Debatte um Potsdamer Hotel "Mercure"

"Kein Kampf zweier Nostalgiker-Gruppen"

Das Hotel "Mercure" in Potsdam (Brandenburg), aufgenommen am 26.01.2016. Foto: Ralf Hirschberger
Objekt des stadtplanerischen Streits: Das Hotel "Mercure" in Potsdam © dpa / picture alliance / Ralf Hischberger
Volker Hassemer im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 27.01.2016
In Potsdam wird um den möglichen Abriss des Plattenbau-Hotels "Mercure" gestritten. Es sei eine gesellschaftliche Entscheidung über die Zukunft des Platzes, meint Volker Hassemer von der Stiftung Zukunft Berlin. Eine Diskussion darüber müsse mit engagierten Bürgern stattfinden.
Volker Hassemer, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin, sieht die Debatte um den Abriss des Potsdamer Plattenbau-Hotels "Mercure" von einer falschen Grundposition bestimmt.
Die Diskussion dürfe sich nicht nur auf den Abriss richten, es müsse vielmehr um die Zukunft dieses Platzes gehen, sagte Hassemer im Deutschlandradio Kultur vor dem Hintergrund der heutigen Abstimmung im Potsdamer Stadtparlament. Man müsse abwägen,"welche Zukünfte für die heutige und zukünftige Gesellschaft dort möglich sind. Und was man machen muss, um diese Zukünfte zu ermöglichen. "
Die Auseinandersetzung um das Hotel "Mercure" dürfe nicht zum "Kampf zweier Nostalgiker-Gruppen" werden, betonte Hassemer:
"Die einen, die sagen: Wir hätten am liebsten gehabt, es wäre nie gebaut (worden).' Und die anderen sagen: 'Wir müssen es erhalten, weil es zu unserer Geschichte gehört.' Das Eine wie das Andere kann ich durchaus respektieren. Aber das eine wie das Andere sind nicht ausreichende Grundlinien, die zu einer richtigen Entscheidung führen."
Nicht allein Entscheidung von Politikern
Die Entscheidung über die Zukunft dieses Platzes dürfe nicht allein von Politikern getroffen werden, meinte Hassemer. Es ginge um eine gesellschaftliche Entscheidung - und nicht nur um bauliche oder stadtentwicklungspolitische Gesichtspunkte. Deswegen sei eine gemeinsame Vorbereitung notwendig, wie sie als Methodik in der Stiftung Zukunft Berlin entwickelt worden sei:
"Eine ordentliche Entscheidungsvorbereitung, wo mehr als nur die Betroffenheit und die Perspektiven der Politiker zu Wort kommen. Sondern auch die der Bürger, die sich mit großem Enthusiasmus für diese Thematik einsetzen und engagieren wollen."
Verpasste Diskussion beim Abriss des Palastes der Republik
Eine solche Diskussion sei seinerzeit beim Abriss des Palastes der Republik nicht geführt worden, sagte Hassemer, der damals bei der Entscheidung mit beteiligt gewesen war. Es sei versäumt worden, ein offenes Gespräch über diese Entscheidung zu führen. Für ihn persönlich habe das eine "bedrückende Konsequenz", die Chance für eine sinnvolle inhaltliche Diskussion sei verpasst worden:
"Hätten wir da eine sinnvolle Debatte geführt, vielleicht hätten wir wirklich die Entscheidungen an dieser Stelle anders getroffen."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es nützt nichts, sich rigoros von unliebsamen öffentlichen Bauten zu trennen, die unserem heutigen Verständnis nach nicht mehr in den Zeitgeist passen. Am Montag war das die Aussage Uwe Borks im politischen Feuilleton. Heute ist Mittwoch, heute haben wir einen konkreten Fall: 60 Meter hoch ist das architektonische Erbe aus DDR-Zeiten, über dessen Abriss das Potsdamer Stadtparlament abstimmt.
