Deichkinds neues Album

Leider geile Texte

Mitglieder der Band Deichkind stehen am 28.08.2013 auf der Bühne der Trabrennbahn in Hamburg.
Auftritt von Deichkind in Hamburg © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Von Gesa Ufer · 05.02.2015
Das Feuilleton feiert die Hamburger Band Dechkind für ihre Texte. Einige Titel wie "Leider geil" sind zu geflügelten Worten geworden. Unsere Autorin Gesa Ufer hat sich einen Song von dem neuen Album "Niveau, weshalb, warum" genauer angesehen.
Goethe ließ es seinen Götz von Berlichingen sagen und Mozart komponierte einen sechsstimmigen Kanon um diese drastischen Worte:
"Leck mich im Arsch"
Die Band Deichkind hat Thema und Motiv ans digitale Zeitalter angepasst.
"Danke für den Kommentar. Das gefällt mir. Like mich am Arsch. Kannst mich gern mal dran liken. Danke für die Petition. Ich bin raus hier. Like mich am Arsch. Dadadidadada."
Goethe in der Facebook-Ära
Das Drücken des "I like"-Symbols bei Youtube oder Facebook vergrößert die Aufmerksamkeit und Reichweite der Seite. Und weil Aufmerksamkeit und Reichweite die neue Währung in der digitalen Welt sind, und die Anzahl der Clicks über potentielle Werbe-Einnahmen entscheiden, buhlen Webseiten, Produkte, Ideen und ihre Macher immer häufiger mit dieser Bitte um mehr Publikum:
"Wenn ihr das hier gemocht habt, dann liked uns doch. Empfehlt uns weiter, liked uns."
Deichkind sind es leid. Die hole Phrase des "I like" genauso wie das entfremdete Dauer-Abhängen vorm Rechner.
"Klappe zu, Stecker ziehen, raus in die Welt."
Eigentlich sind Deichkind den sozialen Medien nicht abgeneigt. Im Gegenteil: Die Musiker aus Hamburg mischen fleißig mit bei Twitter, Facebook, Instagram und Co. Und sie kennen auch den Sog des Mediums aus eigener Anschauung:
"Folgen, posten, hiden, hosten, ich muss ins Netz, bin am Verdursten. Ich muss Freunde filtern, Bild aus, Bild an. Singlehunter sind am Wildern. Ich muss Jesus liken, Learjets ordern. Styles und neue Statements fordern. Spielen im Team und streamen und schwärmen, Random Standpunkt, danke gern!"
Seit 17 Jahren im Geschäft
Seit 17 Jahren sind Deichkind im Geschäft, und ihre brachial-hintersinnigen Elektrohits haben schon bei manch lahmer Party das Stimmungsruder herumgerissen:
"Yippie Yippie Yeah, Yippie Yeah, Krawall und Remmi Demmi! Yippie Yippie Yeah, Yippie Yeah, Krawall und Remmi Demmi!"
In "Like mich am Arsch" bilden sie mit ihrem trockenen Humor ab, wie surreal in den sozialen Netzen Nebensächliches neben Kuriosem steht, Öffentliches neben den intimsten Privatangelegenheit.
"Gefällt mir! Dass es 'n Mädchen wird. Shitstorm-Angriff, Para installiert. Gefällt mir! Riesen-Oktopus entdeckt. Like den Button. Scroll to the next."
Geradezu zynisch mutet das Stereotyp "I like" mit dem Daumen-Hoch-Symbol an, wenn es Tote zu beklagen gibt.
"Gefällt mir, wer da gestorben ist, schon wieder einer über’n Jordan, RIP. Gefällt mir, dein neues Tattoo am Arm, guck’ mal hier das süße Lamababy, wie es zahnt. Gefällt mir, deine neuen Pics von gestern mit deinen Schwestern, lädt ein zum Lästern. Gefällt mir, dass du anderer Meinung bist. Komm schon, hab’ mich nur ’n bisschen eingemischt."
Schneller geklickt als gedacht
Mit knappen schnellen Paarreimen bildet der Text die Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit digitaler Ströme nach. Im Netz wird schneller geklickt als gedacht. Da wird geliked oder gnadenlos gedisst. Und wer einmal drin steckt, ist selbst ganz schnell dran:
"Gefällt mir, was meinst du mit schaden. Ist doch sein Problem, er hat's selbst hochgeladen."
Bei aller Kritik – den frommen Vorsatz, digitalen Auskennern wie Sascha Lobo in Zukunft den Laufpass zu geben und nur noch auf naturbelassene Latzhosentypen wie Peter Lustig aus dem Kinderfernsehen zu hören, diesen Vorsatz werden Deichkind nicht einhalten.
"Ich stecke meinen Avatar in die Tonne, Sascha Lobo my ass, Peter Lustig ich komme!"
Bei der Bühnenshow für ihr neues Album werden die begnadeten Entertainer Smartphone-Smokings tragen. Anzüge, die mit Spezial-Handys gespickt sind, auf die die Fans beim Konzert sogar Fotos schicken können. Denn Deichkind lieben das Spiel mit der totalen Vernetzung der Gesellschaft. Sie finden es, um einen ihrer erfolgreichsten Titel zu zitieren:
"Leider geil."
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