Debatte um TTIP

"Der Teufel steckt im Detail"

Ein Zuhörer einer Europawahlkampfveranstaltung der SPD protestiert in Nürnberg (Bayern) mit einem Plakat mit der Aufschrift "Stoppen Sie TTIP" gegen das geplante EU-US-Freihandelsabkommen TTIP.
Der Widerstand gegen TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, wächst. © Picture Alliance / dpa / Daniel Karmann
Pia Eberhardt (CEO) im Gespräch mit Ute Welty · 18.04.2015
Vor Beginn der nächsten Runde der TTIP-Verhandlungen sieht Pia Eberhardt von der lobbykritischen Organisation CEO weiterhin Probleme beim Verbraucherschutz: Beispielsweise sollen bei Pestiziden die Schutzstandards langfristig gesenkt werden.
In der nächsten Woche verhandeln EU und USA wieder über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP. Pia Eberhardt, Referentin für Handelspolitik bei der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory (CEO), kritisiert, dass die verhandlungsführende EU-Kommission bei der Vorbereitung fast ausschließlich Kontakte zu Konzernen und Lobbygruppen gehabt habe. Dagegen hätten fast keine Gespräche mit Verbraucherschutzverbänden oder Gewerkschaften stattgefunden.
Entsprechend befürchtet Eberhardt, dass TTIP letztlich Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte aus dem Weg räumen solle und eine Senkung der Verbraucherschutz-Standards bedeute. Der Teufel stecke im Detail, warnt sie: "Beispielsweise schlägt die Europäische Kommission selbst vor, dass für den Bereich Pestizide, der auch Teil der TTIP-Verhandlungen ist, die Schutzstandards langfristig gesenkt werden sollen."
Streitfall Schiedsstellen
Kritisch sieht Eberhardt auch den geplanten Investorenschutz über private Schiedsstellen. Man könne anhand bestehender Verträge sehen, wie Konzerne den Zugang zu solchen Schiedsstellen nutzten, "um all das zu bekämpfen, was ihnen nicht passt, ob das jetzt der Atomausstieg in Deutschland ist, oder Maßnahmen zur Bekämpfung des Tabakkonsums in Australien oder Uruguay", sagt die CEO-Referentin für Handelspolitik. "Das ist ein brandgefährliches Kapitel im TTIP."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Dieser Samstag ist auch Aktionstag, und zwar TTIP-Aktionstag: Weltweit wollen Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Organisationen inneren Widerstand gegen das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA zum Ausdruck bringen, allein in Deutschland sind in mehr als 200 Städten und Gemeinden Kundgebungen und Aktionen geplant, denn ab Montag wird in New York weiter über TTIP verhandelt. Worum es bei diesen Verhandlungen geht, erklärt Andreas Meyer-Feist.
Soweit Andreas Meyer-Feist aus Brüssel, und in Brüssel schauen besonders kritisch auch TTIP die Mitarbeiter des Corporate Europe Observatory. Pia Eberhardt ist dort Referentin für Handelspolitik. Guten Morgen!
Pia Eberhardt: Guten Morgen!
Welty: CEO hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Einfluss von Lobbyisten auf die EU-Politik offenzulegen. Was heißt das in Zusammenhang mit TTIP? Von wo wird da und wem Einfluss genommen, Ihrer Recherche nach?
Eberhardt: Wir haben uns insbesondere die Vorbereitungsphase der TTIP-Verhandlungen genauer angeschaut, und da kann man tatsächlich sehen, dass die Europäische Kommission, die ja für die EU die Verhandlungen führt, in dieser Phase fast nur Kontakte mit Konzernen und Lobbygruppen hatte, also Akteuren wie jetzt dem Europäischen Arbeitgeberverband Business Europe, der Autoindustrie, der Pharma- der Chemieindustrie, und es gab fast keine Gespräche in dieser wesentlichen Phase mit Verbraucherschutzverbänden oder Gewerkschaften. Das zeigt ein bisschen, in welche Richtung diese Verhandlungen vermutlich gehen und dass es da eben weniger um ein Abkommen gehen wird, dass zum Beispiel den Verbraucherschutz auf beiden Seiten des Atlantiks erhöht, sondern eher um ein Abkommen, das Verbraucherschutz, Umweltschutz, Arbeitnehmerinnenrechte, die Konzernen ein Dorn im Auge sind, aus dem Weg räumen soll.
Welty: Aber wir haben ja eben gehört, dass die Europäer, die europäischen Politiker eigentlich ganz stolz darauf sind, dass sie sich doch durchgesetzt haben, was gerade den Verbraucherschutz angeht, beispielsweise jenes Chlorhühnchen, von dem ja schon so viel die Rede war.
Eberhardt: Ja, das sind die Versprechungen der europäischen Politik. Wenn man in durchgesickerte Verhandlungstexte schaut oder teilweise auch die Verhandlungstexte, die die Kommission selbst mittlerweile veröffentlicht, dann sieht man, dass der Teufel doch im Detail steckt und das Detail dann oft in eine andere Richtung geht. Beispielsweise schlägt die Europäische Kommission selbst vor, dass für den Bereich Pestizide, der auch Teil der TTIP-Verhandlungen ist, die Schutzstandards langfristig gesenkt werden sollen. Da sagt nämlich der EU-eigene Verhandlungsvorschlag, dass in Zukunft mehr Rückstände von Pestiziden in Lebensmitteln wie einem Apfel oder einer Kartoffel erlaubt sein sollen. Also das eine sind Versprechungen der Politik, das andere ist das Detail.