Ein recht dominanter Bau aus dem Jahre '69, das ehemalige DDR-Inter-Hotel, erbaut als, Zitat, "sozialistische Stadtkrone", heute betrieben von Mercure. Linke und auch viele Bürger wollen das Hotel erhalten, dem Bürgermeister und seiner regierenden SPD ist "der Klotz" - so nennen ihn die Abrissbefürworter - dagegen ein Dorn im Auge bei der historischen Rekonstruktion Potsdams.
Volker Hassemer kennt diese Fragestellung aus früheren politischen Zeiten als CDU-Politiker und Bausenator Berlins. Er hat in den Neunzigern die überlebensgroße Lenin-Statue abreißen lassen. Herr Hassemer, guten Morgen!
Volker Hassemer: Guten Morgen!
Frenzel: Das ist ja nun kein Lenin, sondern ein Hotel. Aber dennoch: Gehört der Klotz abgerissen?
Hassemer: Nein, das ist eine wirklich falsche Grundposition, sich zu fragen, was man gerade abreißt. Es ist die notwendige Grundposition, sich zu fragen, was die Zukunft für diesen Platz ist, und abzuwägen, welche Zukünfte für die nun heutige und zukünftige Gesellschaft dort möglich sind. Und was man machen muss, um diese Zukünfte zu ermöglichen. Und dann kann dazu gehören, dass man etwas abreißt, was dort steht.
Aber es ist nicht ein Kampf zweier Nostalgiker-Gruppen. Die einen, die sagen, wir hätten am liebsten gehabt, es wäre nie gebaut, und die anderen sagen, wir müssen es erhalten, weil es zu unserer Geschichte gehört. Das eine wie das andere kann ich durchaus respektieren, aber das eine wie das andere sind nicht ausreichende Grundlinien, die einen zu einer richtigen Entscheidung führen.
"Wir brauchen eine gemeinsame Entscheidungsvorbereitung"
Frenzel: Zu welchem Ergebnis, Herr Hassemer, kommen Sie denn, wenn Sie sich den Potsdamer Fall angucken?
Hassemer: Mein persönlicher Eindruck oder mein persönliches Gefühl ist, dass dort, an dieser Stelle, dann auch neben dem neuen Landtag eine Zukunft möglich ist, die ohne das Hotel besser sein wird. Aber es ist da auch wieder falsch, ex cathedra von irgendeinem runter und auch nicht ex cathedra von der Politik zu sagen, diese Zukunft für diese Stelle Potsdams, die machen jetzt mal die Politiker unter sich aus oder bestimmte Leute der Politiker.
Es ist nicht eine bauliche, es ist sogar vielleicht mehr als eine stadtentwicklungspolitische Entscheidung. Es ist eine gesellschaftliche Entscheidung, und wir, also in meiner Stiftung, wir haben dazu Methoden entwickelt, um zu sagen, dann brauchen wir eine gemeinsame Entscheidungsvorbereitung. Nicht eine gemeinsame Entscheidung, das hat die Politik zu fällen, aber eine ordentliche Entscheidungsvorbereitung, wo mehr als nur die Politiker zu Wort kommen und mehr als nur die Betroffenheit und die Perspektiven der Politiker zu Wort kommen, sondern auch der Bürger, die sich mit großem Enthusiasmus für diese Thematik einsetzen und engagieren wollen.
Frenzel: Aber bei einem Engagement für die Zukunft, Herr Hassemer, gibt es nicht auch eine Verantwortung für die Vergangenheit, für ein architektonisches Erbe, das ja auch die DDR geliefert hat? Gehen wir damit vorsichtig genug um?
