Dem Thema nicht gewachsen

22.01.2009
Der Islam ist en vogue und wird heiß diskutiert, schreibt Nilüfer Göle. Da mochte die in der Türkei geborene und in Paris lehrende Soziologieprofessorin offenbar nicht zurückstehen. Ihr Debattenbeitrag heißt "Anverwandlungen" und gemeint ist damit die Annäherung des Islams an Europa. Die im Klappentext angekündigte Überlegung, ob "die Türkei ein Modell zur Überwindung des Konflikts" zwischen Islam und westlicher Welt sein könnte, ist nur in zwei von sieben Kapiteln Thema.
Göles Essay will mehr: zugleich die europäische und die muslimische Perspektive einnehmen, um in einer "interkulturellen Reflexion" sowohl "hinter den Spiegel des modernen Bewusstseins" zu blicken wie "hinter den Momentaufnahmen der Gegenwart die Absichten der Geschichte (zu) suchen". Das sind gewaltige Vorhaben - zumal für nur 100 Seiten nach Vorwort und Einführung.

Für Göle ist der Islam erst durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 und mit der türkischen EU-Bewerbung ein "Zeitgenosse der modernen Welt" geworden. Ihr Buch beginnt mit den Anschlägen in den USA und in der Türkei, um sich dann der Globalisierung zuzuwenden, der Laizität (der Trennung von Staat und Religion in Frankreich und der Türkei) der Frauenfrage und dem Islam in der Türkei.

Europa möge, fordert Göle, sich der Herausforderung des Islams öffnen und einen gemeinsamen "Raum" schaffen. Warum Europa? Göle beschreibt Europa als "Moderne" und den Islam als "Anachronismus". Hier wird in kräftigen Strichen Schwarzweiß gemalt, nur um das Bild gleich wieder in Frage zu stellen. Denn obwohl Moderne und Glauben für die Autorin schroffe Gegensätze zu sein scheinen, konstatiert sie eine islamische Modernisierung, ja Moderne:

"Die islamische Moderne kann nur weiblich sein."

Entscheidend sei die Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit, denn der Islam wolle ihre Unsichtbarkeit. Studierte Musliminnen, die mit Kopftuch in die Öffentlichkeit träten, repräsentieren für Göle daher ein Paradox: modern gebildet und anachronistisch gewandet. Worauf die nächste schwer nachvollziehbare Volte folgt, da man den Selbstrechtfertigungen der Kopftuchfrauen, so Göle ihren interkulturellen Vorsätzen zum Trotz, kein Gehör schenken müsse. Sie weiß ja schon: Die Frauen sind wie islamistische Terroristen von der "Moderne" beeinflusst und stehen traditionellen Glaubensvorstellungen fern.

Das gleiche gilt für die Türkei, die vom "feministischen" Kemalismus modernisiert wurde und auf dem Weg nach Westen sei. Doch statt jetzt gegenwärtige Entwicklungen im türkischen Islam darzustellen sowie Aussichten und Bedingungen seiner Vermittlerfunktion zu erörtern, fordert Nilüfer Göle, Europa solle die Türkei nicht zum Gegenüber stilisieren.

"Anverwandlungen" ist ein ausgesprochen verworrenes Buch und kommt beinahe ohne Argumente aus. Nilüfer Göle wiederholt stattdessen gebetsmühlenartig Appelle mit akademischen Begriffen wie "Öffentlichkeit", "Reinheit", oder "gesellschaftliches Imaginäres". "Anverwandlungen" ist ein Besinnungsaufsatz, der von Interkulturalität spricht und Europa mit kolonialer Ignoranz zur "Moderne", den Islam zum "Anachronismus" erklärt. Die Autorin ist der Komplexität ihres Themas an keiner Stelle gewachsen.

Rezensiert von Jörg Plath

Nilüfer Göle: Anverwandlungen. Der Islam in Europa zwischen Kopftuchverbot und Extremismus
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2008
160 Seiten. 10,90 Euro