Welty: Bringt uns das tatsächlich um?
Eberhardt: Ja, das wird man dann sehen, ob uns das im Einzelfall umbringt, aber die Richtung der Verhandlung ist klar, dass eben Schutzstandards wie Verbraucherschutzstandards offensichtlich zur Disposition stehen, und für die haben Menschen in diesem Land sehr lange gekämpft, und gerade, wenn man sich um globale Standardsetzung sorgt, wie das ja angeblich der Fall sein soll, ist dann doch die Frage: Wieso soll man denn nicht global den höheren Standard setzen?
Welty: TTIP ist ja ein Dauerbrenner unter den Streitthemen und am Montag in New York liegt der Dauerbrenner des Dauerbrenners auf dem Tisch: die Bestimmungen zum Investitionsschutz und zum Schiedsgerichtsverfahren. Dieser Teil von TTIP soll es ermöglichen, dass Konzerne nicht vor Gerichten den vereinbarten Investitionsschutz einfordern, sondern vor unabhängigen Schiedsstellen. Gibt es für diese geplanten Schiedsstellen im Europäischen Parlament eine Mehrheit?
Eberhardt: Das Europäische Parlament diskutiert gerade eine Resolution, also seine Position zum TTIP, und da gehören die Schiedsstellen tatsächlich zum umstrittensten Thema. Und das ist auch nachvollziehbar, denn man kann sehen auf Basis von bestehenden Verträgen und über 600 Klagen, die es auf Basis von solchen Verträgen schon gibt, wie Konzerne den Zugang zu solchen Schiedsgerichten nutzen, und sie nutzen ihn eben letztendlich, um all das zu bekämpfen, was ihnen nicht passt, ob das jetzt der Atomausstieg in Deutschland ist oder Maßnahmen zur Bekämpfung des Tabakkonsums in Australien oder Uruguay. Deshalb ist, glaube ich, die Debatte, die wir darum haben und die es eben auch im Europäischen Parlament gibt, angemessen. Das ist ein brandgefährliches Kapitel im TTIP.
Welty: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat kürzlich ein Konzept für transparentere und demokratische Schiedsverfahren vorgestellt. Zu den Plänen gehört, dass Berufsrichter und nicht Wirtschaftsanwälte Urteile sprechen, und am Ende soll dann ein internationaler Investitionsgerichtshof stehen. Aus den USA heißt es bereits, dass man sich darauf nicht einlassen wird. Inwieweit besteht trotzdem die Chance, dass aus diesem Konzept sich Verbesserungen ergeben?
Eberhardt: Ich glaube, das ist für die TTIP-Verhandlungen eine Nebelkerze. Prinzipiell verhält es sich um die richtige Stoßrichtung. Diese Verfahren werden ja heute eben von privaten Anwälten entschieden, die je nach Verfahren bezahlt werden. Das heißt, sie haben einen großen Anreiz, zugunsten der einzigen Partei zu entscheiden, die klagen kann, und das ist der Investor, weil nämlich das in Zukunft mehr Klagen und damit eben auch mehr Berufungen und mehr Einkommen bringt. Das ist wichtig, so ein System nicht länger zuzulassen und zu verrechtlichen, für unabhängige Gerichte zu sorgen. Aber das hat mit TTIP nichts zu tun. Man schafft nicht mal eben im Rahmen von solchen Verhandlungen in einer Fußnote einen internationalen Gerichtshof. Das sind langwierige Prozesse.
Welty: Na ja, TTIP ist jetzt nun auch keine kurze Geschichte.
Eberhardt: Das ist ganz richtig, aber wie Sie auch schon erwähnt haben, werden sich die USA auf diesen Gerichtshof nicht einlassen. Und interessant ist auch: Wir haben ja eine Blaupause für TTIP schon, also wir können einerseits über TTIP sprechen, wir können aber auch über das EU-Kanada-Abkommen sprechen, das als kleiner Bruder und Blaupause gilt, und das ist bereits fertig verhandelt, und da ist von unabhängigen Gerichten leider nichts zu finden im Entwurf. Und allein das EU-Kanada-Abkommen wird tausenden von US-Unternehmen mit Niederlassungen in Kanada ermöglichen, die EU und ihre Mitgliedsstaaten zu verklagen. Also für mich ist es - ein bisschen, ja - die richtige Debatte, aber für TTIP und auch EU-Kanada eine Nebelkerze, die die Öffentlichkeit eher verwirrt und also diese Klagen, wie sie kommen werden auf Basis von TTIP, nicht verhindern wird.
Welty: Heute ist weltweiter Aktionstag gegen das Freihandelsabkommen TTIP, gegen das auch Pia Eberhardt erhebliche Bedenken hat. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Eberhardt: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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