Demokratie als Wiki

28.02.2012
Als die Piraten im Herbst 2011 das Berliner Abgeordnetenhaus enterten, war das nur ein erster Schritt, denn die Partei will mehr. Wätzold Plaum ist Piratenmitglied und bescheibt in seinem Buch die Vision einer neuen Form von Demokratie - auf der Basis digitaler Mitbestimmung.
Mit ihrem Berliner Wahlerfolg im vergangenen Jahr hatte die Piratenpartei zugleich kritische Fragen provoziert. Für welches Gesellschaftssystem stehen die Piraten eigentlich? Betrachten sie digitale Mitbestimmung als Ersatz für unsere repräsentative Demokratie? Welche sozialen Grundwerte verkörpert die Partei? Wätzold Plaum, Jahrgang 1975, promovierter Mathematiker, Philosoph und Pirat greift in seinem Buch genau diese spannenden Fragen auf. Bevor er jedoch seine Utopie einer "Wiki-Republik" entwirft, strapaziert er die Geduld des Lesers mit einer lehrmeisterlichen Zustandsbeschreibung der westlichen Welt.

Sein Ausgangsgedanke lautet: Wir stehen vor gesellschaftlichen Umwälzungen revolutionären Ausmaßes. Schuld am absehbaren Scheitern westlicher Demokratien sind aus seiner Sicht ein entfesselter Finanzkapitalismus, der Wirtschaftssysteme in den Bankrott treibt, und eine Volksparteien-Demokratie, die die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr abbilden kann. Diese These unterlegt er mit Ausführungen über die Geschichte von Revolutionen, die Entstehung von Überschuldungkrisen und mit Beispielen aus dem Alltag. Die altbekannten Sichtworte lauten Euro-Rettung, soziale Ungleichheit, Medienversagen, Politikmüdigkeit.

Unbestritten: Die Probleme sind da und müssen diskutiert werden. Nur leider kann Wätzold Plaum dem kaum Neues hinzufügen. Im Gegenteil: Manche Thesen formuliert er so pauschal, dass sie reinster Populismus sind. Etwa, dass unser Finanzsystem unausweichlich zusammenbrechen wird. Auch seine Kritik an den Medien, die mehr verschleierten als offen legen, fällt hinter jeden fundierten Diskurs zu diesem Thema zurück.

Spannend wird es dann aber doch noch, wenn Plaum seine Alternative zum kriselnden Kapitalismus beschreibt. Danach soll die parlamentarische Demokratie von einer "Wiki-Republik" abgelöst werden, in der mit Hilfe des Internets die Vorherrschaft von Kapital und Parteienklüngel aufgebrochen wird. Die Wiki-Software steht für Teilhabe, Transparenz und Gemeinwohl. Dieses Prinzip will er übertragen auf Politik, Wirtschaft und Medien. Wie die "Wiki-Republik" genau installiert werden kann, sei zwar rein spekulativ, muss Wätzold Plaum einräumen. Dafür präsentiert er aber einige Ideen, die neugierig machen. Um etwa Politik bürgernäher zu gestalten, plädiert er für eine Mischung aus direkter und parlamentarischer Demokratie. Oder dafür, themenspezifische Zusammenschlüsse anstelle von Parteien an der parlamentarischen Arbeit zu beteiligen.

Das klingt futuristisch, lädt jedoch dazu ein, diese Ideensammlung weiterzudenken und auszuprobieren. Ob das tatsächlich zur großen "Wiki-Revolution" führt, die Plaum eingangs selbst postuliert hat, scheint ihm am Ende allerdings zweitrangig zu sein. Neben seinem Bekenntnis zur Marktwirtschaft warnt er davor, unsere Rechtsordnung nicht von heute auf morgen auf den Kopf zu stellen: Dieses Spannungsfeld zwischen der Einsicht in Realpolitik und revolutionärem Anspruch kann Wätzold Plaum nicht auflösen.

Besprochen von Vera Linß

Wätzold Plaum: Die Wiki-Revolution. Absturz und Neustart der westlichen Demokratie
Rotbuch Verlag, Berlin 2012
288 Seiten, 14,95 Euro


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