Debütroman

Südafrika-Krimi in Echtzeit

Eine Straße zu einer Farm in der südafrikanischen Gemeinde Nieuwoudtville.
Eine Straße zu einer Farm in der südafrikanischen Gemeinde Nieuwoudtville. © picture alliance / dpa / EPA
Von Patrick Wellinski · 03.12.2014
Max Annas' "Die Farm" ist der Versuch eines Echtzeitkrimis, dessen atemloses Tempo nur durch Rückblenden gebremst wird. Zeit für tiefere Analysen der südafrikanischen Gesellschaft bleibt dabei keine.
Der erste Schuss fällt am 24. August um 17:32 Uhr. Der südafrikanische Farmer Max Muller - ein Bure - weiß nicht, wie ihm geschieht. Gerade hat er noch mit dem übergewichtigen Saatgutverkäufer verhandelt, jetzt liegt er neben dessen schwerem, leblosen Körper und sucht Schutz vor dem Kugelhagel.
Er rettet sich in das Farmhaus, wo er sich zusammen mit seiner Familie, den schwarzen Angestellten, einem korrupten Polizisten und einer schießwütigen Nachbarin verbarrikadiert. Alle haben eines gemeinsam: Sie haben keine Ahnung, warum sie von den unbekannten Angreifern unter Beschuss genommen hat. Und für Ursachenforschung bleibt den Beteiligten keine Zeit. Sie müssen ihr Leben verteidigen.
"Die Farm" ist der Versuch eines Echtzeitkrimis, der seine Handlung innerhalb von acht Stunden erzählt. Annas verzichtet dabei auf die ordnende Struktur von Kapitelüberschriften und nutzt lediglich Zeitangaben als Überblicks-, aber auch - und das macht den eigentlich Reiz dieses Krimis aus - als Rhythmisierungsmittel. Mit jeder Minute wächst die Ausweglosigkeit. Hinzu kommt, dass Annas aus verschiedenen, schnell wechselnden Perspektiven erzählt, auch aus Sicht der Angreifer - so dass die Spannungsbögen derselben Situation in ihrer Intensität unterschiedlich moduliert werden.
Echtzeitdramaturgie aus dem Film entlehnt
Das Prinzip ist hoch effektiv und sehr clever aus dem Film entlehnt, der sich die Echtzeitdramaturgie schon lange zu eigen gemacht hat. Das Bild einer Bombe mit Zeitschalter, die einen erbarmungslosen Countdown in Bewegung setzt, "findet sich von Hitchcocks 'Die Bombe im Keller' über diverse James Bond Filme bis hin zur Fernsehserie '24', die das Prinzip schließlich auf die Spitze trieb.
Max Annas, der in Deutschland mehrere Filmfestivals kuratierte, bevor er nach Südafrika zog, um die Jazzkultur des Landes zu untersuchen, beherrscht dieses Stilmittel und orientiert sich spürbar an filmischen Vorbildern für sein literarisches Debüt. Allerdings stößt der Effekt in der Buchform bisweilen an seine Grenzen, und zwar immer dann, wenn Annas' zunehmend Nebenstränge in seine Erzählung einbaut, für die er dann die Uhr doch wieder zurückdrehen muss.
Diese Art der Rückblende stört den Fluss des Plots und bremst das atemlose Tempo von "Die Farm", was sich auch auf Annas' Sprache niederschlägt. Es sind kurze Sätze, manchmal abgehackt, manchmal schlagwortartig, die die Figuren durch die Nacht treiben. Da bleibt keine Zeit in die psychopathologischen Abgründe der Handelnden vorzudringen.
Selten öffnet diese Struktur den Blick auf die gesellschaftlichen Hintergründe. Dass hier - zwischen den Zeilen - dann doch postkoloniale Wut und Angst schlummert, lässt sich zwischen den immer dichter werdenden Schusswechseln allenfalls nur erahnen.
Plötzlicher Beginn, plötzliches Ende
Denn was ist die titelgebende Farm wirklich? Es war Franz Mullers Festung gegen den demokratischen Wandel Südafrikas, gegen den Niedergang des von ihm so geliebten Apartheid-Regimes. Hier hat er sich zurückgezogen und seine letzten Machtansprüche innerhalb der Familie und Dienerschaft noch ausleben können.
Im nächtlichen Kugelhagel dieses 24. August fällt diese Festung, es schwindet aber auch die letzte Gewissheit eines rassistischen Despoten, der die sozial-politischen Umbrüche Südafrikas als persönliche Niederlage empfand. Damit könnte Annas' Hochgeschwindigkeitskrimi auch wie eine pulpige Aufarbeitung des Mordes an Eugène Terr'Blanche gelesen werden. Der langjährige Führer der AWB, der rechtsextremen südafrikanischen Burengruppierung "Afrikaner Weerstandsbeweging", wurde 2010 in der Nacht von ehemaligen Angestellten auf seiner Farm ermordet.
Im Grunde bleibt "Die Farm" aber ein sich über knapp 200 Seiten ersteckender Shootout: das Finale eines südafrikanischen Westerns, den wir nie in Gänze zu sehen bekommen. So plötzlich wie das Buch anfängt, so hört es auch auf. Und als solches ist das Unternehmen durchaus vergnüglich, kurzweilig und unterhaltend. Als subtile Analyse der Apartheid, ihres Untergangs und der bis heute spürbaren Folgen fehlt Max Annas am Ende einfach der Atem.

Max Annas: "Die Farm"
Diaphanes 2014
188 Seiten, 16,95 Euro