Demokratie ohne Frauen

Von Annette Wilmes · 01.02.2009
In der Schweiz, der selbsternannten "Wiege der Demokratie", dürfen Frauen erst seit 1971 aktiv und passiv an Wahlen teilnehmen. Ihr Kampf um das Wahlrecht dauerte viele Jahrzehnte mit vielen Rückschlägen. Eine wichtige Station war die erste Volksabstimmung über das Frauenwahl und stimmrecht, die vor genau 50 Jahren durchgeführt wurde - und scheiterte.
Eigentlich war die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz bereits beschlossene Sache. Denn beide Kammern des eidgenössischen Parlaments hatten 1958 eine entsprechende Vorlage mit überwältigender Mehrheit gutgeheißen.

Dennoch wurde das Frauenwahlrecht bei der Volksabstimmung am 1. Februar 1959 abgelehnt. Und niemand wunderte sich darüber. Denn vor allem in den Landkantonen hatten die Gegner eine starke Mehrheit.

"Die Gründe gegen das Frauenstimmrecht in der Schweiz."

So überschrieb die Neue Zürcher Zeitung am 21. Januar 1959 einen großen Artikel.

"Die Ansicht, dass die Frau dem Manne nacheifern und es ihm gleichtun müsse, darf heute als überholt gelten. Die Frau soll sich vielmehr ihrer Eigenart, ihrer besonderen Würde und ihrer darin begründeten Überlegenheit bewusst werden und in der Weise wirken, wie es ihrem Wesen am besten entspricht."

"Die Frau gehört ins Haus", so die verbreitete Auffassung damals, "sie versteht nichts von der Politik, die Politik würde die Frauen nur vermännlichen." Nur in den französischsprachigen Kantonen Genf, Waadt und Neuenburg gab es Mehrheiten für das Frauenwahlrecht. Aber in den konservativen deutschsprachigen Kantonen blieb der Widerstand stark. Aus einer Umfrage in Basel 1965:

Frau: "Wenn eine Frau politisch geschult ist, warum soll sie dann nicht mitstimmen? Aber ich denke, so eine Arbeiterfrau oder eine Frau, wo noch die Haushaltung macht, ist in der Politik nicht durch."

Mann: "In der Schweiz stimmen wir über Sachgebiete, über finanzielle Fragen, über Währungsfragen ab. Und das liegt natürlich dem Mann naturgemäß näher."

Ganz allmählich wurde die Bewegung für das Frauenstimmrecht stärker. Die Studentenunruhen und die Protestbewegung der 60er-Jahre erreichten auch die Schweiz.

"Schrille Töne vor dem Bundeshaus. Schweizerinnen aus allen Landesteilen forderten gleiches Recht und pfiffen all jene Männer aus, die noch immer gegen das Frauenstimmrecht sind."

Selbst wenn - wie hier - viele Frauen auf die Straße gingen und demonstrierten, blieben auch die Gegner des Frauenwahlrechts stark, selbst unter den Frauen.

"Wir sind der Ansicht, dass trotz des enormen von oben ausgeübten Meinungsdruckes, das Frauenstimmrecht kommt ja doch, dass in breiten Volkskreisen ein gesunder Widerstand gegen die Verpolitisierung der Frau besteht."

Nach jahrelangem Hin und Her führten mehrere parlamentarische Anläufe auf eidgenössischer Ebene letztlich zum Erfolg. Am 7. Februar 1971 stimmten 67,5 Prozent der Wähler für das Frauenwahlrecht. Die Schweiz erteilte somit als eines der letzten europäischen Länder den Frauen die Erlaubnis, über die politischen Belange mit abzustimmen. Danach kamen nur noch 1974 Portugal und 1984 Liechtenstein. Als erstes Land war Finnland schon 1906 vorgeprescht, in Deutschland konnten die ersten Frauen bereits 1919 wählen, die Italienerinnen und Griechinnen zogen nach dem Zweiten Weltkrieg nach.

Als das Wahlrecht in der Schweiz 1971 endlich auf Bundesebene eingeführt wurde, galt es noch lange nicht in allen Kantonen.

"Wer das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene einführen will, der erhebe seine Hand. ... Ihr habt der Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene zugestimmt."

Das war 1989 in Appenzell Außerrhoden. Und der Halbkanton Appenzell Innerrhoden verdankt sein Frauenwahlrecht der Initiative einer Einzelkämpferin, die das Bundesgericht in Lausanne anrief.

Bereits 1893 forderte der Schweizerische Arbeiterinnenverband das Frauenstimmrecht. Erst knapp 100 Jahre später war es in allen Kantonen eingeführt. Aber immer noch sind die Frauen den Männern nicht gleichgestellt. Zum Beispiel Familie und Beruf zu koordinieren, bleibt für Frauen ein kaum lösbares Problem. Hier sei die Schweiz im Vergleich mit der EU im Hintertreffen, stellte die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen fest. Auch eine Studie des Kinderhilfswerks Unicef sprach von "mangelhafter außerfamiliärer Kinderbetreuung".

Der Gleichberechtigungsartikel kam erst 1981 in die Schweizer Verfassung und bis 1985 galt das alte Eherecht. Bis dahin mussten die Frauen ihre Männer um Erlaubnis bitten, wenn sie einen Beruf ausüben wollten.