werktreue. Revolutionär war auch die autonome Organisationsstruktur des Orchesters, noch vor der Revolution von 1848: Nur die Musiker des Hofopern-, später Staatsopernorchesters, können Mitglieder des Vereins "Wiener Philharmoniker" werden, der künstlerisch und finanziell eigenverantwortlich ist, seine Entscheidungen demokratisch trifft, einen gewählten Ausschuss mit der Selbstverwaltung betraut und seinen Vorstand, wie der Vereinspräsident bei den Philharmonikern heißt, selber bestimmt. Einen ständigen Chefdirigenten hatte das Orchester nur am Anfang in Otto Nicolai, dessen Unbedingtheit aber schließlich 1847 zum Zerwürfnis führte.

In wechselvoller Geschichte fand das Unternehmen zu seiner heutigen künstlerisch und organisatorisch stabilen Struktur. Ein Archiv wurde geschaffen, ein Notenarchiv, ein Pensionsfonds für die Musiker, die noch heute als nicht subventionierte selbstständige Unternehmer auftreten. 1860 wurden vom Dirigenten Carl Eckert die Abonnementkonzerte ins Leben gerufen, 1941 von Clemens Krauss die seither traditionellen Neujahrskonzerte mit Werken von Johann Strauß.

Bis 1933 gab es für jede Saison Abonnementdirigenten, unter denen sich die berühmtesten ihrer Zeit finden: Hans Richter von 1875 bis 1898, Gustav Mahler von 1898 bis1901, in der Folge Felix Weingartner, Wilhelm Furtwängler und Clemens Krauss. Dann gab es nur noch Gastdirigenten, die sich das Orchester für jedes Konzert selber wählt, unter ihnen Herbert von Karajan, Karl Böhm, Leonard Bernstein, Carlos Kleiber, Claudio Abbado.

Nach der Annexion Österreichs durch Hitler wären die Philharmoniker 1938 beinahe aufgelöst worden. Furtwängler hat sich für ihr Weiterbestehen eingesetzt, sie bekamen einen privilegierten Status im Reich wie die Berliner Kollegen - und überlebten. Der heutige Vorstand Clemens Hellsberg nannte die Philharmoniker in seiner Monographie "Demokratie der Könige". Die Demokratie war unter den Nationalsozialisten unzeitgemäß, die Könige sind es heute. In einer Welt der Massenkultur, wo Orchester nur noch in Nischen überleben, haben die Unzeitgemäßen ungebrochenen, ja wachsenden Erfolg. Die Abonnementkonzerte mussten um einen Zyklus vermehrt werden, und das alljährliche Konzert im Schlosspark Schönbrunn zieht, wie ein Popkonzert, fast hunderttausend Zuhörer an.