Deichtorhallen in Hamburg

Wie sich Künstler an Picasso abarbeiten

Blick auf die Deichtorhallen in Hamburg
Blick auf die Deichtorhallen in Hamburg © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Anette Schneider · 30.03.2015
Hamburgs Deichtorhallen wurden 17 Monate lang für rund 16 Millionen Euro grundsaniert. Mit der Ausstellung "Picasso in der Kunst der Gegenwart" feiert das Haus seinen Neustart. Eine Ausstellung über Picasso - ohne Picasso.
Es war der Deichtorhallenleiter Zdenek Felix, der den neuen Ausstellungsort schnell weltweit bekannt machte: Zwischen 1991 bis 2003 präsentierte er große Einzel- und Gruppenausstellungen, zeigte Cindy Sherman, den jungen Andreas Gursky, Martin Kippenberger, Sebastiao Salgado und schuf so in Hamburg endlich einen international anerkannten Ort für Gegenwartskunst.
Was kaum jemand wusste: Die Bausubstanz der 100 Jahre alten Halle war schon damals marode. Doch da ihr Programm trotzdem wirkungsvoll nach außen strahlte, ignorierte die Stadt das Problem.
"Als ich hier nach Hamburg kam - erste Ausstellung 'Katharina Fritsch' -, wurde ich davon überrascht, dass es durch das Dach regnete. Und seitdem haben wir auch immer Ausstellungen mit Eimern am Boden gehabt", erinnert sich Dirk Luckow, Direktor der Deichtorhallen seit 2009. Inzwischen bröckelt nun auch die Fassade, die Wände hatten Risse, die Kellerräume waren feucht und ein Klimatisierungssystem für die Kunstwerke fehlte. Für eine Kunstinstitution waren das unzumutbare Verhältnisse. Doch noch immer saß die Stadt die Probleme aus. Bis 2012 Kultursenatorin Barbara Kesseler Finanzsenator Peter Tschentscher zu einer Ortsbegehung drängte.
"Und dann am nächsten Tag las ich in der Zeitung, wie Herr Tschentscher das ganze fand: nämlich erbärmlich. Und seitdem hat es einen ganz tollen Weg genommen: Es wurde nämlich beschlossen, dieses Haus für die Kunst zu retten."
Fassade, Fußboden, Dach und Deckenfenster - alles neu
In den letzten fast eineinhalb Jahren wurden die Fassaden denkmalschutzgerecht restauriert, Fußboden, Dach und Dachfenster erneuert. Vor allem aber erhielt das Haus modernste Licht- und Klimaanlagen. Damit ist es endlich auch technisch auf dem Stand eines internationalen Ausstellungshauses. Das zeigt jetzt auf gut 3000 Quadratmetern Künstler und Künstlerinnen, die sich zwischen den 1930er Jahren und heute mit Picasso beschäftigten.
"Dass, was man jetzt in der Ausstellung zu sehen bekommt, wäre gar nicht mehr hier präsentierbar gewesen. 'Lichtenstein' in einer Halle, wo es durchtropft? - Nein Danke!.Auch deswegen machen wir diese Ausstellung: Um so ein bisschen zu zeigen 'Wir haben jetzt ein Klima mit MOMAoma-Standard.'"
Durch hohe Trennwände grob thematisch gegliedert, sieht man zahlreiche Bilder, die mal mehr,'mal weniger an kubistische Porträts von Picasso erinnern. Was bei Zeitgenossen wie Paul Klee, der jungen Maria Lassnig oder Kirchner als Auseinandersetzung mit neuen künstlerischen Formen einleuchtet, wirkt bei jüngeren Arbeiten - etwa von A.R. Penck oder Mike Bidlo - schnell peinlich.
Etwas weiter beschäftigen sich Arbeiten mit dem politischen Picasso: Gleich mehrere Künstler greifen "Guernica" auf, entwickeln das berühmte Anti-Kriegsbild weiter, füllen es mit aktuellen Inhalten. Oder sie provozieren kritische Fragen. Robert Longo etwa schuf eine Kopie von Guernica, die er mehrfach mit senkrechten schwarzen Streifen übermalte.
"Und das hat auch etwas von einem Schatten, so als wenn er eine Distanz schaffen würden zu dem Inhalt dieses Bildes, dass ja auch von der Empörung spricht über die Welt. Und diese Empörung lässt die Welt heute gar nicht mehr an sich herankommen."
Besonderes Vergnügen bereiten die vielen Arbeiten, die über Picassos Selbstinszenierung und seinen Stargestus herziehen: Hanne Darboven etwa widmete dem großen Meister mit sarkastischer Geste eine Bronzebüste, die an die Büsten römischer Senatoren erinnert. Und Sean Landers verwandelt auf seinem acht Meter breiten Atelierbild Picassos kubistische Formen in massenkompatible Comicfiguren.
Eine Abrechnung mit Picasso
Dirk Luckow: "Also Picasso wird geliebt, er wird gehasst, er wird kopiert, er wird studiert. ... Und dieses ganze Spektrum, all die Stoffe und Themen werden ja aufgegriffen, und es ist eigentlich in jedem Werk eine gewisse Abrechnung mit Picasso enthalten."
Plötzlich steht man vor Picasso selbst: Vor einer großen Skulptur in gestreiftem T-Shirt, mit übergroßem, grinsendem Picasso-Kopf und theatralisch hochgerissenen Armen...
"Maurizio Cattelan war 1998 vom MOMA eingeladen, etwas zu machen, zu entwickeln. Und der dachte: 'Bah, das MOMA macht noch nicht wirklich gutes Marketing. Da kann man denen noch ein bisschen unter die Arme greifen.' Und er hat dann dieses Picasso-Kostüm mit diesem Picasso-Kopf herstellen lassen. Und mit dem ging dann ein Schauspieler vor dem MOMA hin und her, ließ Fotos machen mit sich, gab Autogramme, und brachte sozusagen Picasso in völlig neuer Weise unter die Leute."
Für eine vergnügliche Wiedereröffnung der nördlichen Deichtorhalle ist damit gesorgt. Doch bevor sich die verantwortlichen Politiker morgen allzu sehr selbst feiern, sei daran erinnert: Das der Deichtorhalle gegenüberliegende "Haus der Fotografie" müsste ebenfalls schon seit Jahren und sehr dringend saniert werden. Die paar Millionen, die das kostet, dürften für die, die bisher locker eine Dreiviertel Milliarde Euro in ein Prestigeobjekt an der Elbe versenkten, doch nur Peanuts sein.
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