"Es darf kein Streit der Gestrigen werden"
Hassemer: Mein Verständnis ist durchaus, dass Sie gerade deshalb und dadurch dieses Erbe und dieses Vergangenheit würdigen, indem Sie deutlich machen, dass es eine Energiequelle für die Zukunft ist. Wenn man etwas behält, wenn man etwas bewahrt, nur weil es mit nostalgischen Argumenten verbunden ist, aber wenn es – ich spitze das jetzt zu – nicht zukunftsfähig ist, dann tut man diesem Ort einen Tort an.
Man geht dann permanent drum herum und sagt, ja, das ist uns von der Vergangenheit gewissermaßen als Menetekel gekommen und stört uns jetzt. Aber wir müssen es ja bewahren, weil es aus der Vergangenheit kommt. Nein. Ich bin davon überzeugt, dass bestimmte, vielleicht auch dieses Hotel, bestimmte große Projekte der Vergangenheit in die Zukunft helfen können, dass aber das das Kriterium ist, und nicht der Streit von – ich will nicht sagen, ewig, aber jedenfalls der Streit von Gestrigen.
Frenzel: Aber man könnte ja sagen, dass genau diese Argumentation, die Sie da kritisieren, also diese Rückwärtsgewandtheit, auch der treibende Faktor ist hinter der Rekonstruktion, die wir allüberall erleben. In Potsdam, Sie haben es erwähnt, der Landtag, das alte Stadtschloss, in Berlin gibt es eine Debatte darum, um das Stadtschloss herum das alte Berlin wieder auferstehen zu lassen. Wenn man böse ist, könnte man sagen, wir bauen uns in bester Disney-Manier Stadtkulissen für Touristen.
Die Debatte um Berlins Mitte
Hassemer: Ja. Und da habe ich eine ganz entschiedenere Position als zu der Frage Erhalt der Gebäude, die uns überliefert sind. Da bin ich nämlich im Prinzip dafür, dass sie bewahrt werden müssen. Das andere, dass man sich aus der Geschichte eine Zeit heraus nimmt, die einem besonders kuschelig erscheint oder besonders einem passt im weitesten Sinne, und dass man die wieder aufbaut, das ist ganz sicher ein falscher Weg. Und ich bin mir übrigens – wir sind bei der Debatte zur Berliner Mitte, die mehr oder weniger gut geführt wird, aber wir sind da sehr beteiligt – so wird es in Berlin nicht kommen.
Ich gebe aber auch gern zu, weil Sie auch Zitate von mir hatten: Könnte ich 25 Jahre zurückgehen oder 20 Jahre – ich glaube, wir haben diese Qualität der Diskussion auch zum Palast der Republik damals nicht geführt. Man kann als Entschuldigung sagen, die Zeiten waren hektischer, und es musste vorangehen. Aber dass wir uns miteinander in einen offenen Entscheidungsvorbereitungsgespräch mit der vielleicht sogar nicht nur Berliner Gesellschaft begeben hätten, um zu sagen, was kann man dann mit dem produktiv machen, das haben wir versäumt.
Und es hatte eine, das will ich nun wirklich hier noch mal sagen, eine wirklich sehr bedrückende Konsequenz, für mich bedrückende Konsequenz: Der Palast der Republik war ja dann in der Endzeit, in den letzten ein, zwei Jahren, dann plötzlich von einer Lebendigkeit erfüllt, also gewissermaßen nachdem die Entscheidungen, ihn abzureißen, schon gefallen waren. Die hätten einen, hätte man die Entscheidung noch mal fällen können, nachdenklich machen können.
Hätten wir also diese Diskussion sorgfältig geführt, wären wir vielleicht frühzeitig, auch die Gegner des Abrisses - die ja dann sehr spät kamen, die sind sehr spät aufgewacht, die dann nachher produktiv waren. Hätten wir da eine sinnvolle Debatte geführt, vielleicht hätten wir wirklich die Entscheidungen an dieser Stelle anders getroffen.
Frenzel: Das sagt ein Mann, der früher auch mit dafür verantwortlich war. Volker Hassemer, früher Bausenator für die CDU in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Hassemer: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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