Debatte um Homophobie

Gleichstellungs-Gegner verwechseln Ängste mit Argumenten

Wehende Regenbogenflaggen auf einer Demonstration.
Regenbogenflaggen auf einer Demonstration. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Ella Sinram · 28.08.2015
Ella Sinram bezweifelt, dass die Ehe zwischen Mann und Frau der Grundstein der Familie und der Gesellschaft ist. Denjenigen, die gegen die Gleichstellung von Lesben und Schwulen und damit gegen die Homo-Ehe sind, stellt sie ihre Erfahrungen als Teil einer Patchwork-Familie entgegen.
Die Ehe zwischen Mann und Frau ist der natürliche Grundstein unserer Familien und damit unserer Gesellschaft. So oder ähnlich hört sich meist das finale Argument gegen die Homo-Ehe an. Doch das Argument richtet sich nicht nur gegen Homosexuelle, die sich gern zu Ehegatten erklären lassen würden, sondern gegen jedes einzelne Leben, das von diesem Schema abweicht, ein Schema übrigens, das in den 60ern aktuell war.
Es richtet sich gegen Menschen ohne Kinderwunsch, gegen unverheiratete Eltern, getrennte Eltern, gegen alleinerziehende Eltern und all ihre Kinder. Denn es impliziert, dass wir falsch leben. Wir, die Patchwork-Familien, wir, die Unverheirateten, wir, die Unfruchtbaren, wir, die kinderlos Glücklichen. Doch dieses Argument richtet sich nicht nur gegen einen Großteil der Bevölkerung, für mich selbst fühlt es sich an wie ein Schlag ins Gesicht.
Ich bin ein Kind unverheirateter Eltern, die sich vor rund zwölf Jahren getrennt haben. Meine Eltern sind beide Trennungskinder. Mein Vater hat von jedem seiner Eltern eine Halbschwester. Meine Mutter und mein Vater hatten beide vor und nach ihrer Beziehung andere Partner, mein Vater war sogar für ein paar Jahre verheiratet, ohne Kinder zu zeugen. Ich habe eine lesbische Tante und sogar eine Großmutter, die seit Jahren glücklich ihr Leben mit einer Frau teilt.
Die Wahrheit ist so viel komplizierter
Wer behauptet, Homosexuelle hätten kein Recht auf völlige Gleichstellung, festigt damit nicht die Grundfesten unserer Gesellschaft, sondern erdreistet sich, sehr vielen Menschen zu sagen, ihr Leben mit denen, die ihnen am wichtigsten sind, sei falsch. Soviel zu der emotionalen Ebene dieses Arguments.
Und die logische, die wissenschaftliche Ebene? Wenn man davon ausgeht, dass sich die Menschheit komplett in zwei Lager teilen lässt, wobei dann immer zwei zusammen passen, wie Schlüssel und Schloss, die dann in der Lage sind ihre eigene Rentenversicherung zu zeugen, dann macht die Homo-Ehe wirklich keinen Sinn. Doch die Wahrheit ist so viel komplizierter. Und wer nur die Vater-Mutter-Kind-Familie als "natürlich" akzeptiert, sollte sich fragen, warum sich ausgerechnet die Natur nicht an diese Regel hält.
Bei tausenden von Tierarten ist Homosexualität üblich. In einem Zoo in Bremerhaven adoptierten 2009 zwei männliche Pinguine ein verstoßenes Ei. Bei männlichen Giraffen zählt der heterosexuelle Verkehr als Seltenheit. Und Bonobos leben in einer lesbischen und matriarchalen Gesellschaft.
Zukunft, in der Coming-Outs unnötig sind
Keine Statistik, keine wissenschaftliche Begründung erklärt die unterschiedliche Behandlung von homo- und heterosexuellen Lebenspartnerschaften. Was die Gegner der Gleichstellung für Argumente halten, sind in Wahrheit kleinliche und ängstliche Gefühle. In einem Interview mit dem fünft-beliebtesten Youtuber Deutschlands betonte die Kanzlerin, wie gut sie darin sei, Beruf und private Gefühle zu trennen. Doch Phobien sind auch Gefühle, und die Homophobie ist eins davon.
Meine Großmutter hat sich damit abgefunden. Doch ich bin noch jung, ich stehe am Anfang meines Lebens. Ich glaube an eine Zukunft, in der Coming-Outs unnötig sind, in der Homosexualität weder diskriminiert noch unterstützt wird, sondern einfach existiert. Eine Zukunft, in der keine Kanzlerin ihre kleinmütigen Gefühle über die Rechte der Bürger stellt.

Ella Sinram, geboren 1996 in Berlin, ist mit einer Pachtworkfamilie in einem ehemals besetzten Haus aufgewachsen.

Heute studiert sie Englisch und Filmwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

© Deutschlandradio
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