Demokratie der Gefühle

Mit Humor lässt sich Hass in Hoffnung wandeln

Denkmal für den Philosophen Baruch de Spinoza (1632 – 1677) in der Altstadt von Amsterdam
Denkmal für den Philosophen Baruch de Spinoza (1632 – 1677) in der Altstadt von Amsterdam © imago stock&people
Von Josef Früchtl · 20.03.2017
Was tun, wenn starke Gefühle die Politik beeinflussen? Auf jeden Fall nicht mit Hass auf Hass reagieren, sagt Josel Früchtl und verweist auf den Philosophen Spinoza. Ironie, Humor, Spott und Schlagfertigkeit seien sehr wirkungsvoll, um negative Gefühle zu verwandeln.
Im Zentrum von Amsterdam steht eine Skulptur des Philosophen Spinoza. Überlebensgroß, mit einem langen steifen Mantel und in Bronze stahlt sie etwas Würdevolles aus, aber auch etwas kindlich Freundliches. Den Mantel zieren nämlich Rosen und kleine Vögel, unter ihnen jene Papageienart, die seit geraumer Zeit, und nicht nur zur Freude der Einheimischen, in Amsterdam ansässig ist.
Diese fremde Vogelart steht symbolisch für die Immigranten, die sich über die Jahrhunderte hin hier niedergelassen haben. Spinozas jüdisch-portugiesische Familie war Anfang des 17. Jahrhunderts nach Amsterdam emigriert. In jener Zeit, dem sogenannten Goldenen Zeitalter, in dem die Kaufleute durch die Kolonien ihren Besitz mehren und sich von Rembrandt und Vermeer portraitieren lassen konnten, waren die Niederlande ein europäischer Hort der Toleranz und Religionsfreiheit. Und so wirkt es, als würde hier ein Heiliger Franziskus der Philosophie zu uns und den Vögeln sprechen: "Der Zweck des Staates ist Freiheit." So steht es in Stein gemeißelt auf dem Sockel der Statue.
Aber Freiheit ist ein großer und malträtierter Begriff. In den Niederlanden wird sie gegenwärtig nationalistisch vereinnahmt durch die stolz so genannte "Partei für die Freiheit" des Populisten Geert Wilders. Er hat sein Wahlziel, die größte Partei zu stellen und gar Ministerpräsident zu werden, weit verfehlt. Aber er hat unüberhörbar den Ton im Wahlkampf bestimmt. Wie alle Populisten setzt er seine "Bewegung" kurzerhand gleich mit dem "Volk", das umgeben ist von Feinden: dem "Establishment" der Politik, der "Lügenpresse", den Intellektuellen und vor allem dem Islam. Und Feinde muss man eigentlich vernichten, zumindest aber abwehren und des Landes verweisen.

Nicht Renigung, sondern Verwandlung von Gefühlen und Affekten

Diese Logik zeigt zweifellos die Züge einer verknoteten Psycho-Logik. Ihre treibende Kraft sind undurchdachte Emotionen wie neurotische Angst oder schleichendes Ressentiment. Und hier kann Spinoza noch einmal eingreifen. Er hat nämlich so nachdrücklich wie kaum ein anderer klassischer Philosoph die Frage gestellt: Was sollen die Bürgerinnen und Bürger einer Demokratie tun mit ihren unvermeidlichen Gefühlen? Wie kann man die doppelte Falle vermeiden, Gefühle in der politischen Auseinandersetzung entweder zu verdoppeln – auf Hass mit Hass zu reagieren – oder im rationalen Diskurs und in staatstragender Haltung auszutrocknen, wie das gegenwärtig Frau Merkel und Herr Juncker vormachen?
Auf diese Frage bietet Spinoza zwei Antworten. Demokratischer Politik ist zunächst am besten gedient nicht durch eine Reinigung von den Affekten und Gefühlen, sondern durch ihre Verwandlung. Wie das gelingen kann, deutet Spinoza nur an. Aber es ist aus heutiger Sicht deutlich, dass vor allem ästhetische und spielerische Mittel dafür bestens geeignet sind. Politisch erweisen sich speziell Ironie, Humor, Spott, Karikatur, Satire, verbale Schlagfertigkeit als wirkungsvoll. Sie sind ausgezeichnete Emotions-Transformatoren.
Gegen (zu viel) Gefühl hilft also nicht einfach Vernunft. Gegen ein Gefühl hilft nur ein verändertes Gefühl, eines, das das ursprüngliche Gefühl ernst und zugleich nicht ernst nimmt.
Gegen ein Gefühl – und das ist Spinozas zweite Antwort – hilft aber auch schlicht ein anderes Gefühl. Er veranschaulicht das an den beiden grundlegenden Gefühlen von Angst und Hoffnung. "Es gibt keine Hoffnung ohne Angst, aber auch keine Angst ohne Hoffnung", schreibt er in seinem Hauptwerk. Wer Angst davor hat, krank zu werden, hofft darauf, gesund zu bleiben. Politisch gewendet heißt das: Wenn eine Partei das Gefühl der Angst ausbeutet, sollte die andere auf das Gefühl der Hoffnung bauen.
Und so würde Spinoza den populismusgebeutelten Demokraten des 21. Jahrhunderts wohl zurufen: 'Bekämpft die Politik der Angst mit ihrem Gegenpol. Entwerft Perspektiven und erfindet Geschichten, die den Menschen Hoffnung geben!' Der nationalistisch-konservative Populismus ist um so erfolgreicher, je mehr die Gegenkräfte darin versagen, mit den fundamentalen Gefühlen richtig umzugehen.
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